Wenngleich Ideen, die gegenwärtig mit dem Begriff der sozialen Innovation belegt werden, selbst keineswegs Anspruch auf Neuigkeit erheben können (vgl. u. a. Popplow 2021), ist in jüngerer Zeit ein vermehrtes politisches wie auch wissenschaftliches Interesse an dem theoretischen Konzept sowie entsprechend markierten empirischen Phänomen zu vermerken (Schüll et al. 2022; Howaldt 2022). Soziale Ungleichheiten, gesellschaftlicher Wandel und diverse – aktuelle wie sich abzeichnende – Krisenphänomene (u. a. COVID-19-Pandemie, Kriege, Migrationsbewegungen, Klimawandel) leisten Diskussionen um soziale Innovation und Transformation zusätzlichen Vorschub. Diesen als miteinander verschränkt wahrgenommenen gesellschaftlichen Entwicklungen soll, zumindest auf programmatischer Ebene, durch soziale Innovationen begegnet werden – sie fungieren hier als ›Instrumente gesellschaftlicher Gestaltung‹ wie auch als Mittel zur ›Steuerung sozialen Wandels‹ (Schubert 2016: 409). Als konstitutiv für soziale Innovation gelten dabei Merkmale wie Anders- und Neuartigkeit sowie der Anspruch, gesellschaftliche Phänomene, Entwicklungen wie auch individuelle Lebensäußerungen unter ›Bezugnahme auf gesellschaftlich hoch geachtete Werte und anerkannte Zieldimensionen‹ (Schüll 2022: 33) zu einem ›Besseren‹ zu beeinflussen.
Daran lässt sich mehreres festmachen: Zum einen wird deutlich, dass der politische, ökonomische und kulturelle Begriffsgebrauch normativ grundiert ist; Innovation meint – zumindest gegenwärtig – meist etwas scheinbar selbstverständlich Positives (John/Aderhold/Bormann 2012: 7). Dies trifft nicht selten auch auf soziale Innovation als analytische Kategorie zu. Zum anderen bedarf der Innovationsbegriff grundlegend eines ›Gegenübers‹: Er ist verwiesen auf je konkrete und als problematisch markierte Sachverhalte, die einer Intervention zuzuführen sind (z. B. Arbeitslosigkeit, Armut, Exklusion, Kriminalität). Wiewohl von problemsoziologischer Seite angemerkt wurde und wird, dass es sich bei sozialen Problemen um historisch wie kul-turell kontextualisierte Phänomene handelt, deren ›Lösung‹ ungewiss ist (u.a. Groenemeyer 2010; 2012), werden soziale Innovationen nicht selten als ebendies gerahmt: als ›Beiträge […] zur Lösung sozialer Probleme‹ (Schüll 2022: 32 f.), als ›Reparaturinnovationen‹ (Schubert 2016: 415; vgl. auch Howaldt/Schwarz 2010: 54) – die sich bei genauerer Betrachtung allerdings als gleichermaßen interessen- und definitionsabhängig darstellen.
Trotz dieses Verweisungszusammenhanges werden soziale Innovationen und soziale Prob-leme bislang weitgehend in differenten Diskursen verhandelt, ohne aufeinander Bezug zu nehmen. Dies nimmt die Tagung zum Anlass, soziale Innovationen aus einer problemsoziologischen Perspektive auszuloten. Die nachfolgend dargestellten Themenbereiche und Fragen können als Anknüpfungspunkte für Beitragseinreichungen dienen:
- Wie lassen sich soziale Innovationen als (un)doing social problems fassen? Welche (Ent-)Problematisierungen werden sichtbar? Lassen sich Kontinuitäten von Problematisierungsdiskursen rekonstruieren? Welche ›Problemgruppen‹ werden konstruiert? Welche (Re-)Essentialisierungen gehen mit sozialer Innovation einher?
- Welche Diagnose-, Lösungs- und Mobilisierungsrahmen (Groenemeyer 2010: 29) werden in welcher Weise als Innovation angeboten? Welche claims über die ›Natur‹ des Problems und mögliche Lösungen zeigen sich?
- Wer betreibt Agendasetting? Stellt Innovationsforschung eine eigene Akteurin im ›social problems game‹ (Loseke, 2017) dar?
- Welche Rolle spielen bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse bei der Definition sozialer Probleme und sozialer Innovationen? Wer darf sich wie positionieren (z.B. ›Letzte Generation‹; Klimaaktivist:innen)?
- Wie funktionieren Diskurse sozialer Innovation? Wie werden Erneuerungsdispositive (z.B. ›Nachhaltigkeit‹) wirksam?
- Was wird sichtbar, wenn die Genese, Verbreitung und Institutionalisierung sozialer Innovationen in ihrer ambivalenten Bedeutung in und für gesellschaftliche Veränderungs-prozesse in den Blick genommen wird?
- Inwiefern lassen sich Prozesse der Problematisierung sowie sozialer Innovationen als Ausdruck neuer gesellschaftlicher Inklusionsdynamiken sowie damit verbundener Transformationen begreifen? Zeichnen sich hierbei umgekehrt neuartige Formen der Exklusion ab?
- Welche Kontinuitäten werden in der Innovationsdebatte über Problematisierungsdis-kurse sichtbar?
Abstracts (max. 2400 Zeichen inkl. Leerzeichen) zu den Tagungsbeiträgen werden – im Na-men des Vorstandes der Sektion soziale Probleme und soziale Kontrolle – bis zum 28.04.2023 erbeten an:
Anke Neuber (anke.neuber(at)hs-hannover.de)
Holger Schmidt (Holger.Schmidt(at)uni-siegen.de)