Aktuell

Aktuelles

SOZIOLOGIE Jahrgang 52 - Heft 3 - 2023

Identität und Interdisziplinarität

Ehrung für Paul Lazarsfeld

Die Idee zu einer Ehrentafel für Paul Lazarsfeld am Akademischen Gymnasium in Wien stammte von Georg Vobruba. Sie wurde von Magister Roland Schwimmer, dem Direktor der Schule, und Alexander Bogner, dem Präsidenten der Österreichischen Ge­sell­schaft für So­ziologie, aufgegriffen und im Rahmen eines kleinen Symposions realisiert. Wir dokumentieren den Einführungsvortrag von Georg Vobruba und den Fest­vortrag von Christian Fleck.

The idea for a honorary plate for Paul Lazarsfeld at the Akademisches Gymnasium in Vienna stemmed from Georg Vobruba. It was taken up and realised in the context of a small symposium by Magister Roland Schwimmer, the director of the school, and Alexander Bogner, the president of the Austrian Society for Sociology. We document the introductory lecture by Georg Vobruba and the festive lecture by Christian Fleck.

Georg Vobruba
Das kulturelle Klima in Wien nach der Jahrhundertwende

Der Zusammenstoß von Tradition und Moderne war in Wien besonders heftig. Daraus entwickelte sich in den Zehner- und Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts eine außergewöhnlich dichte und anregende kulturelle und intellektuelle Atmos­phä­re. Träger der Entwicklungen in bildender Kunst, Literatur und Wissenschaft war das Bürgertum, als dessen Bildungsanstalt sich das Akademische Gymnasium ver­stand. Seine Geschichte ist darum eng mit der Entwicklung des Bürgertums ver­bunden. Im Vergleich zu anderen Schulen in Wien hatte das AKG einen relativ ho­hen Anteil an jüdischen Schülern. Auch dies bezeugt die enge Verbindung der Schule mit dem Bürgertum, in dem säkularisierte jüdische Familien, wie jene, aus der Paul Lazars­feld stammte, eine wichtige Rolle spielten.

The clash between tradition and modernity was particularly fierce in Vienna. This resulted in an exceptionally dense and stimulating cultural and intellectual atmo­s­phe­re in the decade and twenties of the 20th century. The bourgeoisie was the driving force behind developments in the fine arts, literature and science, and the Aka­de­mi­sches Gymnasium saw itself as its educational institution. Its history is therefore closely linked to the development of the bourgeoisie. Compared to other schools in Vienna, the AKG had a relatively high proportion of Jewish pupils. This also testifies to the school›s close connection with the bourgeoisie, in which secularised Jewish families, such as the one from which Paul Lazarsfeld came, played an important role.


Christian Fleck
Wiener Schmäh goes America

Paul F. Lazarsfeld (1901–1976) lebte die ersten dreißig Jahre seines Lebens in Wien und wurde dort vor allem von austromarxistischen Sozialdemokraten wie Friedrich Adler, Otto Bauer und Rudolf Hilferding, der Individualpsychologie Alfred Adlers und der akademischen Psychologie Karl und Charlotte Bühlers geprägt. Markan­tes­tes Beispiel seiner Wiener Periode ist ›Die Arbeitslosen von Marienthal‹. 1933 ging er mit einem Stipendium der Rockefeller Foundation nach New York und blieb ab 1935 in den USA, wo er sich nach kurzer Zeit als managerial scholar etablieren konnte. Grün­dungen von Forschungsinstituten und viel beachtete Studien zu Kon­su­men­ten der Massenmedien, Arbeitslosigkeit, Familie und vor allem zu Ent­schei­dungs­pro­zessen von Wählern und Konsumenten machten ihn berühmt. Seine Art empi­ri­sche Sozialforschung – ein Ausdruck, den er prägte –, seine, gemeinsam mit Robert K. Merton an der Columbia University betriebene Nachwuchsförderung und Lehr­bü­cher zur Methodologie trugen dazu bei, dass er in den 1970er Jahren zur Ultra-Elite der Sozio­logie gehörte.

Paul F. Lazarsfeld (1901–1976) lived the first thirty years of his life in Vienna, where he was influenced primarily by Austro-Marxists such as Friedrich Adler, Otto Bauer, and Rudolf Hilferding, the individual psychology of Alfred Adler, and the academic psy­chology of Karl and Charlotte Bühler. The most striking example of his Viennese pe­riod is ›Die Arbeitslosen von Marienthal‹. In 1933 he went to New York on a Rocke­feller Foundation fellowship and remained in the U.S. from 1935, where he was able to establish himself as a managerial scholar after a short time. He became fa­mous for founding research institutes and conducting highly regarded studies on mass media audiences, unemployment, the family and, above all, the decision-ma­king processes of voters and consumers. His type of empirical social research – a term he coined – his promotion of young researchers, together with Robert K. Mer­ton at Columbia University, and textbooks on methodology contributed to his being among the ultra-elite of sociology in the 1970s.
Hier der Text zum Download.


