Alles nur Show? Neuartige Formen der Wissenschaftskommunikation

Ein Blog ist eine harmlose Variante. Im Verhältnis zu anderen, neuartigen Kommunikationsformen bietet er so viel Inhalt an, wie der Autor es wünscht. Auch ist die Darstellung nicht zwangsläufig populär, unterhaltsam oder witzig. Leider, mögen manche denken. Und das ist wohl auch der Grund, warum Discussions-Dinner, Disko-tieren und Science-Slam im Vormarsch sind.

Der kulturkritische Blick sieht zunächst Gefahren und sorgt sich um Tiefgang, Qualität und Ernsthaftigkeit von Diskurskulturen, die der Form mehr Beachtung schenken als es vom Frontalvortrag mit anschließender Diskussion zu erwarten ist. Denn tatsächlich gibt es starke Vorgaben, wenn etwa beim Science-Slam nur 10 Minuten pro Beitrag zur Verfügung stehen. Doch wir wissen auch, dass man ebenso zwei Minuten, wie 20 Minuten oder zwei Stunden über das gleiche Thema sprechen kann. Es ist eine Frage der Pointierung und des Ziels. Beim Slam lautet der Auftrag: „Vier Nachwuchswissenschaftler treten beim Science Slam gegeneinander an und tragen ihre Forschungsarbeiten unterhaltsam einem breit gefächerten Publikum vor. Dabei ist alles erlaubt, was nicht gegen die Brandschutzordnung verstößt.“, so der Veranstalter Luups. Kurzweilig, anschaulich und auch für fachfremdes Publikum leicht verständlich – die Anforderungen lesen sich wie die Stellenbeschreibung für die Moderation einer Infotainmentsendung.

Doch widerspricht Witz einer differenzierten Sacherörterung? Muss eine unterhaltsam dargebrachte Thematik automatisch oberflächlich sein? Schaut man genauer hin, hier etwa beim Science Slam in Bochum (http://www.youtube.com/watch?v=kKsqEYULWK8&list=TLLhSumnSNLd4BlVjKxNKr4-ydnHCAl9Dw), dann wird deutlich, dass der kurzweilige 10-Minuten-Beitrag eines Verfahrenstechnikers durch seine ästhetische Gestaltung das Publikum überzeugte. Der Inhalt (Mikro-Destillation) wird so dargestellt, dass sowohl die wissenschaftliche Fragestellung, ihre Relevanz sowie das Forschungsvorgehen und die zentralen Ergebnisse behandelt werden als auch Witz entsteht durch die Alltagsnähe der Einführung, die Selbstironie und die angestoßenen Assoziationsketten zur eigenen, durchaus intimen Erfahrung. Es handelt sich also um eine Kunstform, in der Kreativität bei der Darbietung Erfahrungsräume öffnet, die sonst verschlossen blieben, weil z.B. kaum jemand aus dem weiten Publikum des Slams zu einem physikalischen Fachvortrag gehen würde.

Nun ist Quantität an Zuschauern kein Qualitätsmerkmal, wie die Einschaltquotenlogik des Fernsehens zeigt. Als didaktisches Gütekriterium gilt aber Anschaulichkeit durchaus auch im Feld der wissenschaftlichen Lehre. Nicht nur am Konkreten das Abstrakte zu befragen und zu erläutern, sondern auch vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen, gilt etwa in der hermeneutischen Analyse als hohe Kunst. So funktionieren auch diese Formen der Wissensartikulation und Gesprächskultur.

Vielleicht liegt es an der per Definition gegebenen größeren Praxisnähe, dass die Fachhochschulen, z.B. die Dortmunder keine Berührungsängste vor neuen Kommunikationsformen und Orten der Begegnung haben. Seit Jahren schon veranstaltet die FH Dortmund ihre „Offene Fachhochschule“, in dessen Rahmen nicht nur renommierte Gastbeiträge eingeladen werden, sondern nun auch die Bühne für den ersten Science-Slam am 11.12. geöffnet wird.

