An das
Ministerium für Schule und Bildung
z.Hd. Herrn Staatssekretär Mathias Richter
Völklinger Straße 49
40221 Düsseldorf
Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie unterstützt grundsätzlich den im vorliegenden Entwurf zum Kernlehrplan ›Wirtschaft-Politik‹ für die Sekundarstufe I an Gymnasien beibehaltenen Anspruch eines sozialwissenschaftlichen Unterrichtsfaches, das die Disziplinen Ökonomie, Politikwissenschaft und Soziologie integriert. Sie sieht jedoch in der jetzt vorliegenden Fassung eine starke und höchst problematische Gewichtsverschiebung zugunsten der ökonomischen Bildung, die auch in der veränderten Benennung festgeschrieben ist. Während politische Bildung daneben noch einen gewissen Raum innehat, werden ›gesellschaftliches Lernen‹ bzw. die gesellschaftliche Bildung, die im Wesentlichen auf soziologischen Fachinhalten basiert, weitgehend marginalisiert und auf Bedürfnisse der Wirtschaft enggeführt. Damit werden grundlegende Lern- und Orientierungsbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler vernachlässigt. Das kommt explizit in der Aufgabenbeschreibung zum Ausdruck. Dort heißt es: ›In der Sekundarstufe I des Gymnasiums hat das Fach Wirtschaft-Politik die Aufgabe, bei den Schülerinnen und Schülern ökonomische und politische Mündigkeit zu entwickeln.‹ (S. 7) Darauf sind die vorgeschlagenen Lehrinhalte ganz überwiegend bezogen. Zudem zeigen sich darin eine mangelnde Wissenschaftsorientierung und ein Verlust internationaler Anschlussfähigkeit der schulischen Bildung. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie betrachtet diese Schwerpunktverschiebung mit großer Sorge. Denn dagegen steht nicht nur, dass ökonomische und politische Prozesse gesellschaftliche Grundlagen und Einbettungen haben, die ebenso verstanden werden wollen. Mehr noch erfordern die gegenwärtigen gesellschaftlichen Wandlungsprozesse – etwa Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, weltgesellschaftliche Verflechtungen und deren Folgen, aber auch innergesellschaftliche Konflikte – die Vermittlung von Wissen um gesellschaftliche Strukturen und Prozesse, um das individuelle Handeln, seine Verflechtung mit Gruppen und Organisationen, um eine entsprechende gesellschaftliche Bildung zur Verfügung zu stellen, die als notwendige und unabdingbare Grundlage unseres zukünftigen Zusammenlebens angesehen werden kann. Eine entsprechende Position hat die Deutsche Gesellschaft für Soziologie in ihrem Göttinger Aufruf vom September 2018 (›Soziologische Grundbildung für die Schule‹) formuliert und begründet. Wir fordern deswegen eine deutliche Überarbeitung des Kernlehrplanes, die den angesprochenen Einwänden Rechnung trägt.
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie für die Überarbeitung des Kernlehrplans (Änderungen fett markiert):
- Erweiterung der Definition des Bildungsauftrags des Faches:
›In der Sekundarstufe I des Gymnasiums hat das Fach Wirtschaft-Politik die Aufgabe, bei den Schülerinnen und Schülern ökonomische, politische und soziale/gesellschaftliche Mündigkeit zu entwickeln.‹ (S. 7) - Gleichwertigkeit aller Bezugsdisziplinen in der Formulierung der Aufgaben und Ziele des Faches sowie im Bereich der vorgestellten Inhaltsfelder und Kompetenzen. Die Formulierung ›Das Verständnis gesellschaftlicher Grundwerte trägt dazu bei, als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie als gesellschaftliche Akteure an der Gesellschaft teilhaben zu können.‹soll ersetzt werden durch ›In gleicher Weise sollen sie ein vertieftes Verständnis politischer und sozialer/gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse erwerben, um als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie als gesellschaftliche Akteure an der Gesellschaft teilhaben zu können. Ziel ist der Erwerb politischer und sozialer Mündigkeit durch aktives Demokratielernen und die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. (S. 8)
- Die gesellschaftliche Herausforderung des Extremismus, des Antisemitismus, der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (z.B. Menschen mit Behinderung) soll durch ein eigenes Inhaltsfeld abgedeckt werden (z.B. Wie entstehen soziale Vorurteile? Welche Interessen stehen dahinter? Welche gesellschaftliche Funktion können gesellschaftliche Vorurteile haben? Welche Maßnahmen zum Abbau von Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit werden diskutiert? Umsetzung ausgewählter Maßnahmen.
