Call for Papers

Christopher Wimmer (Hg.): Weltumspannende Ungleichheitsverhältnisse. Ein Atlas der Klassenanalyse im globalen Maßstab

Deadline: 01. Januar 2024

Die Frage, welche Zusammenhänge zwischen der Globalisierung und Transnationalisierung sowie der Entwicklung sozialer Ungleichheit bestehen, stellt sich mit neuer Dringlichkeit. Der Einfluss von Globalisierungs- und Transnationalisierungsprozessen auf die Strukturen sozialer Ungleichheit wird kontrovers diskutiert. Dabei wird die bisherige, meist nationalstaatliche, Ungleichheitsforschung durch die These einer Herausbildung transnationaler Ungleichheitsverhältnisse herausgefordert. Ebenso sieht sich die Sozialstrukturanalyse mit dem Übergang zu einer multizentrischen Welt konfrontiert. Vor diesem Hintergrund treten einmal mehr die Defizite einer Forschung hervor, die die Gesellschaften des Globalen Südens vernachlässigt.

Mit diesen Themen will sich der Sammelband ›Weltumspannende Ungleichheitsverhältnisse‹ beschäftigen und helfen, den Blick der Ungleichheits- und Klassenforschung zu weiten. Der Sammelband verfolgt somit das Ziel, verschiedene Debatten um soziale Ungleichheit ins Gespräch kommen zu lassen, die bislang weitgehend unabhängig voneinander geführt wurden.

Ich freue mich über theoretische und empirische sowie interdisziplinäre, internationale, länderspezifische- und -vergleichende oder qualitativ und quantitativ ausgerichtete Beiträge, welche dazu beitragen können, den ›globalen Atlas der Klassenanalyse‹ zu bereichern. Beiträge in englischer Sprache sind ebenso willkommen.

Folgende Fragen und Themenfelder können dabei untersucht werden (weitere Forschungsfragen sind möglich):

  • Welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede gibt es in globalen Klassenverhältnissen? Welche Strukturen gleichen sich, welche sind unterschiedlich? Gibt es eine gemeinsame ›Wahrheit der globalen Klassenverhältnisse‹?
  • Wie ist das Verhältnis zwischen der Entwicklung globaler Ungleichheit zwischen Ländern oder Regionen bzw. der Ungleichheitsentwicklung innerhalb von Ländern und Regionen?
  • Was bedeutet ›Transnationalisierung‹ sozialer Ungleichheit?
  • Wie verändert sich Klassenforschung unter Bedingungen der Globalisierung und Transnationalisierung? Welche Herausforderungen ergeben sich im Feldzugang und im Rahmen der Datenerhebung mit welchen methodischen und methodologischen Konsequenzen?
  • Wie kann eine (global-)historische Perspektive auf Arbeit und Klassen dazu beitragen, heutige Klassenverhältnisse besser zu verstehen?
  • Welche Klassenanalysen gibt es in einzelnen Ländern und Regionen? Welche Debatten werden geführt und welche Geschichte haben sie?
  • Fallbeispiele von Klassenanalysen (insbesondere aus den Ländern des Globalen Südens)
  • Wie unterscheiden sich Klassen in einzelnen Ländern und Regionen anhand von sozialen Netzwerken und sozialem, kulturellen und ökonomischen Kapital?
  • Wie gestaltet sich das Verhältnis von Klassenanalysen in Ländern und Regionen zu anderen Aspekten wie Staatsbürgerschaft, Religion, Geschlechterverhältnissen?
  • Wie erfahren Menschen selbst konkret ihre Klassenposition? Wie drückt sich ihr Gesellschaftsbild oder -bewusstsein aus
  • Welche klassenspezifischen Auswirkungen haben aktuelle Phänomene wie Digitalisierung oder der Klimawandel?
  • Welche politischen Kämpfe und (neuen) sozialen Konflikte lassen sich finden? Gibt es Fallbeispiele für Klassenkämpfe?
  • Welche Konsequenzen und Handlungsempfehlungen ergeben sich aus den Erfahrungen für die Zukunft?

