Call for Papers

Wissen und Gewalt - Szenarien der Grenzüberschreitung

Deadline: 28. Februar 2023

Es ist ein konstitutiver Bestandteil von Gewalt, dass durch sie Grenzen überschritten werden – seien es körperlich-leibliche, symbolisch-kulturelle, materiell-technische oder auch staatliche Grenzen. Ausübung und Thematisierung von Gewalt beziehen sich somit regelmäßig auf Szenarien der Grenzüberschreitung. Gewalt ist dabei jedoch nichts, was Menschen objektiv gegenübersteht. Sie basiert auf dem, was man über sie zu wissen glaubt – und wie jegliches Wissen ist auch das Wissen über Gewalt sozial vermittelt.

Deutungen von Gewalt werden unterschiedlich bewertet, erklärt, verklärt, legitimiert, ver­­dammt. Eine Wissenssoziologie der Gewalt hat sich vor diesem Hintergrund damit zu be­fassen, wie Wis­sen über Gewalt entsteht, verfestigt, in Hierarchien eingebunden, ver­mit­telt und sozial wirkmächtig wird. Die Vorstellungen davon, was als Gewalt zu verste­hen ist, sind folglich variabel. Dass die Semantik der Gewalt im Kon­text der Spätmoderne hoch­umstritten ist, scheint der Dis­kurs­karriere des Begriffs zu entsprechen. Indes ent­fal­tet die Pluralität der Gewaltver­ständnisse einen destabilisierenden Effekt: Was als Gewalt zu gelten hat – ob körperliche Übergriffe, Blickwechsel, Beleidigungen oder selbst der un­gleiche Zugang zu Wissen –, kann nicht mehr vorbehaltlos vorausgesetzt werden.

Umgekehrt wird aber auch Wissen durch Gewalt hervorgebracht. Zum einen üben Gewalt­akte (bzw. das, was man dafür hält) einen Einfluss darauf aus, welches Wissen wie tradiert wird. Die Durchsetzung von Deutungsmustern, Weltanschauungen und Gewissheiten ist seit jeher ein Gegenstand kriegerischer Konflikte. Überdies erzeugen gewaltsame Aus­ein­an­derset­zun­gen Erfahrungen, an die sukzessive angeschlossen werden kann. Das Erleben von Ge­walt finden in seinen Festschreibungen Einzug in den gesellschaftlichen Wis­sens­vor­rat. Jedoch scheinen sich bestimmte Dimensionen des Erleidens von Gewalt der inter­sub­jek­tiven Vermittlung zu widersetzen. Zugleich gelten diese Erfahrungen nicht als Teil eines höchstprivaten Emotionshaushalts – sie sind, wiewohl individuell, gesell­schaft­lich rele­­vant; zumindest wird ihnen diese Relevanz zugeschrieben.

Wenn Wissen und Gewalt sich wechselseitig beeinflussen, so stellt sich die Frage, was unter ›Gewaltwissen‹ zu verstehen ist. Dem kann auf zwei Ebenen nachgespürt werden. Erstens lässt sich betrachten, wie Wissen über Gewalt auf diskursiver Ebene erzeugt wird und Verbreitung findet. Während manche Taten ein hohes Maß an Aufmerksamkeit auf sich ziehen und bisweilen die Grenzen des Sag- und des Zeigbaren neu definieren, werden andere Vorkommnisse kaum diskutiert. Auch hier drängt sich die Frage nach den Pro­duk­tions­stätten des Wis­sens von Gewalt und den Konsumpraktiken dieses Wissens auf.

Zweitens kann die Wechselwirkung von Wissen und Gewalt anhand der Situationen selbst re­cherchiert werden. Gewaltphänomene sind häufig von einer Durchkreuzung unter­schiedlicher Bezugsfelder gekennzeichnet, etwa von Macht, Körper, Geschlecht, Technik, spezi­fischen Verhältnisbestimmungen usw. Ferner verfügen Täter:innen, Opfer und Drit­te über ein kulturell tradiertes Vorwissen von Gewalt. Sie greifen auf implizite Skripte zu­rück, durch die sich entstehendes Geschehen rahmen lässt. Allerdings ist das Wissen über Gewalt nicht selten asymmetrisch verteilt: Die Beteiligten sind in unterschiedlichem Maße Träger:innen, Vermittler:innen und Produzent:innen von Gewaltwissen und wer­den davon auch unterschiedlich geprägt.

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Im Kontext der Tagung sollen unterschiedliche Zugänge diskutiert werden, die sich dem Wechselspiel zwischen Wissen und Gewalt und den daraus resultierenden Szenarien der Grenzüberschreitung widmen. Eingeladen sind Vortragsvorschläge, die sich insbeson­dere aus einem soziologischen Blickwinkel mit der Produktion, Vermittlung und Wirk­macht von Gewaltwissen befassen. Es lässt sich beispielsweise überlegen, wie verschie­denartige wissens- und gewaltsoziologische Theoriepositionen in Verbindung gebracht werden können bzw. aus was die Aufgaben einer Wissenssoziologie der Gewalt bestehen. Auch methodologisch gefärbte Vorschläge zum Gewaltwissen sind willkommen.

Vorgesehen ist eine Präsenztagung an der Bauhaus-Universität Weimar. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenlos. Reise- und Unterbringungskosten können leider nicht ge­tragen werden. Interessierte Zuhörer:innen, die nicht selbst vortragen, bitte wir um vor­­he­rige Anmeldung. Es ist eine Publikation der Vorträge der Tagung in Form eines Sam­mel­­ban­des geplant. Den Keynote-Vortrag wird Prof. Dr. Jan Philipp Reemtsma (Hamburg) halten.

Abstracts im Umfang von etwa einer Seite (inkl. kurzer Angaben zur Person) können bis zum 28. Februar 2023 parallelan folgenden Adressen eingereicht werden:

thorsten.benkel(at)uni-passau.de      und      ekkehard.coenen(at)uni-weimar.de