- Ein strikte Wissenschaftsorientierung des Kernlehrplans, die den Ansprüchen des Beutelsbacher Konsens‘ entspricht.
Erläuterungen
Inhaltliche Defizite
Mit dem Kernlehrplan wird im Grundsatz ein sozialwissenschaftlich integriertes Fachverständnis tradiert. Das entspricht weitgehend dem internationalen Diskussionsstand in der Bildungspolitik.
Ausgehend hiervon ist es unverständlich, dass im Kernlehrplan der politisch-gesellschaftliche Bildungsauftrag des Faches auf „Grundlagen‹ reduziert wird: ›Gleichzeitig sind die Grundlagen der politischen Bildung sowie gesellschaftliche Strukturen, Prozesse und Phänomene integrale Bestandteile des Faches Wirtschaft-Politik.‹ (S. 8)
Gesellschaftliches, soziales Lernen findet des Weiteren in der Definition des ›Bildungsauftrags‹ überhaupt keine Erwähnung mehr: ›In der Sekundarstufe I des Gymnasiums hat das Fach Wirtschaft-Politik die Aufgabe, bei den Schülerinnen und Schülern ökonomische und politische Mündigkeit zu entwickeln.‹ (S. 7)
Diese im Bildungsauftrag des Faches definierte Randstellung des politischen und sozial-gesellschaftlichen Lernens im Kernlehrplan steht im Widerspruch
- zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen (Art. 7, 2),
- zum Bildungsauftrag des Gymnasiums, das ›Schülerinnen und Schülern eine vertiefte Allgemeinbildung‹ (S. 8) vermitteln soll,
- zum Kernlehrplan, wonach die Schüler*innen im Fach Wirtschaft-Politik ein Verständnis von gesellschaftlichen Grundwerten (vgl. S. 8) erwerben und sie befähigt werden sollen ›ihre Interessen in der heutigen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mündig zu vertreten, sachkundig zu urteilen und verantwortungsvoll zu handeln‹ (S. 7, S. 8 ›Werteerziehung‹),
- zu den wenigen gesellschaftlich orientierten Inhaltsfeldern, wie z.B. dem Inhaltsfeld 4 ›Identität und Lebensgestaltung‹.
Der Kernlehrplan ignoriert in weiten Teilen die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Tagtäglich erleben Kinder und Jugendliche die Unübersichtlichkeit der heutigen Gesellschaft, sie erfahren die Komplexität gesellschaftlicher Zusammenhänge und sorgen sich angesichts der allgegenwärtigen Ungewissheit über die Entwicklungen der zukünftigen Gesellschaft. Sie sehen sich mit vielfältigen und widersprüchlichen Herausforderungen des Zusammenlebens in heterogenen, transnational miteinander verflochtenen Gesellschaften konfrontiert, die sich rasch und oft überraschend wandeln.
Es besteht die Problematik, dass die gesellschaftliche Kompetenz der jungen Generation auf der Strecke bleibt. Wer aber nicht versteht, was Gesellschaften prägt, zusammenhält und ändert, der kann sich auch nur ein sehr unzureichendes Bild von Politik und Wirtschaft machen. Denn Politik und Wirtschaft sind auf gesellschaftliche Voraussetzungen wie Werte und Normen, Vertrauen und Kooperation, Tradition und Innovation angewiesen. Wer nicht weiß, was Gesellschaften charakterisiert, den kann man leicht für illusionäre und simplifizierende, ausgrenzende und rücksichtslose Ziele und Praktiken in Politik und Wirtschaft begeistern.
