Call for Papers

Gesundheit – Umwelt – Gesellschaft. Umwelt- und Gesundheitssoziologie im Gespräch

Deadline: 31. Mai 2023

›Erst stirbt die Biene, dann der Mensch‹, ›Die Natur ist die beste Apotheke‹ – solche und andere Sinnsprüche verdeutlichen, dass die Erhaltung von Gesundheit ein starkes Motiv sowohl für Naturerkenntnis, als auch für die Suche nach umweltfreundlichen bzw. naturnahen Lebensstilen ist. Die – räumliche wie kulturelle – Entfernung von Natur wird in öffentlichen Diskussionen immer wieder als Ursache für problematische, nicht zuletzt gesundheitsgefährdende Lebensziele und -praktiken angeführt. Dass sich Menschen ungesund ernähren und, in großen Städten lebend, physischem und psychischem Stress ausgesetzt sind, wird als falsche Lebensweise gegenüber einer richtigen, weil: natürlichen, abgegrenzt. Dem pflichten auch wissenschaftliche Studien bei, die z.B. die zunehmende Entfremdung der Menschen von Natur untersuchen (vgl. z.B. Cazalis et al. 2022). Schon im Millenium Ecosystem Assessment, einer 2001 von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen und 2005 publizierten Studie, wurde systematisch erforscht, wie Ökosystem-degradationen global menschliches Wohlbefinden beeinflussen (vgl. MA 2005). Und während der Corona-Pandemie ist vom Weltbiodiversitätsrat IPBES ein Workshop-Bericht publiziert worden, der ein ›Zeitalter der Pandemien‹ prophezeit, wenn sich der derzeitige Umgang des Menschen mit der Natur fortsetze (vgl. IPBES 2020).

Kulturgeschichtlich betrachtet sind diese Vorstellungen der ins Negative gewendete Ausdruck einer Erfolgsgeschichte, in der Gesundheit, höhere Lebenserwartung und Wohlbefinden durch die Abwehr von Naturgefahren erreicht wurden – etwa durch die Ausrottung von Raubtieren, die Bändigung von Flüssen, die Trockenlegung von Mooren oder die Sicherstellung von Ernährung mit Hilfe von Mineraldüngern, Pestiziden, Herbiziden und Agrartechnik. Dass sich mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt auch medizinisch-pflegerisches Wissen in einer Weise entwickelte, die nicht zuletzt die Bewältigung des pandemisch ausgebreiteten Krankheitserregers SARS-CoV-2 und der Infektionskrankheit COVID-19 ermöglichte, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnenswert.

Diese Erfolgsgeschichte hat aber eine Kehrseite: Durch die zwar ungleich verteilte, aber weltweit insgesamt enorme Verbesserung von Wohlstandsniveau und Gesundheit sind die natürlichen Lebensgrundlagen stark gefährdet (u.a. Wälder, Trinkwasser, Ozeane, Klima, Artenvielfalt). Zu den Ursachen der COVID-Pandemie zählen auch zerstörte Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Dies hat bei einigen Public-Health-Wissenschaftler*innen zu einem erweiterten Verständnis dieses Fachgebietes geführt, das mit den Konzepten One Health, Planetary Health oder EcoHealth beschrieben werden kann. Dabei wird eine weitere Verbesserung des Wohlstandes und der Gesundheit des Menschen auf Kosten der Natur kritisch gesehen.

Vor diesem Hintergrund der vielfältigen Überschneidungen von Themen der Medizin- und Gesundheitssoziologie einerseits und der Umwelt- und Nachhaltigkeitssoziologie andererseits halten die beiden DGS-Sektionen eine gemeinsame Herbsttagung ab. Es geht darum, dieses hoch aktuelle Forschungsfeld aus einer soziologischen Perspektive auszuleuchten, begrifflich-theoretische und methodische Zugänge zu sichten und Wissenschaftler*innen aus beiden Bindestrichsoziologien miteinander ins Gespräch zu bringen.

Aus der Sicht einer Soziologie, die sich sowohl mit Umwelt-Gesellschaft-Beziehungen als auch mit der menschlichen Gesundheit befasst und Grundfragen sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Diskurse im Blick behält, stellen sich u.a. folgende Fragen:

  1. Welche aktuellen und historischen Beziehungen von Umweltveränderungen (z.B. Klimawandel, Artensterben, Luftverschmutzung, Infrastrukturausbau, etc.) und Gesundheit und Wohlbefinden lassen sich empirisch identifizieren, beschreiben und analysieren?
  2. Inwiefern sind Umwelt- und Gesundheitsprobleme diskursiv oder in bestimmten Handlungsfeldern (z.B. Ernährung) miteinander verbunden, mit welchen Konsequenzen?
  3. Blockieren nationale und internationale Verteilungs- und Gerechtigkeitsprobleme umweltadäquates wie auch gesundheitsförderliches Verhalten?
  4. Was lässt sich aus den wirksamen kurzfristigen Governance-Maßnahmen während der COVID-19-Gesundheitskrise im Hinblick auf das stetige Scheitern bei der Vermeidung langfristiger ökologischer Gefährdungen lernen?
  5. Wie wirken sich innerwissenschaftliche Konflikte zwischen Natur- und Geisteswissenschaften um Deutungshoheiten auf das Potential komplexer Gesellschaften zu Transformationen und zur Bewältigung von Krisen aus? Inwieweit werden z.B. durch die in Teilen der Geisteswissenschaften geteilte Kritik an der Hegemonie der Naturwissenschaften auch die aus naturwissenschaftlichen Tatsachen abgeleiteten Notwendigkeiten in Frage gestellt?
  6. Wie sind Maßnahmen in Gesundheits- oder Umweltkrisen in den Bereichen Public Health oder in der Umweltpolitik demokratisch zu legitimieren? Und wie ist die Ambivalenz der Forderung nach Freiheit z.B. angesichts der Corona-Beschränkungen oder der Einschränkungen der Mobilität oder des Konsums zum Schutz der Umwelt einzuschätzen?

Wir laden Kolleg*innen, die sich mit diesen oder ähnlichen Fragen im Schnittfeld von Umwelt und Gesundheit beschäftigen, dazu ein, Beitragsvorschläge einzureichen. Willkommen sind vor allem, aber nicht ausschließlich empirische (quantitative und qualitative) Beiträge, die Forschungsergebnisse begrifflich-theoretisch in das Schnittfeld ›Umwelt, Gesundheit, Gesellschaft‹ einordnen. Dazu sind auch interdisziplinäre Beiträge und Forschungen aus dem außereuropäischen Kontext (auf Deutsch oder Englisch) willkommen. Neben Vorträgen sind auch Vorschläge für andere Beitragsformate (z.B. Poster, Podcast) möglich. Bitte schicken Sie Ihren Abstract (ca. 300 Wörter auf einer Seite) bis zum 31.05.2023 per E-Mail an:

Jens Jetzkowitz (jens.jetzkowitz(at)thuenen.de) und
Rasmus Hoffmann (rasmus.hoffmann(at)uni-bamberg.de).