Call for Papers

›Gegenwart und Krise‹

Deadline: 26. Mai 2024

Sowohl mediale als auch wissenschaftliche Diskurse diagnostizieren, dass sich unsere Gegenwart und Gesellschaft in einer tiefgreifenden und vielschichtigen Krise befindet. Die Vielschichtigkeit der Probleme und die sich ständig verändernden Krisendynamiken stellen uns vor eine immense Herausforderung. Der Begriff einer ›multiplen Krise‹ ist mittlerweile fest in unserem Sprachgebrauch angekommen und steht nicht nur für eine Addition unterschiedlicher, voneinander unabhängiger Krisendimensionen, sondern ist vielmehr von inneren Zusammenhängen geprägt. Die Bewältigung der unterschiedlichen Dimensionen von Krisen ist jedoch von erheblichen Divergenzen geprägt. So wurde die letzte Finanzkrise 2008 noch von der Hoffnung auf eine Welt nach dem Kapitalismus begleitet, die in vielfältigen Bewegungen, wie beispielsweise Occupy Wallstreet, ihren Ausdruck fand. Zusammen mit einigen Krisen, die uns das vergangene Jahrhundert vererbt hat – Krise des Nationalstaats, Krise der Demokratie, Krise traditioneller Rollenbilder – lässt sich die Finanzkrise einem Krisenbegriff zuordnen, der Krisen vor allem als Chancen auf fundamentale Veränderungen begreift. Diesem ›versprechenden‹ Krisenbegriff diametral gegenübergestellt steht die Klimakrise, die eine apokalyptische Erfahrung (Letzte Generation, Extinction Rebellion) und eine unmittelbare Notwendigkeit zur Umkehr im Denken und Handeln fordert. Ebenso wie diejenigen Krisen, die sich ganz unmittelbar auf die Gesellschaft auswirken: Krise der Geflüchteten, Krieg, Hunger, Zerstörung, Enteignung, Vergessen.

Daneben zeichnet sich insbesondere der philosophische Diskurs, der sich spätestens seit Hegel nicht selten auch als geschichtsphilosophische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen versteht, durch ein krisendiagnostisches Moment aus. Neben ökonomischen (K. Marx) oder kulturkritischen Zugängen, wie dem Verständnis der Krise als sozialem Wandlungsprozess (B. Bauer, J. Burkhardt) oder gar grundlegendem Charakteristikum der Moderne (F. Nietzsche, W. Benjamin), hat auch E. Husserl im 20. Jahrhundert den Wissenschaften eine Art epochale Grundlagenkrise attestiert, die er zugleich als eine ›Krisis des europäischen Geistes‹ bezeichnete.

Auch heute stellt sich die Frage, ob es eine Krise des Denkens gibt, eine Krise der alternativen Handlungen, eine Krise der begrifflichen Erfassung der Vielschichtigkeit unserer Gegenwart, eine Krise der Phantasie. Ist es gar der Übergebrauch des Begriffs der Krise selbst, der tagtäglichen Schlagzeilen und durch soziale Medien verbreiteten Bildern und Videos aus Krisengebieten, der letztlich zu einer Unfähigkeit führt, sich mit den drängenden Problemen unserer Zeit in einer Weise auseinanderzusetzen, die uns handlungsfähig werden lässt? Ist die Krise eine Regierungskunst (D. Gentili), eine inhärente Funktion des Kapitalismus (K. Marx) oder der Fiebertraum eines zu jungen Jahrtausends, das zu schnell erwachsen werden soll?

In dem geplanten Workshop möchten wir uns an diesem Fragenkanon ausrichten und insbesondere in den Fokus setzen, wie über Krisen gesprochen wird, welche Funktion die Krise als diskursiver Operator einnimmt, wie die Krise unsere Sprache, unsere Erfahrungen und unser Denken affiziert – oder eben auch taub werden lässt, sodass wir uns in einer ›bürgerlichen Kälte‹ (H. Kohpeiß) wiederfinden. All diese Fragen enthalten eine immanente Interdisziplinarität, da nur eine solche Forschungsperspektive der Multidimensionalität derKrise(n) gerecht werden kann. Wir möchten uns mit der Tagung sowohl mit dem semiotischen Charakter der Krise als auch mit ihren gelebten Erfahrungen auseinandersetzen beziehungsweise mit dem Unvermögen, Krisen als Erfahrungen zu verarbeiten. Welche Mittel stehen uns zur Verfügung, Krisen ›lesbar‹ und ›erlebbar‹ werden zu lassen? All diese Fragen stehen im Horizont der Beziehung von Krisen zu gesellschaftlichen Verhältnissen, sodass letztlich gefragt werden muss, ob die Krise selbst das Verhältnis ist, in dem unsere Gesellschaft zu sich findet?

Der Workshop richtet sich insbesondere an Early-Career-Researcher und ist interdisziplinär ausgerichtet. Er wird am 19. und 20.07.2024 in den Räumlichkeiten der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities in Köln stattfinden. Die Reiskosten können übernommen werden.

Bis zum 26. Mai können Sie sich mit einem Abstract im Umfang von maximal einer Seite für einen Vortrag bewerben. Bitte schicken Sie dieses an Vanessa Ossino unter der Adresse: vossino(at)smail.uni-koeln.de.