Obwohl es mittlerweile eine Vielzahl an Forschung zum Phänomen Islamismus gibt, wurden in nur wenigen Studien Interviews mit jungen Menschen mit islamistischen Orientierungen geführt und systematisch ausgewertet. In diesem Buch gehen die Autorinnen anhand autobiografischer Erzählungen den folgenden Fragen nach: Wie eignen sich junge Menschen islamistische Orientierungen an, wie hängen sie mit biografischen Erfahrungen zusammen und welche Funktion erfüllen sie in den Biografien? Die Autorinnen zeigen, dass die Orientierungen in jugendphasenspezifische Probleme von Grenzziehung, Handlungskontrolle, sozialer Positionierung und Vergemeinschaftung eingebunden sind und diese Probleme auf verschiedene Weise gelöst werden: Islamismus übernimmt dabei die Funktion der starken Grenze, die Funktion der starken Ordnung oder die Funktion der starken Gemeinschaft.
Ausgangspunkt sind autobiografische Erzählungen von jungen Erwachsenen, die sich unterschiedlich weit ideologisierten Islamauslegungen und islamistischen Positionen angenähert und meist wieder davon abgewendet haben. Es werden verschiedene Aspekte des Radikalisierungsprozesses genauer untersucht: Erstens werden die (zeitweiligen) Hinwendungen in ihrer lebensgeschichtlichen Verankerung als biografischer Wandlungsprozess dargestellt, der subjektiv plausibel und biografisch funktional ist. Radikalität wird dabei als adoleszenter Versuch der Bewältigung schwieriger Lebenslagen und strukturell vorgegebener Krisen sowie als Versuch, sich gesellschaftlich zu positionieren, gelesen. Es wird gezeigt, wie die Jugendlichen ihre eigene Involviertheit wahrnehmen und darstellen, wie sie sich ›ihren‹ Islam vorstellen und aneignen und wie sich in solchen idiosynkratischen Religionskonzepten ihre eigene Positionierung in ihrer sozialen Umwelt und in der Gesellschaft dokumentiert. Zweitens wird der Prozess als Teil sozialer Interaktion in der Familie, in Peerbeziehungen, in und mit radikalen Gruppen oder mit staatlichen Akteuren untersucht. Es wird gezeigt, wie Radikalisierung als soziale Tatsache im interaktiven Prozess hergestellt wird, welche Funktionen und Rollen signifikante Andere in diesem Prozess einnehmen und wie sie selbst in ambivalenter Weise zur Hinwendung oder Distanzierung beitragen. Drittens werden verschiedene Modi von Hinwendungs- und Distanzierungsprozessen herausgearbeitet. Sie zeigen, wie verschiedene Formen sozialen Handelns und sozialer Situierung den Hinwendungs- und Distanzierungsprozess strukturieren.