Sehr verehrte, liebe Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Soziologie,
der neue Vorstand der DGS ist gewählt und hat Ende April seine Arbeit übernommen. Zeit, zurück zu schauen, aber auch einen Ausblick in die Zukunft zu wagen.
In meiner zweijährigen Amtszeit fanden zwei große Veranstaltungen statt und ein weiterer Kongress wird gerade vorbereitet. Während wir die 2. Regionalkonferenz in Jena zu ›Great Transformation. Die Zukunft moderner Gesellschaften‹ noch in Präsenz durchführen konnten, so blieb uns für den 40. Kongress der DGS zum Thema ›Gesellschaft unter Spannung‹, der eigentlich in Berlin geplant war – im Jahr von Max Webers 100. Todestag – nur die Option, diesen im virtuellen Format stattfinden zu lassen. Dies wird auch für den gemeinsamen Kongress von ÖGS und DGS zum Thema ›Post-Corona-Gesellschaft? Pandemie, Krise und ihre Folgen‹ der Fall sein, der im August diesen Jahres stattfinden wird.
Der DGS-Kongress 2020 war, trotz seines digitalen Formats, ein Erfolg. In der Beteiligung unterschied er sich kaum von den vorherigen Kongressen und auch die Zufriedenheit der Teilnehmenden war vergleichbar. Allein, es fehlte an sozialer Nähe – keine Kongressparty, keine gemeinsamen Kaffeepausen, keine Möglichkeit des zufälligen Kennenlernens! Die Hoffnung, diese Lücke mit dem Soziologiekongress in Wien zumindest teilweise wieder schließen zu können, mussten wir im April 2021 aufgeben. Zu Beginn der Planung des ›Wiener Kongresses‹ hofften wir, dass der Haupttitel ohne Fragezeichen auskommen würde. Nun zeigt sich, dass es vielleicht gar kein ›Post‹ geben wird, wir auf ungewisse Zeit mit dem Virus werden leben müssen. Umso dringlicher die soziologische Beschäftigung mit den höchst krisenhaften gesellschaftlichen Begleiterscheinungen.
Neben den Kongressen beschäftigten uns in den vergangenen beiden Jahren die (inter)nationale Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit und die in gewisser Weise damit zusammenhängende Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Debatten zur Wissenschaftskommunikation. Als Fachgesellschaft kann die Unterstützung der um ihre (Wissenschafts-)Freiheit bangenden Kolleg:innen beispielsweise in der Türkei, in Ungarn oder in Brasilien nur ideeller Natur sein, aber wir sind zuversichtlich, dass unser vielstimmiger Protest wahrgenommen wird. Was die Debatte um Wissenschaftskommunikation betrifft, so führen wir hier eine Debatte an, die zum Ziel hat, die Strategie der Wissenschaftsministerin zur Stärkung der Wissenschaftskommunikation zumindest zu irritieren und den gesellschaftlichen Prozess kritisch reflektierend mitzugestalten. Unter anderem hielten wir hierzu einen interdisziplinären Workshop mit Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ab. Deutlich wurde unter anderem, dass Wissenschaftskommunikation in einem weiten Verständnis ein integrativer Bestandteil unserer wissenschaftlichen Tätigkeit sein muss und es keine – womöglich auch noch hierarchisierte – Aufgabenteilung innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaften geben darf.
Wir haben in den letzten beiden Jahren die Arbeit in den Ausschüssen und Kommissionen mit großem Engagement weitergeführt. Vor allem die Arbeit im Ausschuss ›Soziologie in Schule und Lehre‹ stellt sich dabei immer wieder als Sisyphosarbeit heraus. So finden die (fach)politischen Anstrengungen, den offiziellen Anteil der Soziologie im Schulunterricht zu reduzieren, absehbar kein Ende. Außerdem haben Vorstand und Konzil eine Kommission zur Stärkung der Repräsentanz des Mittelbaus in den Gremien der DGS und zur Vereinfachung des Wahlverfahrens eingesetzt. Die Vorschläge der Kommission sehen Quoten für Vertreter:innen des Mittelbaus und der Studierenden im Konzil und feste Plätze für den Mittelbau im Vorstand vor. Die stärkere Vernetzung der studentischen Mitglieder der DGS ist ein willkommenes Nebenprodukt dieser Aktivitäten. Wenn ich diese Zeilen schreibe, diskutieren die Mitglieder darüber auf SozBlog.