Susann Worschech, Valeria Korablyova, Andreas Langenohl
Symposion: Soziologische Perspektiven zu Osteuropa, Teil 1

Das Ende des Postsowjetismus, das der Krieg Russlands gegen die ge­sam­te Ukrain markiert, kann der Beginn eines er­neuer­ten und systematisierten Selbstverständnisses der Krisen- und (Ost-)Euro­pa­wissenschaft Soziologie sein. Das Symposion stellt in insgesamt sieben Beiträgen Perspektiven für die so­zio­lo­gi­sche Theorieentwicklung und empirische Forschung vor. In diesem ersten Teil schreibt Valeria Korablyova im Anschluss an eine thematische Einführung von Susann Worschech über sozial­wissenschaftliche Versäumnisse, die aus dem Erbe des sowjet­rus­si­schen Kolo­nia­lis­mus und des Kalten Krieges resultieren, und zeigt, welches so­ziologische Potenzial in der Beschäftigung mit der Ukraine liegt. Im Anschluss an den Beitrag von Korab­ly­ova diskutiert Andreas Lan­gen­ohl die Rolle der Soziologie in den De­batten über Trans­formation, Euro­pa beziehungs­wei­se Europäische Union und die (de-)kolo­nia­len Aspekte der Ana­lyse Osteuropas im Verlaufe der letzten drei Dekaden.

The end of post-Sovietism, marked by Russia‹s war against the Ukraine, can be the start of a renewed and systematised self-understanding of sociology as a science of crisis and (Eastern) Europe. In a total of seven contributions, the symposium pre­sents perspectives for sociological theory development and empirical research. In the first part here, following a thematic introduction by Susann Worschech, Valeria Kora­blyova writes about sociological omissions resulting from the legacy of Soviet-Rus­sian colonialism and the Cold War, and shows what sociological potential lies in the study of Ukraine. Following Korablyova’s contribution, Andreas Langenohl dis­cusses the role of sociology in the debates on transformation, Europe and the Euro­pean Union, and the (de-)colonial aspects of the analysis of Eastern Europe over the last three decades.

Forschen, Lehren, Lernen

Heinz Leitgöb, Knut Petzold, Tobias Wolbring, Annelies G. Blom
Zur Neuorientierung der soziologischen Methodenausbildung

In Heft 1/2023 der Soziologie spricht sich Andreas Diekmann für eine grund­le­gende Reform der soziologischen Methodenausbildung aus. Wir greifen die an­ge­sto­ßene Debatte auf und ergänzen die von Andreas Diekmann adressierten The­men­bereiche zur Erweiterung der Lehrinhalte insbesondere um Kompetenzen der Ge­winnung und Anwendung ›neuer Daten‹ sowie der algorithmischen Daten­ana­lyse. Neben den Lehrinhalten stellen wir Überlegungen zur Adaption der all­ge­mei­nen Lehrprinzipien an und formulieren erste Denkanstöße zur praktischen Um­set­zung einer solchen Neuorientierung der Methodenlehre.

In Soziologie 1/2023 Andreas Diekmann argues in favour of a reform of the socio­lo­gical methods curricula at universities. Our article constitutes an extension of the deba­te initiated by him. We advocate for teaching new competencies in the collec­tion of and information retrieval from ›new data‹ as well as in algorithmic data ana­lysis. In addition, we propose an adaptation of general teaching principles and for­mu­late initial ideas for the practical implementation of such a reform


Ina Krause, Birgit Blättel-Mink, Heike Delitz
Soziologie als Beruf – zwischen gesellschaftlicher Relevanz und Prekarität

Der Beitrag geht von der vielfachen Spannung aus, in die sich die Soziologie derzeit gestellt sieht: zwischen erstens ihrer gesellschaftlichen Relevanz gerade in diesen Krisenzeiten, zweitens den wissenschafts- und auch soziologiefeindlichen Haltungen, die sich seit der Pandemie und den Debatten um den Klimawandel offenbaren, und drittens der zunehmend prekären Beschäftigungssituation im Mittelbau, nicht zuletzt durch die Folgen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Wir berichten über die Sonderveranstaltung des Ausschusses ›Soziologie als Beruf‹ auf dem 41. Kongress der DGS in Bielefeld 2022 und verfolgen die Debatte um die ausstehende Novelle des Gesetzes.

The article is based on the multiple tensions that sociology is currently facing: firstly, its social relevance, especially in these times of crisis; secondly, the anti-science and anti-sociology attitudes that have become apparent since the pandemic and the debates on climate change; and thirdly, the increasingly precarious employment situation among mid-level staff, not least due to the consequences of the German Act on Temporary Academic Contracts. We report on the special event organised by the committee ›Sociology as a Profession‹ at the 41st Congress of the DGS in Bielefeld 2022, and follow debate on the pending amendment of the law.

DGS-Nachrichten

  • Stellungnahme zur anstehenden Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
  • Aus dem DGS-Vorstand
  • Veränderungen in der Mitgliedschaft 

Berichte aus den Sektionen

  • Sektion Alter(n) und Gesellschaft
  • Sektion Kultursoziologie

Nachrichten aus der Soziologie

  • Institutionen/Gründung in Dresden. Karl-Siegbert Rehberg zum 80. Geburtstag
    Peter Strohschneider
  • In memoriam Jürgen M. Pelikan
    Johann Behrens
  • In memoriam Peter Gross
    Thomas Eberl
  • Habilitationen
  • Call for Paper
    • Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns
    • Drecksarbeit. Materialitäten, Semantiken und Praktiken von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart
  • Tagungen
    • Ungleichheiten in Ost- und Westdeutschland. Persistenz oder Wandel?
    • Gesundheit – Umwelt – Gesellschaft. Umwelt- und Gesundheitssoziologie im Gespräch