Auch der Discussions-Dinner am 20.4.2013 fand im Rahmen eines Projektes der FH Dortmund statt: In der Reihe „Nordstadtsession“ bewegt sich die „Hochschule vor Ort“ in der Dortmunder Nordstadt, einem Wohngebiet mit sehr hohem zugewanderten Bevölkerungsanteil und verschiedenen sozialen Problemlagen. Hier werden Brücken geschlagen zwischen FH und Quartier, zwischen Bildungsmöglichkeit und vermuteter fehlender Bildungsbereitschaft oder fehlendem Mut, so der Plan. Vom Discussions-Dinner liegt immer noch diese Stück Tischdecke

Tischdecke

in meinen Unterlagen für die Lehre. Darauf ist die Idee zu einer Forschungsfrage festgehalten, die bei dem Dinner entstanden ist und die sich für das Seminar zur Einführung in die rekonstruktive Sozialforschung eignet: Inwiefern weisen Grabsteine und Todesanzeigen leistungsethische Deutungsmuster auf?

Es ist das experimentelle Moment dieser Anlässe und Gelegenheiten, das Kreativität erzeugt. Es ist anregend für alle Beteiligten, auch für den Vortragenden. In besonderen Sternstunden lässt es sich auch in der Lehre erleben, dass ein kreatives Denkklima entstanden ist, dass ein Funken Faszination übergesprungen ist und man mit neuen Fragen aus dem Seminarraum kommt. Insofern bieten die experimentellen Settings auch eine Schulung in „lebendiger Lehre“.

In stärker emotionaler Ausrichtung findet es sich bei einem theatralischen Format. Mit einigem Erstaunen fand ich mich jüngst als Vorprogramm zum Hauptakt: Im Rahmen des Mühlheimer Festivals Momentanindustrie trat Bernadette La Hengst mit dem Stück „Bedingungsloses Grundeinsingen“ auf, zu dem am Vorabend der Aufführung zunächst disko-tiert wurde: Auf rotem Sofa an der Seite einer weiteren Diskotantin, begleitet vom Chor mit Liedern zum Thema Grundeinkommen und gemeinsamem Gesang des Publikums. Dem Inhalt hat das nicht geschadet, denn die Diskussion wurde intensiv, offen und kritisch geführt und dazu noch so lebendig, dass die übliche Ermüdung nach 90 Minuten nicht aufkam.

Dass auch andere individuelle Ziele verfolgt werden, wie die Gelegenheit, als exzentrischer Charakter eine Bühne zu besteigen oder sich einer Gemeinschaft (z.B. der Slammer und ihrer Fans) zuzuordnen, wie in diesem Kurzfilm deutlich wird http://www.youtube.com/user/ScienceSlamNet, schadet ebenfalls nicht. Letztlich zählt der Spaß an der Sache, das Interesse an der Passung von Form und Inhalt, die Faszination, die von den Fragestellungen ausgeht, sowohl für den Slammer als auch für das Publikum. So entsteht ein Erfahrungsfeld nicht nur für den Einzelnen, sondern in Interaktion, im imaginierten oder realen Dialog, der die nötige Offenheit bietet für überraschende Wendungen und neue Blickwinkel, manchmal auch einen Nährboden für Geistesblitze.

Auf Wiedersehen

In dieser Blog-Etappe ist demgegenüber sicher manches Thema hölzern und humorlos behandelt worden. Nicht immer steht genügend Zeit für den literarisch anspruchsvollen Beitrag zur Verfügung, auch nicht für inhaltliche Höhenflüge. Wenn man den Blog nicht als Tagebuch verstehen, also aus der Ich-Erzählperspektive schreiben will, dann wäre der Essay eine adäquate Gestaltungsform. Die verlangt Können und Geschick und wie alle hochwertige Kunst auch Übung. Genau dafür bietet der Soziologie-Blog eine Gelegenheit. Er ist Übungsgelände wie Teststrecke zugleich, um verschiedene Textsorten und Darstellungsweisen auszuprobieren, damit neue oder auch klassische Fragestellungen und Themen des Faches in ein anderes Licht gerückt werden. So ist er eine gute Aufwärmübung für meine nächsten Einsätze beim Science-Slam — letztlich auch eine Art von Public Sociology.

Danke dafür