Hintergrund

Der Kapitalismus hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Die Ordnung sozialer Ungleichheit im Weltmaßstab scheint dadurch nachhaltig herausgefordert. Ging der globale Kapitalismus nach dem Untergang des Ostblocks von einem weltweiten Siegeszug aus, ist davon mittlerweile nicht mehr viel zu spüren. Sowohl in den industrialisierten Ökonomien des Nordens als auch in den neu erschlossenen Märkten des Globalen Südens haben die verschiedenen Gesellschaftsklassen ganz unterschiedlich von den neuen Entwicklungen profitiert.

Auch in den Zentren der weltwirtschaftlichen Integration sind längst die Zweifel am ›höher, schneller, weiter‹ der kapitalistischen Produktionsweise und ihre Globalisierung aufgekommen. Jahrzehntelang wurde die Mehrheit der Bevölkerungen durch einen relativ starken Sozialstaat an das System gebunden. Gegenwärtig werden die Nationalstaaten durch die Globalisierung des internationalen Kapitals immer weiter geschwächt und ihre ›soziale Fürsorgefunktion‹ nimmt immer weiter ab. Die zunehmende soziale Ungleichheit bringt das kapitalistische Leistungsversprechen immer weiter ins Wanken. Gleichzeitig ist diese politische und diskursive Rückkehr der Klassenfrage bemerkenswert, insofern sie mit der Diagnose einer fortgesetzten Fragmentierung sozialer Unterschiede zusammentrifft. Spaltungen nach Ethnizität, Staatsbürgerschaft und Region; Sektor, Qualifikationsniveau und Prekarität; Lebensstil, Geschlecht und Alter sorgen für eine Diversifizierung der Lagen und Habitusformen auch innerhalb der Klassen. Fragen nach dem Ursprung und den Formen von Ungleichheit unter den Menschen, Formen und Funktionsweise von Herrschaft sowie auf die Erzeugung von Legitimität und die Formierung von Kritik spielen eine zunehmende Rolle.

Die ›Rückkehr‹ der Klassen ins öffentliche Bewusstsein ist gleichwohl nur dort eine Rückkehr, wo sie nie verschwunden war, wie in vielen Ländern des Globalen Südens. Dort steht den in Relation zur Gesamtbevölkerung nach wie vor relativ kleinen Mittelschichten ein ›Planet der Slums‹ gegenüber, in dem sich die Klasse der Marginalisierten und Ausgeschlossenen sammelt, die im Weltmaßstab wohl die größte Klasse überhaupt darstellt.

Erste Versuche, Klassenforschungen auch unter einer stärker globalen Perspektive zu betrachten, wurden bereits unternommen: Autoren wie Boike Rehbein oder Jessé Souza haben in ihren Arbeiten gezeigt, wie man Klassenverhältnisse in Zeiten der Globalisierung präzise entwickeln kann. Daran anschließend sollen im Sammelband Ungleichheits- und Klassenforschungen aus unterschiedlichen Kontexten versammelt werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu finden. Dies betrifft einerseits eine ›Soziologie der lokalen Soziologien‹, also die Frage, welche Klassentheorien vor Ort verhandelt werden und welche Geschichte diese haben. Anderseits ist damit auch ein Vergleich von Analysen von Ungleichheitsverhältnissen im globalen Kontext gemeint. Darüber hinaus sollen ebenso (neue) soziale Konflikte und eine Kritik an Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen verhandelt werden. Hierbei stellt sich die Frage, welche politischen Kollektive die Träger dieser Konflikte sein können und wie Kritik geübt wird. Durch solche internationalen Einblicke verspreche ich mir, die gegenwärtige Debatte um Klassenpolitik zu befruchten und zu helfen, diese um neue, globale Aspekte in der Analyse sozialer Ungleichheit zu ergänzen.

Bitte senden Sie Ihren Kapitelvorschlag in Form eines Abstracts von maximal 4500 Zeichen an Christopher Wimmer: info(at)christopherwimmer.de (Die Beiträge werden eine Länge zwischen 40.000 und 50.000 Zeichen umfassen.)

Ich freue mich sehr über Ihre Einreichungen!

Zeitplan

01.01.2024: Einreichungsfrist für die Abstracts

15.01.2024: Entscheidung über die Annahme von Beiträgen

15.05.2024:  Einreichungsfrist für die Beiträge

15.08.2024: Rückmeldung an Autor*innen

15.10.2024: Einreichung der überarbeiteten Beiträge

15.11.2024: Abgabe des Buchmanuskripts an Verlag

15.03.2025: Veröffentlichung des Sammelbands