Das Konzil hat den Vorstand des Weiteren beauftragt, sich erneut und ergebnisoffen mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sich die Soziologie als Disziplin am CHE-Ranking beteiligen soll. Auslöser dafür war die Einladung des CHE, sich an einem Fachbeirat zu diesem Thema zu beteiligen. Dieser Fachbeirat hat mittlerweile seine Arbeit aufgenommen. In Sachen Datenmanagement beteiligt sich der Vorstand an der Arbeit des RatSWD und hat dort dazu beigetragen, dass auch qualitative Daten verstärkt in den Blick genommen werden.
Und wir haben das Projekt einer internationalen Zeitschrift für die deutschsprachige Soziologie wieder aufgegriffen. Der Antrag für die Anschubfinanzierung des German Sociological Journal (GJS) liegt bei der DFG.
Spätestens an dieser Stelle wird es Zeit, den Mitgliedern des Vorstands und der Geschäftsstelle in Essen meinen Dank auszusprechen. Wir haben in diesen beiden Jahren und trotz Corona viel geschafft. Das lag nicht zuletzt daran, dass wir uns von Beginn an sehr gut verstanden haben und dass wir zusammengehalten haben – auch unter den erschwerten Bedingungen in der zweiten Hälfte unserer Amtszeit. Liebe Gabriele, lieber Hans-Peter, lieber Hubert, liebe Larissa, liebe Sina und liebe Paula – bei der ich den Vorsitz der DGS in sehr guten Händen weiß - liebe Sonja, liebe Svenja, lieber Jan Dirk, ohne Euer immenses Engagement für unsere gemeinsame Sache, könnte ich heute nicht von all diesen erfolgreichen Aktivitäten berichten. Dafür danke ich Euch sehr. Mein Dank gilt aber auch Ihnen allen, den Mitgliedern der DGS. Ohne Sie könnten wir den 40. Kongress nicht als einen Erfolg feiern, ohne Sie und Ihr Engagement für die DGS, Ihre Beteiligung in den Sektionen, Arbeitsgruppen und Ausschüssen, an den Kommunikationsmedien der DGS und darüber hinaus, wäre das alles nicht gelungen und schauten wir nicht mit Zuversicht in die Zukunft unserer Disziplin und unserer stetig sich vergrößernden Fachgesellschaft – wenn auch in krisenhaften Zeiten.
Eigentlich hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt. So wie in Jena sollte es weitergehen, Begrüßungsreden auf den Kongressen und danach auf ein gemeinsames Bier, Sitzungen mit den Kolleg*innen in den Gremien und nach den leckeren Häppchen der gemeinsame Weg zur Kongressparty, die Vorstandssitzungen mit anschließendem Abendessen – alles nicht möglich und selbst unsere letzte gemeinsame Sitzung und die Übergabe an den neuen Vorstand haben wir virtuell durchgeführt.
Bevor ich mich nun aus dem Vorstand der DGS verabschiede, sei mir noch ein Hinweis erlaubt: die DGS-Homepage wurde neugestaltet und es findet sich dort unter Aktuell eine Rubrik Nachhaltigkeit mit ›DGS-Empfehlungen für eine ökologisch nachhaltige Soziologie‹. Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass mir dieses Thema ein großes Anliegen ist. Ich freue mich sehr, diese Spur gemeinsam mit den Kolleg:innen gelegt zu haben. Nun bleibt, dem neuen Vorstand und Dir, liebe Paula, alles Gute für die nächsten beiden mit Sicherheit erneut turbulenten Jahre zu wünschen.
Ihre / Eure Birgit Blättel-Mink
Geschätzte Colegas,
vielen Dank für Ihr / Euer Votum für den neuen Vorstand und für mich als Vorsitzende. Es ist mir eine Ehre – und es wird sicher eine Freude, die sich punktuell auch mit mancher Anstrengung paart. Mein Glückwunsch geht an alle Vorstandskolleg:innen: Ich freue mich auf eine lebendige und produktive Zusammenarbeit. Ebenso geht mein Glückwunsch an die neu gewählten Mitglieder im Konzil. Auch mit diesem Gremium wird die verbandsinterne Arbeit so angenehm und gewinnbringend laufen wie mit den Sektionen und der Sprecher:innen-Versammlung, da bin ich mir sicher. Diese Zusammenarbeit wird sich bis auf Weiteres digital gestalten, das hat sich in der vergangenen Legislatur sehr gut bewährt. Während ich – wie wohl alle – zwar das analoge Rumstehen und Tratschen beim Kaffee und die halb-lauten gewitzten (Sach-!)Kommentare zu Geschäftsordnungen, Kongressplanungen oder zum Zustand der Soziologie im Allgemeinen und der Gesellschaft im Besonderen sehr! vermisse, so habe ich digitale Gremiensitzungen in ihrer eigenen Form schätzen gelernt. Die pandemiebedingt virtuellen DGS-Gremiensitzungen waren jedenfalls allesamt ergiebig und straff, hatten ihre lustigen Momente und durchaus neben einer professionellen auch eine freundliche Atmosphäre. Die Sektionen haben 2020 eine eigene digitale ›Plattform‹ genutzt, unter anderem zur Generierung von Kandidat:innen für die vergangenen Wahlen. Das wurde sehr gut angenommen und das wird es 2021/22 weiterhin geben. Allen Beteiligten vielen Dank für ihre Flexibilität und ihr Engagement!