Im Gegensatz zum Kernlehrplan betont die OECD, angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche und Herausforderungen, die Bedeutung des gesellschaftlichen Lernens. In der OECD-Studie ›The Future we want. The Future of Education and Skills – Education 2030‹, die von einem international renommierten Wissenschaftler*innen-Team entwickelt wurde, werden drei komplexe Dimensionen gesellschaftlicher Herausforderungen herausgearbeitet, die bedeutsam sind für eine zukunftsweisende sozialwissenschaftliche Bildung. Neben den ökologischen und ökonomischen beschreibt das Forscher*innen-Team auch ein Bündel sozial-gesellschaftlicher Herausforderungen:
- ›As the global population continues to grow, migration, urbanisation and increasing social and cultural diversity are reshaping countries and communities.
- In large parts of the world, inequalities in living standards and life chances are widening, while conflict, instability and inertia, often intertwined with populist politics, are eroding trust and confidence in government itself. At the same time, the threats of war and terrorism are escalating‹. (S. 3)
(Quelle: OECD E2030 Position Paper - PDF)
Aspekte wie das Bevölkerungswachstum auf der Erde, die sozialen, ökologischen und politischen Folgen der Urbanisierung, die wachsende soziale und kulturelle Vielfalt, die den sozialen Wandel derzeit prägen und soziale Unsicherheiten in weiten Teilen der Gesellschaft erzeugen, werden im Kernlehrplan nicht bzw. nur randständig erwähnt.
Das gleiche gilt für das Problem des Extremismus, das nur im Inhaltsfeld 2 ›Sicherung und Weiterentwicklung der Demokratie‹ Erwähnung findet und auch dort nur geringe Anteile in den Jahrgangsstufen 7-10 hat.
In den Jahrgangsstufen 5 und 6 ist die Auseinandersetzung mit dem Problem des Rassismus, des Antisemitismus, der Xenophobie, dem Hass gegenüber Menschen mit Behinderung, gegenüber gleichgeschlechtlichen Partnerschaften etc. nicht vorgesehen. Ausgehend von der medialen Berichterstattung, die von antisemitischen und xenophoben Übergriffen bereits in Grundschulen berichten, muss die gesellschaftliche Herausforderung des Extremismus (Rassismus, Antisemitismus, Xenophobie, der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit insgesamt) aber erstens bereits in der Erprobungsstufe ansetzen und zweitens inhaltlich ein deutlich größeres Gewicht erhalten, z.B. in Form eines eigenen Inhaltsfeldes.
Es irritiert, dass die Schülerinnen und Schüler gemäß Inhaltsfeld 2 lediglich die Ursachen von politischem Extremismus und Terrorismus erläutern können sollen (S. 31), aber im Bereich der ›Urteilskompetenz‹ diese Problematik nicht mehr erwähnt wird. Des Weiteren ignoriert die Begrenzung auf ›politische[n] Extremismus und Terrorismus‹ die Vielzahl von Diskriminierung und sozialer Ungleichheit in anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Unzureichende Wissenschaftsorientierung
Die Auseinandersetzung mit Wirtschaftspolitik, Wirtschaftstheorien und Wirtschaftsmodellen erstreckt sich im vorliegenden Kernlehrplan nur auf die ›freie und soziale Marktwirtschaft‹ (Inhaltsfelder 1, 6, 7). Die Auseinandersetzung mit alternativen Wirtschaftstheorien und -modellen findet im Kernlehrplan keine Erwähnung. Mit dem Prinzip der Wissenschaftsorientierung ist dieses Vorgehen nicht vereinbar.
Diskrepanzen zwischen inhaltlichen Anforderungen und disziplinären Beiträgen
Im vorliegenden Entwurf fällt alles in allem eine deutliche Unstimmigkeit/Unschärfe zwischen den inhaltlichen Anforderungen des Unterrichtsfaches einerseits und den vorgesehenen disziplinären Beiträgen andererseits auf. In der Summe führt dies dazu, dass
- Lehrer/innen Themen und Zugänge unterrichten sollen, zu denen sie im Laufe ihres Studiums keine Kompetenzen erwerben konnten,
- als erwartbares Ergebnis dieser Engführung eines sozialwissenschaftlichen Zugangs ohne die Kerndisziplin Soziologie die Schülerinnen und Schüler zentrale Kernkompetenzen nicht entwickeln können, weil es die weiter oben benannten auffälligen und konsequenzenreichen Leerstellen in dem Entwurf des Lehrplans gibt.
