Call for Papers

Vom Antun, Erleiden und Bewahren. Heritage Studies und sozialwissenschaftliche Gewaltforschung im Dialog

Deadline: 15. Oktober 2025

Gewalt und Heritage sind eng miteinander verwoben. Gewalt hinterlässt Spuren - nicht nur an Körpern, sondern auch an Dingen und in Räumen. Etliche Stätten, Artefakte und Erzählungen des kulturellen Erbes bestehen nur, weil zuvor Gewalt stattgefunden hat. Kulturelles Erbe, sei es zum Beispiel in Form von Kolonialarchiven, KZ-Gedenkstätten, Holocaust-Museen oder Mahnmälern für Opfer von Gewaltverbrechen, bauen auf solchen Spuren auf. Indem sie diese bewahren, konservieren sie gewaltvolle Vergangenheiten; und zwar oftmals in einem Spannungsfeld zwischen Mahnung und identitätsstiften-der Glorifizierung. Dabei ist das, was als Erbe gilt, Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse, welche wiederum konflikthaft und gewaltförmig verlaufen können. Denk-malstürze, Proteste gegen koloniale Musealisierung oder Debatten um Straßennamen zeigen: Heritage kann soziale Gewaltverhältnisse fortschreiben oder in Frage stellen.

Entlang dieser Beobachtungen ergibt sich ein weites Forschungsfeld, das an der Schnittstelle von sozialwissenschaftlicher Gewaltforschung und Heritage Studies zu verorten ist: Während Erstere beleuchtet, was als Gewalt zählt, wer sie ausüben und erleiden kann, wie sie legitimiert wird und welche destruktiven sowie produktiven Kräfte sie entfaltet, fragen Letztere danach, was Heritage ist, wie es entsteht, welche Formen es annimmt und wer definiert, was erinnert wird (und was nicht). Beide beziehen sich auf Forschungs-gegenstände, die nicht einfach gegeben, sondern sozial konstruiert und normativ aufgeladen sind; wobei Gewalt oftmals negativ und Heritage meist positiv konnotiert ist.

Die geplante Tagung zielt darauf, diese unterschiedlichen Perspektiven in einen produktiven Dialog zu bringen; und zwar auf Ebene der Wissenschaft und der Praxis. Im Fokus steht die Verbindungen zwischen Gewaltereignissen und deren gesellschaftlicher Bedeutung einerseits und den Formen kulturellen Erbes, in denen solche Erfahrungen bewahrt, dargestellt oder verhandelt werden, andererseits. Konkret fragt die Tagung danach, wie und warum bestimmte Gewalterfahrungen als ›Erbe‹ erinnert, bewahrt oder marginalisiert werden - und welche gesellschaftlichen Auseinandersetzungen damit verbunden sind.

Dabei lassen sich zwei Formen solcher Auseinandersetzungen unterscheiden: Zum einen geht es um fachliche Debatten im Prozess der „Heritageisierung" - etwa darum, wie Gewalt im Museum, in der Gedenkstätte oder im Archiv präsentiert wird, welche Narrative dominieren und welche Begriffe von Gewalt dabei zugrunde gelegt werden. Zum anderen stehen gesellschaftliche Rezeptionen im Fokus - etwa zivilgesellschaftliche Initiativen, politische Konflikte oder mediale Diskurse, die das Erinnern an Gewalt und dessen institutionelle Formen kritisch begleiten oder herausfordern. Entwickelt werden sollen gemeinsame Perspektiven, welche die Blickwinkel von sozialwissenschaftlicher Gewaltforschung und Heritage Studies miteinander verbinden: Gewalt nicht nur als zerstörerische Kraft zu begreifen, sondern auch als konstitutives Moment kultureller Überlieferung - und umgekehrt Heritage nicht nur als kulturelles Kapital, sondern auch als Konfliktfeld mit potenziell gewaltvoller Wirkung ernst zu nehmen.

Die Tagung bringt akademische und praktische Perspektiven zusammen, unter anderem aus Soziologie, Geschichts-, Kultur- und Medienwissenschaft, Anthropologie, Denkmal-pflege, Kunstgeschichte, Restaurierungswissenschaft, Architektur, Museum Studies, Politikwissenschaft und verwandten Disziplinen. Eingeladen sind Beiträge zu aktuellen theoretischen, methodischen und empirischen Auseinandersetzungen mit Gewalt, Erinnerung und Erbe. Besonders interessiert sind wir an Arbeiten, die den Umgang mit konflikthaftem Erbe untersuchen - etwa in Museen, Gedenkstätten, Archiven, Filmen, urbanen und ruralen Räumen sowie im öffentlichen Diskurs.

Die Tagung versteht sich ausdrücklich als Raum für dialogische und partizipative Formate. Neben klassischen Vorträgen freuen wir uns besonders über Vorschläge für interaktive Beiträge, die alternative Zugänge zum Thema ermöglichen. Denkbar sind etwa moderierte Fishbowl-Diskussionen, kollaborative Mapping-Übungen, Podiumsgespräche zwischen Wissenschaft und Praxis oder Werkstattformate mit exemplarischen Fallanalysen. Ziel ist es, disziplinäre Perspektiven miteinander ins Gespräch zu bringen und gemeinsam über Formen des Antuns, Erleidens und Bewahrens nachzudenken.

Ihren Schwerpunkt können die Beiträge dabei unter anderem, aber bei Weitem nicht nur, auf folgende Fragestellungen setzen:

  • Wie lassen sich sozialwissenschaftliche Gewaltforschung und Heritage Studies gewinnbringend in einen Dialog miteinander bringen?
  • Welche theoretischen, methodischen und empirischen Zugänge zum Verhältnis von Antun, Erleiden und Bewahren - insbesondere in Bezug auf ›difficult‹, ›dark‹ und ›dissonant heritage‹ - gibt es?
  • Wie werden Spuren von Gewaltereignissen und gesellschaftliche Aushandlungen zu Gewalt in Heritage transformiert?
  • Wie wird durch Heritage gewaltbezogenes Wissen hervorgebracht, vermittelt und legitimiert?

Bitte senden Sie ein Abstract von maximal 300 Wörtern (inkl. Titel und 3-5 Schlagwörtern) bis zum 15. Oktober 2025 an: heritage@uni-weimar.de

Eine Rückmeldung zur Auswahl der Beiträge erfolgt bis spätestens 15. November 2025. Die Tagung findet in Präsenz statt. Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Wir sind bemüht, Mittel für die Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten einzuwerben. Jedoch kann eine Kostenübernahme zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht zugesagt werden.