Rückkehr ins Paradies

Diesen letzten Beitrag möchte ich sehr kurz halten. Ich berichte von einem besonderen Versprechen an die Öffentlichkeit, das Versprechen der Naturwissenschaften auf die „Rückkehr ins Paradies“ und der daran anschließenden Frage, was die Soziologie als Gesellschaftswissenschaft diesem Heilsversprechen entgegen zu setzen hat.

Im Rathaus der Stadt nahm ich vor einiger Zeit an den berühmten Wiener Vorlesungen teil. Eine bleibt mir dabei besonders in Erinnerung. Voller Saal. Prunksaal, versteht sich. 500 Gäste im Raum. Das Thema des Abends ist die funktionale Genetik. Ein Naturwissenschaftler, gerade aus den USA zurück in die Heimat geworben, erklärt, um was es dabei geht. Für sein Thema flossen Millionen. Der Vortrag macht deutlich warum.

Zunächst erzählt der Wissenschaftler vom verlorenen Paradies. Von den Gebrechen und den Leiden, die mit der Vertreibung aus dem Paradies über die Menschheit gekommen sind. So unnötig, das alles. Dann erklärt er lässig, was er so macht. So, dass es die Leute im Saal, die wohl alle keine Genetiker sind, es auch verstehen. Und schließlich folgt das triumphale Ende des Vortrages. Es ist nichts anderes, als das Versprechen, bald wieder ins Paradies zurückkehren zu dürfen. Untermalt mit Bildern über die Geschichte eines geheilten Kindes, das an einer seltenen Krankheit litt. Dieses Heilsversprechen, die „Rückkehr ins Paradies“, lässt sich wohl kaum steigern. Jeder im Raum konnte spüren, dass hier einer der neuen, sozial erwünschten Schamanen am Werk ist. Nichts kreiert mehr Legitimation und Erfolg (inklusive des Erfolgs bei der Einwerbung von Drittmittelprojekten, aber das ist letztlich ein kleinliches Argument).

Seit diesem Erlebnis frage ich mich immer wieder, wie ein Versprechen der Soziologie aussehen könnte, dass die (gedachten) Zuhörer eines Vortrages gleichermaßen in den Bann zieht, unsere Disziplin mit einer nicht mehr wegzudiskutierenden Legitimation ausstattet und einigen von uns (Anmerkung: man muss gönnen können), ein paar Euro mehr in die Forschungskassen spült. Denn verglichen mit den Summen, um die es beim naturwissenschaftlichen Versprechen auf die „Rückkehr ins Paradies“ geht, sind selbst die größten gesellschaftswissenschaftlichen Projekte immer noch Kleinkram.

Wenn also die Soziologie ebenfalls ein ihr angemessenes Versprechen auf die „Rückkehr ins Paradies“ machte, wie würde es aussehen? Würde dort das Bühnenstück einer sozial gerechteren Gesellschaft aufgeführt werden? Wäre es vielleicht ein „Garten des Menschlichen“ (Carl Friedrich von Weizsäcker)? Und können wir Soziologinnen und Soziologen nur als „epistemisch engagiertes Kollektiv“ (Sloterdijk) einen solchen Beitrag leisten oder auch als „öffentlich Engagierte“? Ich bin ziemlich verliebt in die alten Texte von Ivan Illich (der seit einiger Zeit vor allem im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatte neu entdeckt und „übersetzt“ wird). In diesem Sinne: Könnte es in Zukunft nicht nur konviviale Technologien geben, sondern auch konviviale Wissenschaften, gar eine konviviale Soziologie?

Mit diesen Fragen möchte ich mich von Ihnen verabschieden. Über Antworten freue ich mich sehr. Herzlich, Ihr Stefan Selke

>>> Weitere Beiträge folgen regelmäßig in meinem Blog „Stabile Seitenlage“ unter (stefan-selke.tumblr.com). <<<

10 Gedanken zu „Rückkehr ins Paradies“

  1. Heilsversprechen sind Scharlatanerie. Unter ungünstigen Bedingungen („sozial erwünscht“) führen sie auf kürzestem Weg in die (worst case: nicht nur ideologische) Tyrannei.

    Sollen sich die Soziologen mit Schamanen (gleich welcher Herkunft) gemein machen?

