Call for Papers

Die Affektlage zum gesellschaftlichen Klima. Verunsicherung als spezifische Affizierung und als Herausforderung für die soziologische Theoriebildung

Deadline: 16. März 2025

Das Themenpapier des ÖGS-Kongresses umschreibt mit ›sozialer Kälte, ‚Überhitzung‹ und ›kollektiver Erregung‹ gegenwärtige gesellschaftliche Spannungslagen und verwendet damit ein Vokabular, das affekttheoretisch inspiriert scheint.

Das Sprechen über Affekte (wie über Emotionen, Stimmungen und Atmosphären) hat in den letzten Jahren gesellschaftspolitisch und soziologisch an Präsenz gewonnen. Das Auftreten des Affektiven und die Versuche, es als eine Meteorologie des gesellschaftlichen Klimas zu begreifen, aber auch zu ›bewirtschaften‹, lassen sich als Reaktionen auf multiple Verunsicherungen verstehen, die z.B. infolge des Klimawandels, der Digitalisierung und/oder einem Wiedererstarken rechtspopulistischer Bewegungen auftreten. Der Umgang mit diesen Entwicklungen eint ihr dringlicher Ton, ihre umstrittene Bewertung sowie die Produktion kakophoner Diskursgewitter, in denen konträre Positionen als hochgradig polarisiert und unvereinbar erscheinen. Die daraus hervorgehenden erhitzten Stimmungen erzeugen selbst Atmosphären, in denen Rufe nach schnell gegebenen Antworten auf unübersichtliche Lagen und beängstigende Prognosen – kurz: auf die zunehmende Komplexität und Dynamik der Zusammenhänge – lauter werden und Vereinfachungen zum Geschäft machen, wie nicht zuletzt die ›Verlockung des Autoritären‹ bezeugt. Gerade Interpretationen einer ›polarisierten Gesellschaft‹ vereinfachen wie vereindeutigen: sie reduzieren Komplexität und suggerieren, dass die Konstruktion logischer Eindeutigkeiten neue Sicherheiten generieren könnte.

Unter diesem Blickwinkel betrachtet, erscheint Polarisierung als Vermeidungsstrategie, nicht Ambivalenz, Ambiguität und Unsicherheit aushalten zu müssen, als sich selbst beruhigende Antwort auf die eigene Verunsicherung und als trivial-rationale Annahme, Einfachheit und Eindeutigkeit seien besser als Komplexität, Mehrdeutigkeit und Unentschiedenheit. Mit dieser Überlegung, dass in den Diskursräumen (bloßes) Meinen, Affiziert-Sein und Vereinfachen zusammenwirken, soll genauer danach gefragt werden, welche Rolle dabei der Dimension des Affektiven zukommt. Sozialität wird auch affektiv hergestellt. Affizierungen schärfen unsere Aufmerksamkeit, sie bahnen den Weg zu uns selbst und zur Welt und sensibilisieren uns. Andererseits sind sie prä-sinnhaft: sie sind instabil, zu Teilen unbestimmt. Verunsicherung zu erfahren, das affiziert.

Im Rahmen der von uns organisierten ad hoc-Gruppe ›Die Affektlage zum gesellschaftlichen Klima‹ suchen wir nach empirischen Analysen zur Verunsicherung als spezifische Affizierung in verschiedenen Arenen:

  • Wie wirkt Verunsicherung als spezifische Affizierung in diesen einzelnen Arenen?
  • Welche spezifischen Formen nehmen diese Affizierungen in den Arenen an, in denen Sicherheiten hinterfragt werden oder (vermeintlich) erodieren und Verunsicherungen beklagt werden?
  • Wer wird wie adressiert, wenn diese Verunsicherungen thematisiert werden?
  • Welche Ansprüche werden erhoben, wenn angemahnt wird, diesen Verunsicherungen zu begegnen und Antworten und ›Lösungen‹ – wie derzeit oft in der Tagespolitik formuliert – zu finden?
  • Was ist aus den affekttheoretischen Analysen für soziologische Fragen zu gewinnen?

sowie nach Beiträgen, die Affekte als eine Herausforderung für die tradierte Art soziologischer Theoriebildung thematisieren:

  • Wie kann der instabil-unbestimmte Charakter von Affekten theoretisiert werden, ohne stillgestellt zu sein?
  • Welche Begriffe, Konzepte und/oder Denkfiguren bringt die Affektforschung in die soziologische Theoriebildung ein?
  • Wie wirken sich Affizierungen auf die Praxis des Theoretisierens aus?

Wir bitten um die Zusendung der Abstracts von maximal 2.500 Zeichen inkl. Leerzeichen bis zum 16.03.2025 an:

Claudia Peter: claudia.peter(at)fb4.fra-uas.de 
Marc Strotmann: marc.strotmann(at)uni-hamburg.de 
Dennis Wilke: denwilke(at)uni-mainz.de