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Die Reaktivität von Rankings. Reduktion von Diversität durch mediale Ereignisproduktion

Zur Empfehlung des DGS-Vorstandes, aus dem CHE-Ranking auszusteigen 2

Thomas Kerstan geht in seinem Kommentar zu meinem Essay über die Kolonisierung von Bildung und Wissenschaft durch Rankings davon aus, dass die Entscheidung für einen Studienort durch das CHE-Ranking objektiviert wird, die Studienanfänger nicht nur auf Papa und Mama angewiesen sind, sofern diese überhaupt studiert haben. Ist das wirklich so? Und welche Evidenzen gibt es für die Reduktion von Diversität durch Rankings? Das soll im Folgenden weiter vertieft werden.

 

Erweitern Rankings das Wissen über Studienorte?

Es gibt heute für die Studienanfänger viel mehr Informationsquellen als Mama und Papa, es gibt jede Menge Freunde und Bekannte, die man befragen kann, vor allem aber das Internet und Netzwerke wie Twitter und Facebook. Wenn ich heute ein Studium aufnähme, dann würde ich mir die Webseiten der Fachbereiche ansehen. Dort finde ich viel reichhaltigere Informationen als im CHE-Ranking. Ich sehe die Selbstdarstellung, das Profil, die Professuren, das Lehrangebot, die Forschungsschwerpunkte, Drittmittelprojekte und Publikationen. Mit diesem Wissen ausgerüstet, kann ich mich nach wie vor ganz wesentlich von emotionalen Faktoren wie Nähe oder Ferne zum Heimatort, vorhandene oder nicht vorhandene Freunde und dem mich ansprechenden oder nicht ansprechenden Charakter der Stadt leiten lassen. Ich kann leicht erkennen, wie gut ein Fach ausgestattet und besetzt ist. Außerdem kann ich den Studienort wechseln, wenn es mir nicht passt.

Eine Rangordnung nach CHE-Indikatoren benötige ich als Informationsquelle für die Wahl meines Studienortes offensichtlich nicht, weil mir reichlich Informationen zur Verfügung stehen. Das Ranking wirkt genau in die entgegengesetzte Richtung: Es reduziert die Vielfalt von Informationen auf wenige Indikatoren und auf eine entsprechende Rangfolge, die Objektivität für sich beansprucht. Es will gewissermaßen in einer von Informationsreichtum geprägten Welt als funktionales Äquivalent für Mama und Papa dienen. Das gelingt nur durch die Zuschreibung von Objektivität, die nun durch die Fachgesellschaft der Soziologie in Frage gestellt ist. Statt durch die Abbildung gegebener Unterschiede gelangt das Ranking jedoch durch die von ihm selbst erzeugte Realität in den Status einer Instanz, an der sich alle orientieren müssen, weil sich alle an ihr orientieren. Es schafft einen Zwang, zu dem auch der Zwang zur Konsultation des Rankings als verbindlicher Instanz für die Zuteilung von Status gehört. Sauder und Espeland berichten, dass die amerikanischen Law Schools heftig über das Zwangsregime des Rankings durch U.S. News & World Report (USN) klagen, das sie für Unsinn halten, sich ihm aber trotzdem nicht entziehen können:

„Although popular with external audiences, rankings are widely resented by law schools. Responding to the first annual ranking of law schools, Yale’s dean called the rankings ‚an idiot poll‘, while Harvard’s dean described them as ‚Mickey Mouse‘, ‚just plain wacky‘, and ‚totally bonkers‘ (…). Many consider the rankings ‚too stupid to be taken seriously‘. Administrators soon learned, though, that even if they view rankings as poor measures, others do take them seriously. Almost all law schools have since adapted strategies to manage rankings. Even so, dramatic improvements in rank are rare because reputations are slow to change and competitor schools quickly imitate successful innovations.“ (Sauder und Espeland 2009: 68).

