Call for Papers

20 Jahre Hartz IV: Zwischen Kontinuität und Paradigmenwandel?

Deadline: 30. April 2024

Kaum eine arbeitsmarktpolitische Reform wurde so intensiv diskutiert wie die Neuausrichtung der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, welche durch die Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt eingeläutet wurden, feiert in Kürze ihr zwanzigjähriges Jubiläum: Das Gesetz trat am 1. Januar 2005 in Kraft. Hartz IV war ein zentrales Kapitel der ›Agenda 2010‹ und regelte vordringlich die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II. In der Forschung ist seither viel über die Frage von Kontinuität und Wandel des Politikfeldes diskutiert worden. Die Forschung ist sich darüber einig, dass die Hartz-Reform als Meilenstein der Arbeitsmarktpolitik zu sehen ist. In der Genese sind starke Anleihen und Bezüge zu den angelsächsischen Ländern erkennbar (z.B. das Schröder-Blair-Papier 1999). Dazu zählen die Debatten der Perspektive des Dritten Weges, der Frage von Workfare aber auch Auseinandersetzungen über die Mitwirkungspflicht der Leistungsbeziehenden. Der Wandel hin zu einem Paradigma einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik wurde von vielen Akteuer:innen heftig kritisiert und zugleich mit der Frage der Leistungskürzung und eines Sozialstaatsabbaus verbunden. Unterdessen wurde damit aber auch der Weg für eine Modernisierung der Verwaltung und der damit verbundenen Prozesse weiter vorangetrieben, was schließlich auch zu einer veränderten Dienstleistungsorientierung der Arbeitsverwaltung beigetragen hat.

Wenngleich die Grundsicherung für Arbeitssuchende mit der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe eingeführt wurde, so bleibt der wissenschaftliche Diskurs längst nicht mehr allein auf das SGB II konzentriert. Debatten um eine zielgenaue Integration in Erwerbsarbeit finden sich inzwischen rechtskreisübergreifend. Neben der starken Aktivierungsperspektive sind das Menschenbild und auch die Schaffung von Anreizen für Arbeitslose zur Arbeitsaufnahme, insbesondere Sanktionen, immer wieder Bestandteil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Auch die eher normativ orientierte Forschung hat ihre Perspektive deutlich erweitert. Begriffe wie Aktivierung oder Workfare werden zwar nach wie vor diskutiert, sind aber deutlich um sozialinvestive Ideen erweitert worden. Ein weiterer Aspekt sind Fragen der Reichweite, Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Politikfeldes. Neben dergrundlegenden Reform von 2004 werden auch die Reform zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, das Teilhabechancengesetz und die Bürgergeldreform unter ganz unterschiedlichen Aspekten betrachtet. Daneben gibt es Studien, die sich mit der Medienberichterstattung befassen. Schließlich konzentrieren sich einige Wissenschaftler:innen auf die Evaluation der Ergebnisse und Implikationen für das facettenreiche Forschungsgebiet. Aber auch die Leistungsberechtigten selbst und der Umgang mit ihnen stehen immer wieder im Fokus wissenschaftlicher Betrachtungen.

In den hier ohne Vollständigkeitsanspruch skizzierten Forschungsbereichen zeigen sich differenzierte wissenschaftliche Befunde, die jedoch um neue Perspektiven ergänzt werden sollten. Zugleich hat die Corona-Pandemie wie durch ein Brennglas verdeutlicht, dass, obwohl sich positive Entwicklungen am Arbeitsmarkt abzeichnen, bestimmte vulnerable Gruppen von Teilhabe und Integration ausgeschlossen sind. Dies ist aber nur ein Themenfeld, in dem Forschungsdesiderate zu erkennen sind und Nachholbedarf besteht. Auch die Implikationen bestimmter rechtlicher Rahmenbedingungen (wie z.B. die Anpassungen des Qualifizierungsgeldes zum April 2024) sind noch zu analysieren. Nach den vielschichtigen Forschungser- gebnissen und -desideraten ist es nach 20 Jahren Hartz IV Zeit, eine kritische Bilanz zu ziehen.

Vor diesem Hintergrund sollen in einem Special Issue des Sozialen Fortschritts Aufsätze versammelt werden, die

  • sich mit theoretisch-normativen Debatten der Veränderungen im Kontext der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik (z.B. Veränderung der theoretischen Einordnung des deutschen Wohlfahrtsstaates) oder der entsprechenden Ausgestaltung des Policy-Feldes Arbeitsmarktpolitik (z.B. Entwicklungslinien und Gegenbewegungen) befassen,
  • aus einer Stakeholder-Perspektive die Rolle von Kund:innen und Beratenden (u.a. Rollenerwartungen, arbeitsweltliche Realität, Partizipation, Attraktivität, Perspektiven) bzw. auch die Entwicklung des Menschenbildes (z.B. aufgrund eines internationalen Systemvergleichs) in der Arbeitsmarktpolitik adressieren,
  • sich mit den Veränderungen der Governance der Arbeitsverwaltung (Modi, Strategien, New Public Management etc.) auseinandersetzen und dabei Herausforderungen und Schlussfolgerungen (Folgen von Strukturveränderungen für Dienstleistungsqualität, Inanspruchnahme etc.) erörtern,
  • sich mit dem Wandel der arbeitsmarktpolitischen Programme und Instrumente (bspw. unter dem Schwerpunkt der Innovation oder der Perspektive von Kontinuität und Wandel) auseinandersetzen und Implikationen für die Ausgestaltung der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik ableiten.

Beiträge, die sich hierbei auf regional (u.a. Modell- oder Problemregionen) bzw. international (z.B. policy learning von/für Deutschland) vergleichende Perspektiven beziehen, sind ausdrücklich erwünscht.

Das Herausgeberteam wünscht sich Beitragsvorschläge zu diesen oder verwandten Themen aus einer multi- bzw. auch interdisziplinären Forschungsperspektive. Willkommen sind sowohl theoretisch-normativ als auch empirisch ausgerichtete Papiere mit unterschiedlichen methodischen Schwerpunkten (qualitativ, quantitativ und mixed methods). Wir ermuntern Nachwuchswissenschaftler:innen, Papervorschläge einzureichen. Neben dieser Perspektive eröffnen wir auch die Möglichkeit, kürzere Papervorschläge aus der Praxis einzureichen. Bitte machen Sie dies bei der Einreichung deutlich. Die Abstracts für die geplanten Beiträge sollen maximal 400 Wörter umfassen und bis zum an: 30. April 2024 an michaela.schulze(at)hdba.de eingereicht werden.

Inhaltliche und organisatorische Fragen beantworten die Herausgeber:innen des Special Isssues Ralph Conrads (ralph.conrads(at)hdba.de) und Michaela Schulze (michaela.schulze(at)hdba.de).

Über die Auswahl der Beiträge werden wir zügig informieren. Alle Beiträge werden nach Ihrer Einreichung doppelt begutachtet. Es ist das Ziel, das Heft in der ersten Hälfte des Jubiläumsjahres zu veröffentlichen.