Das bildungspolitische Ziel, herkunftsbedingte Nachteile auszugleichen und Chancengerechtigkeit in der tertiären Bildung zu fördern, fordert Hochschulen auf, sich gegenüber einer diversen Studierendenschaft zu öffnen (vgl. Deutsche UNESCO Kommission 2017, S. 6 und 15). Auf Basis des Hochschul-Bildungs-Indexes erklärt der Stifterverband, dass das ›deutsche Hochschulsystem […] internationaler, durchlässiger und heterogener [wird]‹ (Stifterverband 2017). Doch trotz einer Pluralisierung von Hochschulzugangswegen und einer zunehmend heterogenen Studierendenschaft erfahren nicht-traditionelle Studierende, wie etwa beruflich Qualifizierte, Studierende mit Migrationshintergrund oder aus nicht akademischen Elternhäusern strukturelle Benachteiligungen (vgl. Lotze/Wehking 2021, S. 7 f.): So nehmen – in Bezug auf die Differenzkategorie der Bildungsherkunft – 78% der Kinder aus akademisch gebildeten Elternhäusern und lediglich 25% der Kinder aus nicht-akademisch gebildeten Elternhäusern ein Hochschulstudium auf (vgl. Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2024, S. 231), was mit zahlreichen Hürden und Diskriminierungen in Übergangs- und Verbleibsituationen erklärt werden kann (vgl. Bachsleitner et al. 2022; Blossfeld et al. 2019; El-Mafaalani 2014; Lörz 2017; Seeck 2022; Spangenberg & Quast 2023). Bildungsgerechtigkeit verbleibt in dieser Hinsicht bisher im Status eines Postulats.
Entgegen der gesamtgesellschaftlichen Dominanz von Herkunftseffekten im Bildungsbereich kann dies für einzelne Bildungseinrichtungstypen ausdifferenziert werden, wobei überraschende Erkenntnisse zutage treten: An einer der größten privaten Fachhochschulen in Deutschland liegt der Anteil von sogenannten First-Generation Studierenden (FGS) laut eigenen Erhebungen bei Aufnahme des Studiums bei ca. 70% (vgl. Niet 2021), wobei dieser Anteil an öffentlichen Hochschulen seit Jahren konstant bei lediglich 45% verbleibt (vgl. Kracke et al. 2024, S. 3). An diese Diskrepanz knüpft das vom BMBF-geförderte Verbundprojekt ›First-Generation Studierende als Zielgruppe privater Hochschulen – Formen und Bedingungen organisationaler Unterstützung (FiPHo)‹ an. Aus dem Projekt geht u.a. die hier angekündigte Tagung ›First-Generation-Studierende als Bildungsadressat*innen und Kund*innen privater und öffentlicher Hochschulen‹ hervor. Das von 2023 bis 2026 geförderte Forschungsprojekt umfasst eine qualitativ-rekonstruktive Untersuchung mit dem Ziel, die kollektiven Orientierungen in Bezug auf First-Generation- Studierende an privaten Hochschulen zu rekonstruieren und die Rolle der Orientierungen für Unterstützungspraktiken zu ermitteln. Dabei werden die Perspektiven verschiedener Akteur*innen an der privaten Hochschule – First-Generation-Studierende, Lehrende, nicht akademisches Personal (Studienberatende und Betreuende) – empirisch in den Blick genommen. Ein Transfer der Erkenntnisse auf öffentliche Hochschulen wird angestrebt.
Erste Projektergebnisse eröffnen zwei dominante Perspektiven auf das Studium von FGS, welche sich in der Eigen- als auch Fremdverortung durch die Akteur*innen des Feldes zwischen einer akademischen und einer ökonomischen Logik bewegen. FGS sind einerseits als in den vergangenen Jahren vermehrt beachtete Adressat*innen von hochschulischen Bildungsangeboten und gleichzeitig als Kund*innen mit hohem Potenzial zu verorten, was sie andererseits zu Instrumenten der Ökonomisierung und Legitimation des privaten Hochschulsystems macht. Durch die Betrachtung dieses Spannungsverhältnisses, in dem das Studium von FGS unter ungleichheitszentrierter und sozialwissenschaftlicher, aber auch ökonomischer Perspektive betrachtet werden kann, ergeben sich Fragen zum Fremd- und Selbstbild der Hochschulen und ihren (professionellen) Akteur*innen sowie zu Unterstützungspraktiken. Dieses Spannungsfeld sowie darin eingelagerte Möglichkeiten zur Unterstützung und Förderung von FGS sollen im Rahmen der Tagung bearbeitet, ausdifferenziert und diskutiert werden. Mit dem vorliegenden Call werden Beiträge erbeten, die sich dieser Gegenläufigkeit als auch Verzahnung widmen.