Wenn Rankings der Praxis von Bildung und Wissenschaft einen so weithin beklagten Zwang auferlegen, dann muss man sich fragen, warum sie trotzdem zu einer kaum noch zu verdrängenden sozialen Tatsache geworden sind. Als Schüler von Niklas Luhmann könnte man sich gelassen zurücklehnen und die Ausbreitung von Rankings durch ihre Funktion der Komplexitätsreduktion erklären. So einfach ist das aber nicht. Die Existenz eines Phänomens durch die Erfüllung einer Funktion zu erklären, ist ein funktionalistischer Fehlschluss. Wir müssen genauer hinschauen, um herauszufinden, wodurch Rankings in die Lage versetzt werden, sich gegen funktionale Alternativen, wie z.B. Informationen ohne Rangbildung, durchzusetzen. Und es muss genauer erfasst werden, wie und mit welchen Konsequenzen Rankings Komplexität reduzieren.

Für die Durchsetzung gegen Alternativen ist die Errichtung eines Monopols der Definition von Leistung bedeutsam, dem sich die gerankten Fachbereiche nicht entziehen können, weil sie sich sonst als schlechte Verlierer darstellen würden. Über die Art und Weise, in der Leistungen dokumentiert werden, entscheidet dabei nicht die innere Logik der wissenschaftlichen Praxis, sondern die externe Logik der medialen Aufmerksamkeitserzeugung. Mit einer umfangreichen Informationsbroschüre erreicht man keine Leser. Genau das leisten aber Rankings. Sie erregen Aufmerksamkeit. Sie vereinfachen die Sicht der Dinge und gewinnen durch die Veranstaltung eines Wettbewerbs um Rangplätze das Interesse ihrer Leserschaft. Es handelt sich um eine spezifische Art der medialen Ereignisproduktion. Rankings erfüllen also die Funktion der Aufmerksamkeitserzeugung innerhalb des Mediensystems. Wenn es beim bloß medialen Ereignis bliebe, dann wäre es für Bildung und Wissenschaft kein Problem. Das ist aber nicht der Fall. Die mediale Ereignisproduktion von Rankings wirkt in Bildung und Wissenschaft hinein und unterwirft deren Praxis einer ihnen fremden Medienlogik. Es besteht deshalb ein Bedarf an Erklärung dafür, wie Rankings die Praxis von Bildung und Wissenschaft verändern und welche Folgen das für ihre genuine Leistungsfähigkeit hat.

Rankings als self-fulfilling prophecies

Entscheidend ist die Reaktivität von Indikatoren. Dieses Problem ist maßgeblich von dem Sozialpsychologen Donald Campbell (1957: 298) aufgeworfen worden. Indikatoren, die Performanz messen sollen, können selbst die Performanz beeinflussen. In diesem Fall bilden sie Realität nicht ab, sondern erzeugen sie selbst. Bei Rankings geschieht dies dadurch, dass sie als self-fulfilling prophecy wirken, wie Espeland und Sauder (2007: 11-12) herausstellen. Sie beziehen sich dabei auf die klassische Studie von Robert Merton (1949/1968b) über self-fulfilling prophecies. Die allgemeine soziologische Grundlage dafür ist das sogenannte Thomas-Theorem: „If men define situations as real, they are real in their consequences“ (Thomas und Thomas 1928: 572). Rankings lenken den Blick auf die Indikatoren, die immer eine Selektion unter vielen Möglichkeiten darstellen. Die Indikatoren beherrschen das Denken und Handeln von Eltern und ihren Kindern, die auf der Suche nach einem Studienort sind, von Fachbereichen, die Studiengänge anbieten, und von öffentlichen und privaten Investoren, die Finanzmittel für Forschung und Lehre zuteilen.

Wie stark das Ranking von USN die Realität der Law Schools in den USA definiert, bringt der Dekan einer Law School, den Espeland und Sauder zitieren, auf den Punkt: „(Rankings) are always in the back of everbody’s head. With every issue that comes up, we have to ask ‚How is this impacting our ranking?‘ “ (Espeland und Sauder 2007: 11).

Im Einzelnen untersuchen Espeland und Sauder vier Kanäle, durch die Rankings die soziale Realität der Law Schools beeinflussen: Externe Rezipienten lassen sich in ihren Entscheidungen durch Rankings leiten, die Ergebnisse früherer Rankings determinieren weitgehend spätere Rankings, die Verteilung von Forschungs- und Lehrmitteln richtet sich nach ihnen, die Aktivitäten der Fachbereiche zielen auf die Konformität mit den Kriterien von Rankings (Espeland und Sauder 2007: 12). Durch das Zusammenwirken dieser Einflusskanäle werden sachliche Differenzen in Qualitätsunterschiede transformiert, minimale Unterschiede im Rang werden durch die Akkumulation von Wettbewerbsvorteilen stetig vergrößert.