a) In dem Text des Entwurfs wird sprachlich deutlich, dass ein Ziel des Unterrichtsfaches ist, dass Schülerinnen und Schüler Wissen über gesellschaftliche Strukturen und Prozesse erwerben, außerdem gesellschaftliche Zusammenhänge und die Voraussetzungen und Folgen der Sozialität des Lebens sowie soziale (und kulturelle) Probleme verstehen sollen. Allerdings bieten die gemäß dem vorliegenden Entwurf hinter dem Unterrichtsfach stehenden Disziplinen (Politikwissenschaft und Ökonomie) diese Perspektiven nicht an. Weder die Frage nach Formen des Zusammenlebens (z.B. Familie) noch Spezifika kultureller Muster (interkulturelles Zusammenleben) sind im Kerncurriculum dieser Disziplinen zu finden. Auch daran anknüpfende aktuelle gesellschaftliche Fragen, wie jene nach sozialen Ungleichheiten, Heterogenität und Anerkennung von Verschiedenheit, werden in den beiden Disziplinen nicht gelehrt. Insgesamt wird von Lehrerinnen und Lehrern also erwartet, dass sie gesellschaftliche Strukturen und Prozesse verstehen können, gleichzeitig sind aber die dazu erforderlichen Wissensbestandteile und Kernkompetenzen, die nur im Fach Soziologie angeboten werden, nicht vorgesehen.
b) Neben den Leerstellen in den soziologischen Zugängen, die Lehrerinnen und Lehrer für den Unterricht in den Sozialwissenschaften benötigen, finden sich zudem gravierende inhaltliche Lücken im vorgelegten Kernlehrplan, die ebenfalls die bislang beteiligten Disziplinen nicht füllen können. Diese Lücken können als Strukturmerkmale der Gegenwartsgesellschaften bezeichnet werden. Einige fehlende zentrale Inhalte seien genannt: Moderne Gesellschaften zeichnen sich sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene durch soziale Ungleichheiten aus. In diesem Zusammenhang rücken auch eine Reihe sozialer Probleme (z.B. Armut oder Bildungsbenachteiligung) in den Fokus der Aufmerksamkeit. Zudem ist die Strukturkategorie Geschlecht nicht thematisch adressiert. Diese wird zwar im Lehrplan kursorisch über ›unbezahlte Familienarbeit‹ adressiert, aber keineswegs in ihrer zentralen Bedeutung im Lehrplan sichtbar. Geschlechtsspezifische Ungleichheiten sind sowohl in der Bundesrepublik als auch in Europa ein zentrales Konflikt- und Aushandlungsfeld und im Übrigen auch eines der wichtigsten Politikfelder der Europäischen Union. Ein weiteres Themenfeld, das für das Verständnis moderner Gesellschaften von zentraler Bedeutung ist, im Kernlehrplan aber faktisch ausgeklammert wird, ist das der Migration. Damit in engem Zusammenhang steht die Frage von interkulturellem Zusammenleben ebenso wie jene von Anerkennung und sozialem Zusammenhalt. Schließlich findet sich auch zur Herausforderung von Diversität und Heterogenität in modernen Gesellschaften nichts in dem Entwurf.
Insgesamt sind damit die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen ausgespart worden, es findet eine Fokussierung auf ökonomisches Handeln und den Bürger als Verbraucher/Konsumenten und Gestalterin des Gemeinwesens allein in definierten politischen Prozessen statt. Die Grundlagen, die zum Verstehen moderner Gesellschaften notwendig sind, werden schon im Studium nicht vermittelt, und die Merkmale moderner Gesellschaften werden im Unterricht dann nicht oder nur unzureichend adressiert. Auf dieser Grundlage kann weder die Kompetenz des Verstehens gesellschaftlicher Zusammenhänge bei den Schülerinnen und Schülern entwickelt werden, noch haben Lehrerinnen und Lehrer ein über Alltagsplausibilitäten hinausgehendes Verständnis dieser Ebenen. Die Herausbildung einer (Schüler*innen-)Persönlichkeit, die in der Lage ist, gesellschaftliche Strukturen, Prozesse und Konflikte adäquat zu adressieren und sich in modernen Gesellschaften zu orientieren und diese auch mitzugestalten, ist auf dieser Grundlage nicht zu erwarten.
