Die Sehnsucht nach der perfekten Dyade

Zum Valentinstag 2016 gab Eva Illouz in einem Essay in der Tageszeitung Haaretz den Rat, man möge doch statt der Liebesbeziehung zu huldigen lieber Freundschaften feiern. Sie argumentiert dabei folgendermaßen: Liebe – im Gegensatz zu Freundschaft – ist an ekstatische Gefühle gebunden, deren Grundlagen – seien diese (neuro-)biologisch, (neuro-)psychologisch, sozial konstruiert oder all dies gleich- und wechselseitig – zur Unkontrollierbarkeit neigen, zur Obsession. Dabei, so Illouz, sei eine gewisse Dringlichkeit zu beobachten, etwa wenn wir die andere Person begehren, berühren wollen und uns dafür in Autos und Züge setzen, das Land verlassen und den Schlaf vergessen. Diese führe final zu Schmerz. Der Schmerz orientiert sich in der Ausdrucksform am Status der eingegangenen Liebesbeziehung. Zu Beginn äußere er sich in Unsicherheit, dann in Eifersucht, zuletzt bestehe immer die Gefahr der Trennung. Illouz wünscht sich daher eine höhere Wertschätzung der Freundschaft, schließlich sei sie frei von Eifersucht, von Tragödie und böte sich damit auch nicht zur lächerlichen Darstellung in Komödien an. Freundschaft – so Illouz‘ kritischer Schluss – sei kapitalistisch nicht verwertbar: „friendship is a feeling experienced in freedom“. Nun ist Illouz nicht die einzige, die sich mit dem Spannungsfeld zwischen Liebe – ob romantisch oder partnerschaftlich – und Freundschaft beschäftigt und sich auf die eine oder andere Seite schlägt. Häufig essayistisch wird mal die Lebensweise als Single einem dichten Netzwerk aus Freundschaftsbeziehungen beschworen, wird thematisiert, wie sich aus Freundschaft endlich Liebe entwickelt oder Konflikte zwischen Freundschaft und Liebe beschrieben. Aber sind die Beziehungsformen wirklich so konträr? Wo sind aus soziologischer Perspektive nun also die Unterschiede, wo die Gemeinsamkeiten? „Die Sehnsucht nach der perfekten Dyade“ weiterlesen

It ain’t Feminism – It‘s the Economy, … – Vom blinden Fleck antigenderistischer Kritik

Nur mit einem Bild und ohne weitere Worte setzte Queen B aka Beyoncé vor wenigen Wochen ein Statement auf Instagram gegen die im Internet kursierenden Bilder der Aktion „Women against Feminism“. In Deutschland veröffentlichte die Jugendorganisation der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) in diesem Jahr ähnliche antifeministische Statements.

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Der Ernährer und die Hausfrau, oder: Der Arbeitnehmer und die Verbraucherin

Der Konsument und der Produzent sind nicht geschlechtsneutral: Der Arbeitnehmer (= Ernährer) ist historisch gesehen ein Mann, die Verbraucherin (= Hausfrau) eine Frau. Warum? Wie kam es dazu? Und welche Bezüge weisen Konsum- und Wirtschaftssoziologie zur Debatte um das Ernährer-Hausfrau-Modell sowie die weibliche Karrierechancen auf?

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Der Konsum als vernachlässigtes Thema in der Soziologie

So produktiv die Differenzierung der Soziologie in spezielle Soziologien in vielen Bereichen ist, so problematisch ist, dass sie dadurch auch systematisch blinde Flecken entwickelt. Einer der blinden Flecken ist die Konsumsoziologie. Während der Konsum im Angelsächsischen ein breites und etabliertes Feld soziologischer Analyse ist (Ryan 2007), fristet das Thema in Deutschland ein Schattendasein. Dabei ergeben sich zahlreiche Verknüpfungsmöglichkeiten mit anderen Themenfeldern der Soziologie, die das Potenzial soziologischer Analyse deutlich erhöhen würden.

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»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung II

Es ist Weihnachten und Chanukkah, die Zeit der Wünsche. Also will ich mir in meinem letzten Blog-Eintrag auch etwas wünschen. Oder besser: Ich möchte eine Einladung aussprechen, weiter nachzudenken über die Frage, mit der mein vorheriger Beitrag endete: Wo – über den Kapitalismus hinaus  – wäre im heute Wirklichen das Mögliche einer anderen Gesellschaft auszumachen und diskursiv zu stärken? Und ich möchte selbst mit dem Nachdenken beginnen.