Wie frühere Rankings die Konstruktion späterer Rankings determinieren, lässt sich gut am Beispiel des CHE-Rankings demonstrieren. Wenn ich als Student gefragt werde, wie ich die Methodenausbildung an einem Standort einschätze, dann steckt darin implizit immer ein Vergleich mit anderen Standorten, die ich aber nicht kenne. Was mache ich in dieser Entscheidungssituation bei hoher Unsicherheit? Ich schaue nach, wie die Methodenausbildung in der Vergangenheit eingeschätzt wurde. Nehmen wir an, ein Fachbereich hat letztes Mal eine mittlere Note für die Methodenausbildung erhalten und hat eine Reihe von Veränderungen vorgenommen, dann ändert das oft nichts am Urteil der Studierenden, weil es sich um eine neue Generation handelt, die keinen direkten Vergleich mit der Vergangenheit hat, wohl aber einen indirekten anhand des vergangenen CHE-Rankings. Was liegt näher, als sich darauf zu stützen und die Gegenwart so wie die Vergangenheit zu beurteilen? Darin steckt ein durch das Ranking selbst erzeugter Etikettierungseffekt, von dem sich Fachbereiche nicht befreien können. Deshalb gibt es ja auch nur geringfügige Änderungen von Rankings im Zeitverlauf. Das Ranking verfestigt die Urteile über Standorte und übt dadurch einen konservativen Effekt auf Bildung und Wissenschaft aus.

Was für die Urteile über die Methodenausbildung gilt, das trifft auch auf alle anderen Urteile zu, so auf die Urteile zur Bibliotheksausstattung und zur Studiensituation insgesamt wie auch auf die Professorenurteile über die Standorte. Auch die Zahlen zu Drittmitteln und Publikationen werden maßgeblich durch die Vergangenheit bestimmt, weil mehr Drittmittel und mehr Publikationen in noch mehr Drittmittel und noch mehr Publikationen umgesetzt werden. Auch hier haben Rankings einen konservativen Effekt, der die Forschungssituation verfestigt, wo es gerade auf deren Offenheit ankäme, um ständige Erneuerung in Bildung und Wissenschaft zu ermöglichen. Das ist der ebenfalls von Robert Merton (1968a) beschriebene Matthäus-Effekt in der Wissenschaft.

Die Fachbereiche sehen sich in einen Verdrängungswettbewerb hineingezwungen, der nach dem Gesetz des Stärkeren ausgetragen wird. Sie müssen zu allen denkbaren Mitteln greifen, um ihren Rangplatz ein wenig zu verbessern oder zumindest zu behalten. Dazu gehört auch die Manipulation der Zahlen. So wird eine Gesetzmäßigkeit wirksam, die der schon erwähnte Sozialpsychologe Donald Campbell herausgefunden hat: die Korrumpierung der Indikatoren, weil davon der Rangplatz abhängt. Campbell’s law lautet:

„The more any quantitative social indicator is used for social decision-making, the more subject it will be to corruption pressures and the more apt it will be to distort and corrupt the social process it was intended to monitor.“ (Campbell 1976: 54)

Reduktion von Diversität durch Rankings

Rankings kolonisieren letztlich Bildung und Wissenschaft. Auch das haben Sauder und Espeland (2009) herausgearbeitet. Sie zwingen der Praxis von Forschung und Lehre ihre eigene Logik der Erzeugung von Rangunterschieden auf. Eine wesentliche Konsequenz dieser Kolonisierung von Bildung und Wissenschaft ist die Einschränkung von Vielfalt als entscheidender Ressource für die Offenheit des Bildungsprozesses und des Erkenntnisfortschritts. Genau zu diesem Ergebnis kommen Espeland und Sauder (2009) in einer weiteren Studie zum Ranking der amerikanischen Law Schools durch USN. Diversität wird in einem dreifachen Sinn eingeschränkt, (1) in der Entscheidung von Studierenden für das Fach, (2) in der Zulassung von Studierenden durch die Law Schools und (3) im Angebot von Curricula:

„Rankings not only influence individual decisions about where to apply and attend law school, but also organizational decisions such as whom to admit or hire, how to evaluate the work of subordinates, peers or superiors, and how to think about status and specialization in the field of legal education. Rankings subtly, powerfully and enduringly shape perceptions of ability and achievement. And, as Jean (an interviewed administrator, RM) suggested, attention to rankings can have important implications for the diversity of law schools and the legal profession“ (Espeland and Sauder 2009: 588).

