In Deutschland haben die Angriffe auf Rettungskräfte in der Silvesternacht eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst. Während rechte Kreise die Angriffe umgehend instrumentalisiert haben, um eine Diskussion über Migration und Integration zu eröffnen, zeigt sich, dass solche Angriffe keinen Einzelfall darstellen und weniger mit dem Migrationshintergrund zu tun haben, sondern als Teil einer ganzen Reihe von Gewalttaten gegen Politiker:innen, Mitarbeiter:innen der Polizei und Feuerwehr, Journalist:innen sowie Wissenschaftler:innen einzuordnen sind und als Ausdruck eines tiefer liegenden Problems interpretiert werden müssen.
Im Zuge der vielfachen und sich beschleunigenden gesellschaftlichen Krisen der jüngeren Vergangenheit – die so genannte Flüchtlingskrise, die Klimakrise, die Corona-Krise, die Rückkehr des Krieges in Europa, die Inflation und Energiepreiskrise – kam es nicht nur zu vermehrter Kritik und Protesten auf Grundlage demokratischer Prinzipien, sondern es hat sich auch eine lautstarke Oppositionsbewegung herausgebildet, die nicht auf konstruktive demokratische Partizipation setzt und sich zuletzt beträchtlich radikalisiert hat. Als Begleiterscheinung oder gar Resultat dieser Entwicklung muss in Deutschland und Österreich das vergleichsweise neue – wenn auch nicht gänzlich unbekannte – Phänomen der Bedrohung von und Gewalt gegen öffentliche Personen gesehen werden.
So mehren sich Berichte von Übergriffen auf Politiker:innen, Einsatzkräfte, Journalist:innen und Wissenschaftler:innen. Verbale und physische Gewalt gegen Politiker:innen scheint sowohl in Deutschland als auch in Österreich in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen zu haben. So gab es körperliche Angriffe (z.B. Sigi Maurer) und tödlich (z.B. Walter Lübcke) oder lebensbedrohlich verlaufende Attacken (z.B. Andreas Hollstein, Henriette Reker). Hier deutet sich ein Ausmaß der gesellschaftlichen Verrohung, Entzivilisierung, Polarisierung und Radikalisierung an, das grundlegende Mechanismen der Demokratie angreift.
Wir laden herzlich dazu ein, Abstracts für Vorträge einzureichen, die Gewalt gegen Politker:innen und weitere öffentliche Personen aus theoretisch-konzeptioneller oder empirischer Perspektive thematisieren. Konkret sollen die Bedrohungs- und Gewalterfahrungen dargestellt und die Ursachen und Gründe für Drohungen und Gewalt (z.B. Radikalisierung im Internet) in den Blick genommen werden. Dabei sollen auch und gerade Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich sowie die jeweiligen nationalen Spezifika herausgearbeitet werden. Nicht zuletzt soll das demokratietheoretische und praktisch-politische Gefahrenpotenzial zunehmender Drohungen und Gewaltformen gegen Politiker:innen und andere öffentliche Personen reflektiert werden, weil diese für eine offene Gesellschaft und funktionierende Demokratie unersetzlich sind.
Bitte senden Sie Ihr Abstract (max. 2.400 Zeichen inkl. Leerzeichen) bis spätestens 31.03.2023 an die Organisator:innen der Ad-hoc-Gruppe:
Prof. Dr. Peter Imbusch: pimbusch(at)uni-wuppertal.de
Dr. Joris Steg: steg(at)uni-wuppertal.de