Bedanken möchte ich mich bei allen, die kommentiert haben, Antworten darauf folgen noch. Den nachfolgenden Blogger_innen wünsche ich Spaß und intellektuelles Vergnügen bei der Aufgabe. Beides hatte ich. „»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung II“ weiterlesen

»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung I

[Der heutige Eintrag basiert in Teilen auf Überlegun­gen, die ich gemeinsam mit Irene Dölling auf dem Workshop »Re-Visionen der Kritik: Aspekte einer Dia­lektik feministischer Aufklärung« am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen im März 2010 vorgestellt habe. Die zitierte Losung fand sich im Herbst 2009 am Haus der Demokratie und Menschrenrechte in Berlin.]

In der vergangenen Woche endete ich mit der Frage, welches Wissen und welche Praxen, wel­che Erfahrungen und welche Horizonte sich (zukünftig) unter den Namen ›Feminismus‹ wie­derfinden (können). Als eine Antwort auf diese Frage, aber auch vor dem Hintergrund des weit­gehenden Schweigens der akademischen Sozial­wissenschaften zu den medial nach wie vor als »bewältigbaren Krisen« verbrämten Verwer­fungen kapitalistischer Reproduktion will ich in meinen beiden letzten Einträgen als Bloggerin für die DGS eine Bilanz sozialwissen-schaftlicher Geschlechterforschung versuchen. „»Keine Revolution ist auch keine Lösung«. Zur Dialektik feministischer Aufklärung I“ weiterlesen

Rock wie Hose. Feminismus Reloaded

Ich gestehe, dass mich die – überaus willkomme­nen – Kommentare zu meinem letzten Eintrag überrascht haben. Dass Minirock und femini­stisches Engagement einander widersprechen, dies zu behaupten lag und liegt mir fern. Wer Alice Schwarzers Biografie gelesen hat, wird hier reichlich Belege dafür finden, dass ›im Geiste von Alice‹ feministische Politik machen bereits bei dieser selbst hieß, Politik (auch) im Minirock zu betreiben. Dies als Widerspruch zu begreifen, liegt mir im Übrigen ebenso fern, wie etwa anzuneh­men, dass sich unter Kopftüchern keine femini­stischen Haltungen finden lassen. Worum es mir vielmehr ging, war, jene diskursive Bewegung kenntlich zu machen, wie diese doppelte Bewe­gung der simultanen Aneignung und Abstoßung von Feminismus zu verstehen ist. Schauen wir uns diese daher noch einmal genauer an. „Rock wie Hose. Feminismus Reloaded“ weiterlesen

»Im Geist von Alice – aber mit Make-up und Minirock«. Postfeministische Pirouetten

Kann Feminismus nicht auch sexy sein? Stehen ›knappe Outfits, Make-up und Kleider‹ tatsächlich im Widerspruch zu feministischer Politik? Auf diese Frage, die keine ist, wurde in den vergangenen Jahren die Auseinandersetzung um die Zeitgemäßheit von Feminismus oft zugespitzt. Auch mein Beitrag in der letzten Woche könnte als eindeutige Antwort auf diese Nicht-Frage gelesen werden: Minirock ist Zwang und damit nicht-feministisch. Beleuchten wir die »postfeministische Maskerade« (Angela McRobbie) daher noch einmal etwas genauer.

Die Äußerung der Mitarbeiterin des Wuppertaler Gleichstellungsbüros steht für eine durchaus exemplarisch zu nennende, unserer Zeit und Dynamik angemessene – for better or worse – feministische Haltung. Diese äußert sich gerade nicht in ausschließlich dezidierter, gar apodiktischer Ablehnung feministischer Inhalte. Doch um Feminismus, seinen Beitrag für die Freiheitsgewinne von Frauen (und Männern) honorieren, und auch, um sich in einer vermeintlich entideologisierten Weise das viel geschmähte F-Wort aneignen zu können, scheint es unumgänglich, sich zunächst von einem vorgeblich einstmals existiert habenden verbiesterten Spaßbremsen-Feminismus zu distanzieren. „»Im Geist von Alice – aber mit Make-up und Minirock«. Postfeministische Pirouetten“ weiterlesen

Mit Rock im Ring. Das Tabu der Gleichheit

Ereignisse, die einer feministisch-soziologischen Kommentierung bedürften, gab es in den vergangenen Tagen ja zuhauf. So etwa die vielleicht auch von der feministischen Beobachtung eher kaum bemerkte Anregung der International Boxing Association (AIBA), dass die bei den im kommenden Jahr erstmals stattfindenden olympischen Frauen-Boxwettkämpfen zugelassenen Boxerinnen doch Miniröcke im Ring tragen sollten, um die Kämpfe attraktiver zu machen. Eine Anregung, auf die es international Kritik hagelte, vor allem von Boxerinnen selbst, weshalb die »Rock-Regel« umgehend wieder zurückgenommen und als »Vorschlag« ausgegeben wurde.

