Aus dem Inhalt
- Jörg Strübing: Soziologie in kriegerischen Zeiten
- Thomas Scheffer, Robert Schmidt: Für eine multiparadigmatische Soziologie in Zeiten existentieller Probleme
- Markus Holzinger: Alter Wein in neuen Schläuchen oder was ist neu am ›neuen Postkolonialismus‹?
- Stellungnahme der DGS zur Bereitstellung und Nachnutzung von Forschungsdaten in der Soziologie
Identität und Interdisziplinarität
Jörg Strübing: Soziologie in kriegerischen Zeiten
Anknüpfend an bisherige Debatte in diese Zeitschrift rekonstruiert der Beitrag unter Bezug auf eine soziologiegeschichtliche Studie von Anne Rawls die Entstehung und Persistenz eines pejorativen Narrativs über qualitative Sozialforschung und das begleitende Theoriearsenal. Insbesondere wird herausgearbeitet, wie in zentralen Statements von Protagonist*innen der Akademie-Gründung dieses aus den USA des zweiten Weltkriegs stammende Narrativ bedient und damit fortgeschrieben wird. Der Autor betont dagegen, dass für einen fruchtbaren Diskurs im Fach die wechselseitige Anerkennung der Dignität der opponierenden Sprecher*innenposition unabdingbar ist.
The paper picks up on recent discussions in this journal about the role of methods and theory in sociology, the various divides between quantitative and qualitative research, and the dispute over unified science vs. multi-perspectivity in theory and methods. Relying on a study by Anne Rawls the argument is especially focusing on the parallels between a pejorative narrative about qualitative methods and interactionist theory from the times of WW II and the rhetoric recently used in arguing for the split-off of a so-called Akademie für Soziologie. The obvious is suggested: A fruitful debate requires all participants to respectfully acknowledge the scientific and personal dignity of their opponents.
Thomas Scheffer, Robert Schmidt: Für eine multiparadigmatische Soziologie in Zeiten existentieller Probleme
Unser Beitrag fasst die gegenwärtigen Konflikte in der Soziologie nicht als Wiederaufflammen des Methodenstreits, sondern als eine Zuspitzung der Auseinandersetzungen um die Multiparadigmatik des Faches. Wir beschreiben Soziologie dabei als ein gesellschaftliches Vermögen zur Analyse und Bearbeitung sozialer Probleme. Die Kapazität des Faches wird durch drängende existentielle Fragen herausgefordert und auf die Probe gestellt. Es bewährt sich eher dort, so unsere These, wo es seine Vielfältigkeit kultiviert und für außerfachliche Formen problemgetriebenen Soziologisierens empfänglich ist. In hegemonialen, szientistischen Konstellationen drohen dagegen nötige Kapazitäten zu verkümmern. Blockiert werden diese auch, wo sich die Apparate der Sozialforschung dominierenden institutionellen Problemverdrängungen angleichen. Der Beitrag kontrastiert verschiedene Konstellationen der zentralen Paradigmen und lotet aus, wie diese die wechselwirkenden existentiellen Problemkomplexe (des-)artikulieren.
Our contribution grasps current conflicts in sociology not as the resurgence of the old dispute over method, but as a culminating fight over its multi-paradigmatic consensus. We take sociology here as a societal property to analyse and tackle social problems. The capacity of sociology is challenged by currently pressing existential problems. It may rather match those challenges, when cultivating its diversity and by integrating problem-informed sociologies from outside the discipline. On the contrary, in hegemonic and purely science driven constellations sociology may lose relevant capacities. The same applies where sociology merely copies problem-neglecting tendencies of dominant institutions. The article contrasts various disciplinary constellations of the main sociological paradigms and estimates their respective (in-)ability to articulate the cross-cumulative existential problem complexes.
Markus Holzinger: Alter Wein in neuen Schläuchen oder was ist neu am ›neuen Postkolonialismus‹?
Aktuell wird innerhalb der Soziologie erneut über den adäquaten Umgang mit dem Thema ›Kolonialismus‹ debattiert. In einer kürzlich erschienen E-Mail Debatte (SOZIOLOGIE, Heft 4, 2018) wird das Pro und Contra einer Neukonzeption eines ›neuen‹ postkolonialen ›turns‹ verhandelt. Der vorliegende Beitrag zeigt zunächst, dass angesichts der stark expandierenden Forschungslage zum Thema ›Kolonialismus‹ von einem neuen ›postkolonialen turn‹ nicht allzu viele neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Bekanntlich ist Recherche der natürliche Feind der Pointe. Dass das übergeordnete Projekt einer ›Eurozentrismus-Kritik‹ dennoch intensiviert und weiter geführt werden sollte – auch unabhängig von Phänomen des ›Kolonialismus‹, der ja nur ein Teilproblem in diesem Kontext darstellt –, so lautet das abschließende Argument–, steht dennoch außer Frage, insbesondere, wenn man die Beharrlichkeit gewisser ›gefährlicher Prozessbegriffe‹ (Hans Joas) der Modernisierungstheorie betrachtet, die in bestimmten Teilen der deutschen Soziologie nach wie vor en vogue sind.
Within sociology a debate has been reignited recently about an adequate dealing with ›colonialism‹ in general. In an e-mail debate (SOZIOLOGIE, no. 4, 2018), the pros and cons of a reconception regarding a ›new‹ postcolonial ›turn‹ are being discussed. This article shows that, considering the vigorously expanding state of research concerning ›colonialism‹, wholly innovative insights into the topic cannot be expected to begin with. The overarching project of uncovering eurocentrism, unquestionably, has to be intensified nonetheless – independent of the phenomenon of ›colonialism‹, which merely poses as a fraction of the problem at hand. Particularly, if the perseverance of certain ›perilous progress-concepts‹ (Hans Joas) of Modernization Theory is taken into account, which remain in vogue in certain parts of German sociology to this day.
Forschen, Lehren, Lernen
David Prenz, Richard Roske: Wieso braucht es eine Nachwuchsgesellschaft für Poltik- und Sozialwissenschaften?
DGS-Nachrichten
- Vorstand und Konzil der DGS: Stellungnahme zur Bereitstellung und Nachnutzung von Forschungsdaten in der Soziologie
- Thomas A. Herz-Preis für qualitative Sozialforschung
- Veränderungen in der Mitgliedschaft
- Preise der DGS für herausragende Abschlussarbeiten
- Elena Höpfner: Die Bedeutung der Dinge auf der Flucht
- Tine Haubner: Das Glück der Starken und die Not der Schwachen
Berichte aus den Sektionen und Arbeitskreisen
- Sektion Frauen- und Geschlechterforschung und Sektion Entwicklungssoziologie und Sozialanthropologie
- Sektion Soziologie der Kindheit
- Sektion Wissenssoziologie
Nachrichten aus der Soziologie
- Ein kurzes Gespräch mit Andreas Reckwitz, Gottfried Wilhelm Leibniz-Preisträger 2019
- Neue Kolleg-Forschungsgruppe ›Zukünfte der Nachhaltigkeit‹
- Exzellenzcluster ›Contestations of the Liberal Script‹
- Wolfgang Serbser: In memoriam Rainer Mackensen
- 100 Jahre Soziologie an der Goethe-Universität
- Zwei Ferdinand-Tönnies-Werkausgaben
- Habilitationen
- Tagungen
- Die Zukunft der Arbeit
- Gewissheit
- Causal Mechanisms in the Analysis of Social Policy Dynamics