Für die kommende Legislatur stehen interessante und zum Teil kontroverse Themen an: Die Kontroversen im Fach selber (weiter) zu führen, das ist für mich ein Desiderat. Wege dafür zu finden ist nicht trivial. Wie kann es gelingen, uns zwar nicht naiv zu blamieren damit, Einheitswissenschaft zu behaupten und dann doch reduktionistisch passend zu machen, aber auch nicht in der als Perspektivenpluralismus hübsch, aber schlecht getarnten, abgeschotteten Beliebigkeit zu verharren? Ich habe dazu das Format ›Soziologie kontrovers‹ für kommende Kongresse konzipiert. Zahlreiche weitere Kolleg:innen hoffen auf und arbeiten zum Teil ebenfalls an einer verbindlichen disziplininternen Debatte. Verbandsintern wird es auch in den kommenden Jahren um das Thema nicht-professorale Mitglieder in der DGS gehen. Wie gelingt es, diese stärker in den Gremien einzubinden, vor allem aber: Wie können wir uns mehr als bislang mit der Soziologie als (hoch prekärer) professioneller Praxis befassen? Mir ist es ein Anliegen, die DGS dabei noch stärker mit anderen Fachvereinigungen forschungs- und wissenschaftspolitisch zu vernetzen, um strukturell zur Verbesserung der Situation der Beschäftigten in academia beizutragen. Damit haben wir schon begonnen und das wird sicher intensiv weitergehen.
Die Internationalisierung der DGS in inhaltlicher und institutioneller Hinsicht wird ein Aspekt der Arbeit sein, insbesondere durch das neue Journal – German Sociological Journal – das wir hoffentlich mit Unterstützung der DFG implementieren können. Da werden übrigens, so alles klappt, die Sektionen in ihrer Breite und Fülle eine wichtige Rolle spielen, denn sie sollen allesamt im Editorial Board vertreten sein. Auch hier sehe ich Möglichkeiten zur fachinternen Kontroverse im besten Sinne. Und, schließlich, wird uns als DGS auch in den kommenden Jahren die öffentliche Wahrnehmung der Soziologie mindestens so beschäftigen wie die Wahrnehmung der Öffentlichkeit in der Soziologie. Diese wechselseitigen Sichtbarmachungen sind komplex und performativ, haben ihre je blinden Flecke, und finden in ungeheuer dynamischen Entgrenzungs- und Verdichtungsprozessen statt. Es bleibt turbulent! Die Soziologie steht, so zynisch das ist, gerade durch das Pandemiegeschehen zwar ›gut‹, weil sichtbar da. Aber zugleich kommen womöglich wichtige Daten und Erklärungen zu wenig öffentlich vor, wie manche Soziolog:innen öffentlich monieren, und womöglich ginge gerade angesichts der durch und durch sozialen Folgen und Dimensionen der Pandemie (Ungleichheiten in und durch Gesundheitsinfrastruktur oder home schooling, Care und Geschlechterfragen, Solidarität, Biopolitik, Wirtschaft und Gesellschaft, you name it) noch mehr Soziologie. Womöglich ginge unsererseits aber auch noch mehr multidisziplinäre Forschung und öffentliche Artikulation? Der digitale, ursprünglich für Wien geplante Kongress mit der ÖGS sucht jedenfalls auch dieses Gespräch.
Besonders danken möchte ich Birgit Blättel-Mink für ihr erfolgreiches, engagiertes Wirken in den vergangenen Jahren und zu guter Letzt auch der Geschäftsstelle, Dr. Sonja Schnitzler, Svenja Deutschbein und Jan Dirk Hoffmann. Ein besseres Team kann es nicht geben! Sie sind auch für Euch / Sie immer für Fragen und Anregungen per E-Mail oder telefonisch erreichbar. Ich ebenso. Sie finden mich unter anderem auf twitter unter @DieVilla4. Kommt bzw. kommen Sie in den social media dazu. Die soziologische Twitteria ist keine Blase von Schaumschläger:innen, sondern eine interessante, transnationale und lebendige Diskurs-Konstellation.
Ihre / Eure Paula-Irene Villa Braslavsky