Eingereichte Beiträge sollen sich im Rahmen dieser Kontextualisierung bewegen und können sich beispielsweise auf folgende Schwerpunkte beziehen:
A) First-Generation-Studierende an (privaten) Hochschulen: Hochschulzugang und -verbleib, Studienerfolg und -organisation, Selbstverständnis als Erststudierende
B) Lehrende an (privaten) Hochschulen und FGS: Diversitätsbezogene Professionalisierung hochschulischer Akteur*innen, Verständnis von Diversität und Zielgruppenarbeit, diversitätssensible Didaktik und Begleitung, eigenbiographische Ressourcen in der Entwicklung eines professionellen Verständnisses, Umsetzung von Organisationsnormen und bildungspolitischen Vorgaben
C) (Diversitätssensible) Begleitung von FGS vor und während des Studiums an (privaten) Hochschulen: Unterstützungspraxen innerhalb und außerhalb der Hochschule für FGS durch z.B. Beratung, Coaching, Mentoring oder Peers; die Rolle von Regelstrukturen oder spezifischen Förderprogrammen mit dem Ziel einer erhöhten Passung
Weitere an den Call anschlussfähige Beiträge, insbesondere unter intersektionaler Perspektivierung, sind sehr willkommen.
Mit diesem Call laden wir insbesondere Personen aus der Wissenschaft und dem wissenschaftsnahen Handlungsfeld (z.B. Mitarbeitende des Hochschulmanagements, hochschulnahe Organisationen und Initiativen zur Förderung von diversen Studierenden) zur Einreichung von Beitragsvorschlägen ein. Beiträge sind in den folgenden Formen möglich:
- Vorträge: In 20-minütigen Vorträgen mit anschließend 10-minütiger Diskussionszeit werden die Themen der Tagung bearbeitet und diskutiert.
- Early Research Inputs: In 5-minütigen Inputs (möglichst auf Basis eines Posters oder einer anderen Tischvorlage) werden gerade entstehende/entstandene Forschungsprojekte zum Thema der Tagung vorgestellt.
- Workshops: In 45- oder 90-minütigen Workshops können Unterstützungsmöglichkeiten oder Best-Practice-Beispiele vorgestellt und diskutiert werden.
Abstracts im Umfang von max. 500 Wörtern (inkl. Literaturverzeichnis) mit Nennung des Schwerpunktes (insofern möglich) können bis zum 13.04.2025 an fipho(at)iu.org gesendet werden. Aus den Abstracts wird das Programm für die Tagung entwickelt. Wir laden Forscher*innen aller Statusgruppen herzlich ein, ihre Beitragsvorschläge einzureichen und an unserer Konferenz teilzunehmen. Für Forscher*innen in frühen Karrierephasen mit einem Konferenzbeitrag, deren Teilnahme durch sozioökonomische Faktoren erschwert wird (z.B. weil Dienstreisen bei einer 50%-Stelle selbst gezahlt werden müssen), halten wir einen Unterstützungsfonds von insgesamt 1000€ bereit, aus dem heraus z.B. Fahrtkosten kofinanziert werden können. Bei Bedarf bitten wir um frühzeitige Kontaktaufnahme.
Im Anschluss an die Tagung wird die Möglichkeit einer Publikation der Beiträge in einem Tagungsband eröffnet. Interessierte geben bitte bereits im Call an, ob daran ein Interesse besteht. Die Beiträge sollen mit dem Stattfinden der Tagung vorliegen und auf Grundlage der Tagungsdiskussionen innerhalb von 1,5 Monaten überarbeitet und im Januar/Februar 2026 in finaler Form vorliegen. Durch die Herausgeber*innen wird es sodann eine Begutachtung geben. Die Veröffentlichung ist für Sommer 2026 geplant.
Wichtige Termine:
- Einreichung der Abstracts: bis 13.04.2025 an fipho(at)iu.org
- Benachrichtigung über Annahme: Mitte Mai 2025
- Veröffentlichung des Programms: Mitte Juni 2025
- Konferenz: 26. & 27. November 2025
- Vorliegen der finalen Beiträge: Januar 2026
- Veröffentlichung des Tagungsbandes: Juni 2026
Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!
Das lokale Vorbereitungsteam (Aline Fuß & Prof. Dr. Stefanie Kessler) & das weitere Gesamtprojektteam (Louisa Gehl, Stefanie Hoffmann, Prof. Dr. Olaf Dörner und Prof. Dr. Karsten König)