Faktisch würden zudem Lehrpersonen fachfremd Themen der Soziologie unterrichten. Dies stellt insbesondere vor dem Hintergrund, dass fachfremder Unterricht sich negativ auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler auswirkt, eine sehr bedenkliche Entwicklung dar, die durchaus geeignet ist, andere Bemühungen der Qualitätssteigerung der Lehramtsausbildung (z.B. durch die Qualitätsoffensive Lehrerbildung) zu konterkarieren.
Abschließende Einschätzung
Wer nicht verstehen gelernt hat, was Gesellschaften insgesamt und die konkreten täglichen Situationen, in denen wir handeln, prägt, stabilisiert oder verändert, der macht sich nur ein sehr unzureichendes Bild vom sozialen Zusammenleben etwa in Familien, Peergroups, in sozialen Medien, am Arbeitsplatz und in den Schulen. Nur eine soziologisch fundierte gesellschaftliche Bildung in der Schule kann die entsprechenden Kenntnisse über und für das Handeln in allen Teilbereichen von Gesellschaft vermitteln. Soziologisches Wissen ermöglicht zudem ein erweitertes Verständnis abstrakter Handlungsbereiche wie Politik und Wirtschaft. Denn Politik und Wirtschaft sind auf gesellschaftliche Voraussetzungen angewiesen, die sie selbst nicht schaffen können. Dazu gehören Werte und Normen, Vertrauen und Kooperation, Tradition und Innovation. Wer Strukturen und Prozesse komplexer Gesellschaften und Merkmale und Dynamiken sozialen Handelns nicht kennen gelernt hat, lässt sich leichter für verkürzte Welterklärungen und einseitige Vorstellungen von Gesellschaft vereinnahmen. Das birgt nicht nur soziale, sondern auch politische und ökonomische Risiken.
Junge Menschen brauchen eine fundierte soziologische Bildung. Diese greift das Grunderleben von Unübersichtlichkeit der gegenwärtigen Gesellschaft auf, das Kinder und Jugendliche in besonderem Maße betrifft. Sie erfahren die Komplexität und Konflikthaftigkeit gesellschaftlicher Zusammenhänge und sorgen sich angesichts der umfassenden Ungewissheit über die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft und ihres eigenen Lebens. Sie sehen sich mit vielfältigen und widersprüchlichen Herausforderungen des Zusammenlebens in heterogenen, vernetzten Gesellschaften konfrontiert, die sich rasch und oft überraschend wandeln. Zugleich erwartet man von ihnen, dass sie sich aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligen und tragfähige Entscheidungen für ihr eigenes Leben treffen. Um diesen Herausforderungen souverän und verantwortlich begegnen zu können, ist soziologische Bildung unerlässlich, sie eröffnet neue Perspektiven und alternative Handlungsoptionen.
Schulen sind oft der einzige und prägende Ort, an dem Kinder und Jugendliche aus potenziell allen gesellschaftlichen Gruppen zusammenkommen und gemeinsam darüber nachdenken können, in welcher Gesellschaft sie leben, wie die Gesellschaft aussehen soll, in der sie leben wollen, und was sie tun können, damit sich die Gesellschaft in ihrem Sinne ändert. Deshalb ist eine grundständige und gleichberechtigte Verankerung soziologischer Inhalte, Theorien und Methoden in der gesellschaftlichen Bildung im sozialwissenschaftlich ausgerichteten Kernlehrplan wie auch allgemein in den Schulen und in der Lehrer-/Lehrerinnenausbildung geboten. Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern kann die Soziologie Theorien und Methoden an die Hand geben, um ihr eigenes Handeln in den unterschiedlichsten Situationen, in der Schule und anderen alltäglichen Lebenswelten zu analysieren und reflektieren zu können. Insoweit ist angemessene gesellschaftliche Bildung ein unverzichtbarer Bestandteil angemessenen Handelns in Gesellschaft.
Gerne stehen wir für konstruktive Gespräche zu den genannten Punkten zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Nicole Burzan und Prof. Dr. Birgit Blättel-Mink
Vorsitz der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Kontakt über
Dr. Sonja Schnitzler
Leitung
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