    Hm, Illich. Kenne ich nicht. Im Wikipedia-Eintrag über ihn wird konvivial mit „lebensgerecht“ übersetzt, im Duden mit „gesellig, heiter“:-)Letzteres hört sich nett an, Ersteres vielversprechend.

    Bei Versprechungen krieg‘ ich lange Ohren, und ein kleines Stimmchen in mir sagt leise, aber deutlich: „Vorsicht!“

    1. vielleicht sind Heilsversprechungen aber auch der Weg, außerhalb der Disziplin überhaupt Zuhörer_innen gewinnen zu können? Wie oft lassen wir uns denn den Vorwurf gefallen, Forschung zu betreiben, die zu nichts führt, die nicht anwendbar sei, für die Politik uninteressant (sic!) ?
      Wenn ich mir vorstelle, einen Projektantrag mit der Botschaft zwischen den Zeilen garnieren zu können, die dringenden, wenn nicht gar alle, gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Nein, ich denke, wir Soziolog_innen sind zu kritisch, um so etwas zu tun. Auch zu selbstkritisch. Dazu hat die Disziplin lang genug geübt, sich zerfleischt, eingeigelt und abgeschottet.

  2. Ja traurig, es gibt schon wieder „Leute“, die Illich nicht mehr kennen, dabei hat er den Begriff „Konvivialiät“ als eigenständigen „Kampf“-Begriff geprägt, der muss „eigentlicvh“ nicht „übersetzt“ werden, ..!?

    und zum Thema:
    wen n Wissensforscher wie Ken Wilber und andere, den Auszug aus dem „Paradies“, als echten geistig/mentalen Fortschritt in Richtung Selbstbestimmung und Annahme des Seins interpretieren, dann könnte man ebenso „anders herum“ und da decouvriert sich auch herkömmliche Gen Forschung, „die Rückkehr“ dahin, als definitiv zugesperrte , „zweckrationale“ Rückführung der Konsum-Schäfchen „ins Trocken“ angesehen werden. Als etwas, das schon andere (auch vergessene) wie „Lewis Mumford“ als Ära der automatisierten gefügigen Wesen (leb- und lieblos) ohne Seele angesehen und beschrieben hat.
    (An diesem „Omega“ Punkt bliebe von der ursprünglichen. autonomen Struktur des Menschen nichts zurück, außer organisierter Intelligenz. eine universelle und allmächtige Schicht abstrakten Bewusstseins, lieblos und leblos.“)

  3. Tschüß! Es ist mir ein Vergnügen, mich von diesem Blog und vor allem von seinen Kommentatoren zu verabschieden.

    Macht’s gut weiterhin.

    Anna

    1. Warum denn so unmäßig?
      Das Paradies war stets eine paradoxe Figur, denn um es als Paradies zu begreifen, muss man das Paradies bereits verlassen haben, was wiederum in der Paradiesgeschichte selbst konstitutiv angelegt ist, nämlich zu wenig Unterscheidungsmöglichkeiten zu haben und dann unterschieden/ausgeschieden zu werden. Nicht mal in den Kommentaren zur Rückkehr ins Paradies stellt sich Paradiesisches ein. Schade eigentlich. Der friedliche „paradeisos“ (im weiteten Wortsinne: Zoo) ist eher „para-doxon“ (im weitesten Wortsinne: neben der Spur). Wenn Beides nicht hilft, empfehle ich den Diskutanten: Takt und Gelassenheit. „Ataraxia“ ist das Einzige, was gegen unaufhaltbare Paradoxien hilft – auch in Blogs.

      1. ja klar Armin, so einen Zerr-redner und einseitigen Verbieger der Defintion von Paradies wie dich, haben wir hier noch benötigt, ..??

        Es geht um den Zusammenhang:
        „Genforschung“ und „Rückkehr ins Paradies“,
        schon mal darüber nachgedacht, anstatt hier Eso angehauchte Allgemien- Vorschläge anzubringen??

        die „ut“ klingen, aber in „der Sache“ nichts beitragen?

  4. Vielleicht ist ein Schamane eigentlich nichts anderes als ein Soziologe aus der Antike, um es auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Übrigens finde ich das Thema Schamanismus sehr interessant, denn hier handelt es sich um sehr viel mehr als um Heilsversprechen.

    Und noch was: Anna, lass dich nicht unterkriegen! Jeder der nicht deiner Meinung ist kann das sagen, er darf aber nicht die Meinung anderer kritisieren.

    Lg,
    Peter

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