Gewiss verfährt das CHE-Ranking nicht in derselben Weise wie das Ranking von USN. Aber es teilt diesen wie auch andere unerwünschte Effekte mit diesem Ranking. Wir befinden uns in Deutschland am Anfang einer Entwicklung, deren Ende in den USA anhand der erwähnten Untersuchungen von Espeland und Sauder gut dokumentiert ist. Dass es sich dabei um einen globalen Trend handelt, befreit ihn keineswegs von diesen unerwünschten Effekten. Umso dringender ist es, eine offene Debatte darüber zu führen.

Ruling by numbers

Wenn Rankings eine dominante Stellung einnehmen, dann lenken sie den Blick von Studieninteressierten und Fachbereichen auf dessen unvermeidlich Komplexität reduzierende Indikatoren. Dass dadurch das Verhalten von Studieninteressierten und Fachbereichen in die Richtung der Optimierung von Kennzahlen gesteuert wird, folgt daraus logisch. Wer das auch empirisch bestätigt sehen will, kann die Untersuchungen von Espeland und Sauder konsultieren. Rankings repräsentieren „ruling by numbers“ und die Ausbreitung neoliberaler Gouvernementalität (dazu neben Foucault 2006; Porter 1995; Power 1997; Miller und Rose 2008; Dean 1999 sowie Espeland und Stevens 2008).

Zum Schluss möchte ich nochmals betonen, dass der Effekt der Reduktion von Vielfalt durch Rankings unabhängig von ihrer methodischen Qualität auftritt. Er lässt sich durch methodische Verbesserungen nicht beseitigen. Umso grundsätzlicher muss die Debatte über Rankings geführt werden.

Literatur

Campbell, Donald T. 1957. „Factors relevant to the validity of experiments in social settings.“ Psychological Bulletin 54, S. 297-312.
Campbell, Donald T. 1976. „Assessing the impact of planned social change.“ In: Occasional Paper Series No. 8. Western Michigan University, Kalamazoo. Evaluation Center (74 pages). www.eric.ed.gov/PDFS/ED303512.pdf. 17.07.2012.
Dean, Mitchell. 1999. Governmentality. Power and Rule in Modern Society. London: Sage.
Espeland, Wendy N. und Michael Sauder. 2007. „Rankings and reactivity. How public measures recreate social worlds.“ American Journal of Sociology 113 (1), S. 1-40.
Espeland, Wendy N. und Michael Sauder. 2009. „Rankings and Diversity.“ Southern California Review of Law and Social Justice 18 (3), S. 587-608.
Espeland, Wendy N. und Mitchell L. Stevens. 2008. „A Sociology of Quantification.“ European Journal of Sociology 49 (3), S. 401-436.
Foucault, Michel. 2006. Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Merton, Robert K. 1968a. „The Matthew-Effect in Science.“ Science 159/3819, S. 56-63.
Merton, Robert K. 1949/1968b. „The self-fulfilling prophecy.“ In: Robert K. Merton. Social Theory and Social Structure. New York: Free Press, S. 424-436.
Miller, Peter und Nikolas Rose. 2008. Governing the Present. Cambridge: Polity Press.
Porter, Theodor M. 1995. Trust in Numbers: The Pursuit of Objectivity in Science and Public Life. Princeton: Princeton University Press.
Power, Michael. 1997. The Audit Society. History, Institutions, and Social Analysis. Princeton: Princeton University Press.
Sauder, Michael und Wendy N. Espeland. 2009. „The discipline of rankings: Tight coupling and organizational change.“ American Sociological Review 74 (1), S. 63-82.
Thomas, W.I. und Dorothy Swaine Thomas. 1928. The Children in America: Behavior Problems and Programs. New York: Knopf.