Call for Papers

Unpacking [digital] Imaginaries. Das Imaginäre im Kontext digitaler Medien

Deadline: 30. November 2025

Konzepte des Imaginären erfahren in den letzten Jahren nicht nur in der politischen Philosophie, den Science and Technology Studies (STS) oder postkolonialen Ansätzen wieder eine zunehmende Aufmerksamkeit. Auch in der medien- und kommunikations­wissenschaftlichen Forschung lässt sich, insbesondere mit Blick auf digitale Medien, eine Konjunktur des Imaginären beobachten. So ist in diesem Zusammenhang beispielsweise von›algorithmic imaginaries‹(Bucher, 2017),›data imaginaries‹(Beer, 2019),›platform imaginaries‹(van Es & Poell, 2020),›surveillance imaginaries‹(Lyon, 2017),›AI imaginaries‹(Richter et al., 2025) oder auch›synthetic imaginaries‹(Pilipets & Geboers, 2025) die Rede.

Bei solchen Konzeptionen von [digital] imaginaries sind mindestens zwei Dinge auffällig: 

  1. Die Kategorie des Imaginären ist nicht mehr vorwiegend an das kognitive Subjekt oder die produktive Einbildungskraft im kantschen Sinne gebunden, womit sich das Konzept eines primär subjektzentrierten und psycho­analytischen Einschlags entledigt. Stattdessen wird verschiedentlich auf›social imaginaries‹(Anderson 2005; Castoriadis 1990; Taylor 2004) oder›sociotechnical imaginaries‹(Jasanoff & Kim, 2015) Bezug genommen und im Kontext digitaler Medien damit auch eine Verschiebung von der Subjektebene hin zu Infrastrukturen vollzogen. 

  2. Hierbei scheinen sich insbesondere die Momente simultaner Stabilisierung und Verflüssigung mit dem Imaginären als onto-epistemischem Konzept (Verran, 1998) adressieren zu lassen. Durch diese Wendung werden mit dem Konzept verschiedene Ebenen zugänglich, die sowohl mikropolitische Aushandlungen von Subjekt-Objekt- oder Mensch-Maschine-Beziehungen betreffen als auch makropolitisch gesellschaftlich wirkmächtige Narrative analysierbar und hinter­fragbar machen können, seien diese nun utopischer oder dystopischer Natur.

Das Konzept des Imaginären dient also als epistemisches Tool, das methodisch und mikroanalytisch fruchtbar gemacht werden kann, etwa als Teil von sense-making Prozessen im Kontext digitaler Medien. Gleichzeitig kann das Konzept angesichts von Krisen wie der Klimakatastrophe oder einem global erstarkenden Autoritarismus aber auch Fragen nach [digitalen] Counter-Imaginaries (z. B. Kazansky & Milan, 2021; Mager, 2023) oder potenziell gar radikal anderen Zukunftsentwürfen und -narrativen eröffnen (z. B. Castoriadis, 1990; Gouye, 2021; Mbembe, 2021). 

Solche Zukunftsentwürfe und Imaginationen sind immer an Medien und Fragen der öffentlichen Kommunikation (Brause et al., 2025; Ernst & Schröter, 2020) rück­gebunden. Digitalen Medien kommt nicht zuletzt deshalb bei der Materialisierung und Stabilisierung von dominanten und widerständigen Imaginaries eine Schlüsselrolle zu, denn Praktiken des sozialen Imaginierens setzen (zumindest temporär) stabilisierte Formen des Imaginären voraus. 

Ausgehend von diesen Beobachtungen laden wir für den Workshop Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen ein, die das Imaginäre im Kontext digitaler Medien in einem der folgenden drei Schwerpunkte adressieren möchten: 

Theoretische Bezüge des Imaginären

Dieser Schwerpunkt soll sich in erster Linie den unterschiedlichen sozial- und kulturtheoretischen Bezügen von [digital] imaginaries widmen und der Begriffs­klärung dienen. Insbesondere das Verhältnis von verschiedenen Imaginaries zueinander, aber auch wie sich Imaginieren und Imaginationen im Kontext digitaler Medien und Infrastrukturen zueinander verhalten und gegenseitig bedingen, soll hier Thema sein. Eine zentrale Frage ist das Verhältnis von Stabilisierung und Verflüssigung, das sich nicht nur dezidiert mit Blick auf digitale Infrastrukturen wie Plattformen, generative KI-Systeme etc. zeigt, sondern auch auf theoretischer Ebene bereits eine Grundspannung des Imaginären markiert (vgl. Castoriadis, 1990; Lennon, 2015). 

Empirische Forschungszugänge des Imaginären

Obgleich das Imaginäre in neueren Konzeptionen von [digital] imaginaries nicht mehr primär an die kognitive Dimension gebunden ist, so kann es sich dieser Ebene doch auch nicht gänzlich entledigen. Vor diesem Hintergrund bleibt es auf empirischer Ebene nach wie vor eine Herausforderung, das Imaginäre zu erforschen und methodisch zu adressieren. Verkompliziert wird diese Tatsache durch die hochdynamischen und fluiden digitalen Umgebungen. Zugleich stellt das Imaginäre selbst ein heuristisches und epistemisches Tool dar, um bestimmte Relata im Kontext digitaler Medien zu perspektivieren. In diesem Schwerpunkt sollen deshalb anhand von empirischen Fallbeispielen, methodi­schen Probebohrungen oder auch experimentellen Forschungszugängen die Vor- und Nachteile des Imaginären als Instrument und Grundlage für empirische Forschung in den Blick geraten und insofern auch über die Grenzen des Imaginären (Markham, 2021) diskutiert werden. 

Praktiken und Möglichkeiten des (Gegen-)Imaginierens

Das Konzept der›radikalen Imagination‹(Castoriadis, 1990; Hartman, 2019; Mbembe, 2001) erlaubt es, gesellschaftliche Selbstbeschreibungen immer auch vor dem Hintergrund ihres eigenen Anderswerdens und -denkens zu verstehen und so Momente der Verflüssigung innerhalb von vermeintlich stabilen Institutionen, Medien oder Plattformen zu adressieren. Dabei stellt sich auch die Frage, ob, wann oder wie Praktiken des (Gegen-)Imaginierens möglicherweise selbst wieder Teil einer stabilisierenden Ordnung werden. Diese Sektion möchte deshalb nach den konkreten Praktiken und Möglichkeiten des (Gegen-)Imaginierens sowie den potenziell darin enthaltenen Fallstricken im Kontext digitaler Medien und Infrastrukturen fragen. Mögliche Themenfelder könnten z. B. alternative Suchmaschinen, dezentrale Architekturen wie das Fediverse, aber auch Interventionen aus den Bereichen Data Feminism (D’Ignazio & Klein, 2020) oder der Design Justice-Forschung (Costanza-Chock, 2020) sein. 

Organisation

  • Christian Schulz

  • Anna Lena Menne

Nachwuchsgruppe Entwicklung Symmetrischer Mentaler Modelle

Zusendung eines Abstracts (ca. 500 Wörter) an irg(at)mail.uni-paderborn.de