Nun mögen Kleidungsvorschriften im Sport durchaus ihre Berechtigung haben – so lange es um Funktionalität geht. Im (Leistungs-)Sport von Frauen scheint indes vor allem das Prinzip »sex sells« zu gelten. Dass etwa im Beachvolleyball die offizielle Regel gilt, »dass die Bikini-Höschen an der Seite nur sieben cm breit sein dürfen«, kann jedenfalls kaum funktionalen, sportlichen Erwägungen folgen. „Mit Rock im Ring. Das Tabu der Gleichheit“ weiterlesen

Feministische Ambivalenzen der Gegenwart

Das Leben als DGS-Bloggerin ist nicht einfach. Insbesondere ist es derzeit von einer fast schon komisch zu nennenden Asynchronität bestimmt. Bloggen ist ein schnelle, flüchtige Kommunikationsform, sie lebt nicht zuletzt davon, unmittelbar auf tagespolitische Ereignisse zu reagieren. Dafür aber muss die Technik mitspielen. Und genau das tat der Server des DGS-Blogs in den vergangenen Wochen eher selten. Auch der heutige Eintrag kreiste technisch bedingt erneut lange in der Warteschleife. Mir bleibt daher nur zu wünschen, dass mögliche Leser_innen des Blogs diesem gewogen bleiben, auch wenn er derzeit fast nie erreichbar ist.

In der vergangenen Woche formulierte ich ein sehr deutliches Plädoyer für eine gesetzlich garantierte Quote für die Führungsetagen deutscher Unternehmen. Zu Recht könnte eingewandt werden, ob Feminismus nichts besseres zu tun hat, als sich um die geschlechtergerechte Zusammensetzung ökonomisch-politischer Eliten zu sorgen. Zumal hier ohnehin schon viel erreicht ist. Beschäftigen wir uns heute also mit der Frage, wofür Feminismus heute noch streiten könnte, streiten müsste. „Feministische Ambivalenzen der Gegenwart“ weiterlesen

Geschlechtersoziologisch betrachtet: Die Quote

[Ein Blog lebt von seiner Aktualität. Die DGS-Seiten migrierten am vergangenen Wochenende. Das dauerte länger als geplant, weshalb dieser Eintrag einige Tage in der Pipeline schmorte. Ich freue mich darauf, in den nächsten Wochen für den DGS-Blog die Welt feministisch-geschlechtersoziologisch kommentieren zu dürfen.]

Auf einer der politischen Nebenbühnen der Re­publik stritten in den vergangenen Wochen an­lässlich des „Quotengipfels“, auf dem die Bun­desregierung mit den Dax-30-Unternehmen  wieder einmal „den Dialog über die Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen“ pflegte (BMFSJ), die beteiligten Ministerinnen erneut über die Sinnhaftigkeit gesetzlicher Vor­gaben, um eben diesen Frauenanteil in Auf­sichtsräten und Vorständen zu steigern.

Das ist eigentlich schon keine Meldung mehr wert, werden hier doch seit Jahr und Tag die immergleichen Positionen ausgetauscht, einzig wechselnd ist allein das (partei-)politische Per­sonal, das diese Positionen vertritt. Umso er­staunlicher ist es daher, wie viel Beunruhigung die Forderung nach dieser Quote immer noch und immer wieder auslöst. Denn nicht nur die Ministerinnen streiten sich, auch im Netz bei­spielsweise ist der Streit um diese Forderung ein Dauerbrenner. Da provoziert schon ein femini­stischer Umtriebe ansonsten unverdächtiger ZEIT-Artikel, der pro Quote argumentiert, locker 600 Kommentare binnen Wochenfrist – eine Quote, von der der DGS-Blog nur träumen kann. Und dabei handelt es sich bei der weitaus größe­ren Zahl dieser Kommentare um teils ebenso aufwändig konstruierte wie verschwurbelt for­mulierte antifeministische Traktate. „Geschlechtersoziologisch betrachtet: Die Quote“ weiterlesen