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Vergleich ökonomischer und politischer Bildung in NRW-Sekundarstufe I: ›Wirtschaft gut, Politik mangelhaft‹

Schülerinnen und Schüler haben in den Klassen 5 bis 10 an nordrhein-westfälischen Schulen viel Zeit für die Beschäftigung mit ökonomischen Themen. Im Vergleich zu politischen oder gesellschaftlichen Themen nimmt der Bereich Wirtschaft gar eine dominierende Position in ihrer Gesamtlernzeit ein. Zu diesem Ergebnis kommen Professor Dr. Reinhold Hedtke und Mahir Gökbudak von der Universität Bielefeld in ihrer neuen Studie zum Vergleich von ökonomischer und politischer Bildung in der Sekundarstufe I in NRW.

Für die verbreitete Vorstellung, dass ökonomische Bildung an Schulen zu kurz komme, finden die Bielefelder Sozialwissenschaftler keinen Beleg. Sie sprechen vielmehr von ›wirtschaftsfreundlichen Schulen‹.

Das Bielefelder Forscherteam nahm Stundentafeln und Lehrpläne zu den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in den Blick – ähnlich wie in einer Vorgängerstudie aus dem Jahr 2017. Erstmals untersuchten sie zusätzlich ministerielle Erlasse zu Formen und Zeiten der Berufsorientierung, zum Beispiel Betriebspraktika. ›So konnten wir den prozentualen Stellenwert von ökonomischer Bildung an der gesamten Lernzeit in der Sekundarstufe I ermitteln‹, sagt Reinhold Hedtke. Zunächst verglichen die Wissenschaftler die Anteile für ökonomische, politische und soziale Themen einzeln für die drei Schulformen Realschule, Gesamtschule und Gymnasium. Dann berechneten sie den Durchschnitt für die gesamte Sekundarstufe I.

›Es hat uns schon sehr überrascht, dass auf ökonomische Themen bis zu dreimal mehr Lernzeit entfällt als auf politische Themen‹, sagt Mahir Gökbudak. Innerhalb des gesamten Themenbereichs Politik, Wirtschaft und Gesellschaft schwankt der Anteil von Politik zwischen 20 und 28 Prozent. Dagegen dominieren ökonomische Inhalte, sie machen je nach Schulform zwischen 56 und 69 Prozent an der Unterrichtszeit in diesem Bereich aus. Weit abgeschlagen liegen gesellschaftliche Themen mit 11 bis 18 Prozent. Spitzenreiter bei den Wirtschaftsanteilen ist die Gesamtschule mit 69 Prozent.

Beim außerschulischen Lernen hat die ökonomische Bildung eine besondere Bedeutung. So sind Schulen verpflichtet, vier außerschulische Maßnahmen zum ökonomischen Lernen durchzuführen: Berufsorientierung bei der Agentur für Arbeit, Potenzialanalyse, Berufsfelderkundung und mehrwöchiges Betriebspraktikum. Dafür stehen mindestens dreieinhalb Schulwochen zur Verfügung. Dagegen gibt es weder für die politische, noch für die gesellschaftliche oder die historische Bildung verpflichtende Lernformen außerhalb des Unterrichts. ›Mit Blick auf wachsende Demokratiedistanz, geringe Partizipationsbereitschaft und die Zunahme von sozialer Ausgrenzung und Fremdenhass ist das eine inakzeptable Form der Politikverweigerung‹, betont Hedtke.

In einem weiteren laufenden Forschungsprojekt der Universität Bielefeld weiten die beiden Sozialwissenschaftler ihre Untersuchung zur ökomischen Bildung in der Sekundarstufe I auf weitere Bundesländer aus. 

Die wichtigsten Ergebnisse zur NRW-Studie im Überblick:

  • In der Sekundarstufe I entfällt pro Schulwoche bis zu dreimal so viel Lernzeit auf die ökonomische Bildung als auf die politische Bildung: 17 bis 20 Minuten für Politik, 41 bis 63 Minuten für Wirtschaft.
  • In der Sekundarstufe I steht je nach Schulform zwischen 56 und 69 Prozent der Zeit des sozialwissenschaftlichen Lernbereichs (Politik, Gesellschaft, Wirtschaft) für Wirtschaftsthemen zur Verfügung. Für Politik schwankt dieser Wert zwischen 20 und 28 Prozent.
  • Das Zeitbudget für die Pflichtangebote zu Berufsorientierungsmaßnahmen ist im Durchschnitt deutlich umfangreicher als das für die Behandlung politischer Themen in der gesamten Sekundarstufe I.
  • Gesellschaftliche Themen haben nur marginale Bedeutung, ihr Lernzeitanteil im sozialwissenschaftlichen Lernbereich liegt je nach Schulform zwischen 11 und 18 Prozent.
  • Für die ökonomische Bildung in Nordrhein-Westfalen ist außerschulisches Lernen im Umfang von mindestens dreieinhalb Wochen für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich. Das betrifft vor allem die Berufsorientierung. Die Schulen können diese Lernzeit auf bis zu sieben Wochen ausweiten.
  • Für die politische und für die gesellschaftliche Bildung gibt es keine einzige verbindliche außerschulische Maßnahme. Das gilt auch für die historische Bildung.
  • Gemessen am Lernzeitanteil für Wirtschaftsthemen ist die Gesamtschule die Schulform mit der höchsten Wirtschaftsaffinität.