Normen sind eng mit der Erzeugung, Vermittlung und Veränderung von Wissen verknüpft. Sie prägen unsere Vorstellungen davon, was als richtig, angemessen oder selbstverständlich gilt – und bilden damit eine zentrale Grundlage sozialer Wirklichkeit. Diese Relationalität von Normen und Wirklichkeiten lässt sich auf unterschiedlichen miteinander verflochtenen Ebenen analytisch betrachten:
– Erstens strukturieren Normen die Erfahrungswelt von Subjekten, indem sie Orientierung für Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Handeln bereitstellen. Damit sie gesellschaftliche Wirklichkeit prägen können, müssen sie jedoch zunächst gelernt und als Wissen internalisiert werden – etwa in Sozialisationsprozessen durch Sprache und Legitimationen. Im Rahmen der Internalisierung wirken Normen nicht nur handlungsleitend, sondern fordern zugleich zur Auseinandersetzung heraus: Individuen erkennen Normen, bewerten sie, passen sich ihnen an oder setzen sich über sie hinweg. Dadurch werden Normen auch zu Gegenständen subjektiver Deutung, Neuinterpretation und Widerständigkeit.
– Zweitens treten Normen in sozialen Interaktionen als geteilte Erwartungshorizonte auf. Sie stabilisieren wechselseitige Bezugnahmen, organisieren Rollenverteilungen und schaffen eine Ordnung, die durch das Handeln der Beteiligten kontinuierlich bestätigt, irritiert oder transformiert wird. Diese intersubjektive Dimension macht Normen zu dynamischen Elementen sozialer Aushandlung: In alltäglichen Begegnungen werden Normen nicht nur befolgt, sondern auch verhandelt, verschoben oder infrage gestellt – wobei sich Einigkeit und Konflikt gleichermaßen manifestieren können.
– Drittens sind Normen auf struktureller Ebene in institutionelle Ordnungen eingebettet und wirken über formelle wie informelle Regeln, Rollenerwartungen, Diskurse und materielle Artefakte. Durch Prozesse historischer Institutionalisierung erscheinen sie als objektivierte Realität: Sie sind externalisiert, symbolisch verdichtet und werden über Sozialisation und Kommunikation verinnerlicht. Gleichwohl sind Normen nie endgültig abgeschlossen – sie unterliegen stetigem Wandel. In diesem Spannungsfeld von Stabilisierung und Veränderung wird deutlich, dass auch Strukturen stets normativ mitkonstituiert sind und als Aushandlungen verstanden werden können.
Der Workshop richtet sich an Forscher*innen, die sich mit der Relationalität von Normen und Wirklichkeiten beschäftigen. Eingeladen sind Beiträge aus der Wissenssoziologie sowie angrenzender disziplinärer Kontexte, etwa aus der interpretativen Sozialforschung, Kulturanthropologie, Medienwissenschaft oder qualitativen Rechtssoziologie. Besonders ermutigen wir Nachwuchswissenschaftler*innen zu Einreichungen.
Im Fokus der Beiträge sollen eine oder mehrere der folgenden Fragen stehen:
- Wie lassen sich Normen als (wissens-)soziologische Gegenstände theoretisch oder methodisch untersuchen?
- In welchem Verhältnis stehen Wirklichkeits- und Normenkonstruktion, sei es auf subjektiver, interaktiver und/oder struktureller Ebene?
- Welche (aktuellen) Herausforderungen ergeben sich in der Beforschung der Wechselwirkung zwischen Wirklichkeit und Normen?
Abstracts im Umfang von etwa einer Seite (inkl. kurzer Angaben zur Person) können bis zum 30. September 2025 parallel an folgende Adressen eingereicht werden: ekkehard.coenen(at)uni-weimar.de und theresa.vollmer(at)univie.ac.at
Eine Rückmeldung erfolgt bis Ende Oktober 2025. Der Workshop findet in Präsenz statt. Die Teilnahme ist kostenlos; Reise- und Übernachtungskosten können leider nicht übernommen werden. Als Veranstalter*innen sind wir bemüht, etwaige Barrieren der Teilnahme möglichst zu reduzieren. Sollten Ihrerseits Fragen bestehen, können Sie sich gerne an uns wenden.
Wir freuen uns auf Ihre bzw. Eure Einreichungen!