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Problematische Stellungnahme der SWK zu Demokratiebildung als Auftrag der Schule – Fachverbände fordern eine Überarbeitung!

Essen, den 19. Dezember 2024

Irreführende Problembeschreibung und fehlgeleitete Forderungen

Die SWK-Stellungnahme zeichnet sich durch eine verkürzte und zum Teil irreführende Beschreibung der Problemlage und der aus ihr abgeleiteten Forderungen aus, die weder auf wissenschaftlicher Ebene ausreichend begründet noch im Hinblick auf die praktische Ebene für die Stärkung der Demokratiebildung in der Schule förderlich erscheinen.

Hervorzuheben ist dabei die Forderung nach einer bundesweiten Vereinheitlichung von Standards der Demokratiebildung. Für sie fehlt in der Stellungnahme sowohl aus fachwissenschaftlicher als auch aus fachdidaktischer Perspektive eine solide Grundlage. Die Annahme, dass eine Vereinheitlichung der zu erreichenden Kompetenzen durch die Festlegung neuer verbindlicher Ziele die Verankerung der Demokratiebildung in der Schule grundsätzlich verbessern würde, wird im Rahmen der Stellungnahme nur unzureichend belegt. Sie repräsentiert aus politikdidaktischer Sicht auch nicht den aktuellen Forschungsstand in der deutschen fachdidaktischen Gemeinschaft, auch angesichts der bereits langjährigen Teilnahme von Bundesländern wie Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an internationalen Programmen der vergleichenden politischen Bildungsforschung und Kompetenzmessung. In der Stellungnahme werden darüber hinaus aufgrund des ausschließlichen Verweises auf ein bestimmtes, älteres Kompetenzmodell der Politikdidaktik heutige fachdidaktikwissenschaftliche Beiträge zu Demokratiekompetenzen, -fähigkeiten und -fertigkeiten wissenschaftlich nicht angemessen referiert. Angesichts einer seit Jahrzehnten plural strukturierten Disziplin, die sich durch international hoch anerkannte, unterschiedliche fachdidaktische Strömungen auszeichnet, besteht die Gefahr, dass einseitig und ohne hinreichende Begründung eine singuläre wissenschaftliche Perspektive curricular wirksam verankert wird. Auch bildungspolitisch zeigen bereits existierende KMK-Standards zur Lehrkräftebildung, die von allen Bundesländern umgesetzt und kontinuierlich weiterentwickelt werden, anschaulich, dass (föderale) Vielfalt und Pluralität in der Demokratiebildung und in ihrer Forschung nicht als ein Hindernis, sondern als eine Stärke gesehen werden sollten. Eine zentrale Festlegung neuer Kompetenzen erscheint in diesem Kontext weder erforderlich noch wünschenswert.

Angesichts des besonderen Ziels der Stellungnahme, schulische Antworten gegenüber Radikalisierungstendenzen in der deutschen Gesellschaft zu begründen, muss darüber hinaus auf die unangemessene Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen und vermeintlich extremistischen Einstellungen von Schüler*innen hingewiesen werden. Das in den Sozialwissenschaften umstrittene Konzept ›Extremismus‹ wird in der Stellungnahme ohne kritische Einordnung auf Kinder und Jugendliche übertragen. Die Gefahr, die von dieser Konstruktion sowie von der Gleichsetzung und Relativierung verschiedener Phänomene politischer Entfremdung und Radikalisierung ausgeht, wird nicht reflektiert. Die stark verkürzte Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Einstellungen von Kindern und Jugendlichen ist in dieser Form problematisch. Auch das Unterkapitel zur ›Bedeutung der Schule für die Entwicklung demokratischer Einstellungen und politischer Partizipation‹ lässt zentrale Diskursfelder aus und bezieht relevante empirische Erkenntnisse nicht mit ein. So zeigen Studien der letzten Jahre, dass Schüler*innen mit Formaten der Alibi-/Scheinpartizipation, auch in der Schule, konfrontiert sind und den Eindruck gewinnen, an entscheidenden Stellen nicht an Demokratie mitwirken zu können. Die Forderung nach einer Stärkung der demokratischen Schulentwicklung ohne hinreichende Auseinandersetzung mit nicht-demokratischen Strukturen erscheint insofern nur bedingt tragfähig.

Selektive Wahrnehmung existierender Forschung zur Demokratiebildung

Weiterhin werden im Rahmen der SWK-Stellungnahme wesentliche, für die Demokratiebildung essenzielle Perspektiven und Zugänge außer Acht gelassen. Diese Vernachlässigung beeinträchtigt die Möglichkeit, das Feld sowohl konzeptionell als auch praktisch weiterzuentwickeln. Ebenso wenig finden relevante Bestandteile der Demokratiebildung wie die Demokratiepädagogik, die sozio-ökonomische Bildung, die rassismus- und antisemitismuskritische Bildung, soziologische Perspektiven, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) oder Digital Citizenship Education ausreichend Beachtung. Die Stellungnahme befördert in diesem Zusammenhang eine unzulässige Verengung des Diskurses und blendet wichtige Impulse für die bildungspolitische, didaktische und theoretische Weiterentwicklung aus. Auch auf fachmethodischer Ebene bleibt die Stellungnahme selektiv. Es wird nicht hinreichend begründet, warum bestimmte methodische Zugänge, empirische Befunde und theoretische Konzepte hervorgehoben werden, während andere, potenziell ebenso relevante Perspektiven und Erkenntnisse gar keine Erwähnung finden. Diese einseitige Betrachtung schwächt die Fundierung der Argumentation erheblich.

Eingeschränkte Perspektive auf die schulische Praxis

Die Stellungnahme weist auch bei der Beschreibung der bildungspolitischen, curricularen und praktischen Gegebenheiten und Formate in den Bundesländern deutliche Schwächen auf. Aussagen, dass gerade in den nicht-gymnasialen Schulformen Verbundfächer dominieren (in großen Flächenländern wie Bayern und NRW ist in der Oberstufe gerade der sozialwissenschaftliche Ansatz vorherrschend), die (ab-)wertende Kategorisierung weit verbreiteter sozialwissenschaftlicher Ankerfächer der politischen Bildung als ›gesellschaftswissenschaftliche Verbundfächer‹ sowie die Priorisierung der Fächer Politik und Geschichte gegenüber anderen Fächerformaten zeugen von einer nur unzureichenden Auseinandersetzung mit der disziplinübergreifenden Debatte zur Etablierung der Demokratiebildung angesichts pluraler Traditionen und Formate in den Ländern. Darüber hinaus wird die reale Vielfalt der Demokratiebildung auf Landesebene angesichts bestehender landesspezifischer Initiativen zur Förderung der Demokratiebildung nicht angemessen berücksichtigt. Zentrale Prinzipien der politischen Bildung wie die Subjektorientierung, die auch in vielen curricularen Vorgaben der Bundesländer verankert ist, finden in der Stellungnahme nahezu keine Erwähnung. Diese pädagogische und fachdidaktische Vereinseitigung beeinträchtigt die wissenschaftliche Stringenz und die praktische Relevanz der Stellungnahme erheblich.

Förderung der Demokratiebildung auf unterschiedlichen Ebenen begrüßenswert

Abschließend ist – trotz der aufgezeigten Kritikpunkte – die grundsätzliche Intention der SWK, die Bedeutung der Demokratiebildung hervorzuheben, nachdrücklich zu begrüßen. Vor allem die Empfehlungen, ›Demokratiebildung auch als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip‹ weiterzuentwickeln und ein durchgängiges Unterrichtsangebot für Fächer der politischen Bildung zu schaffen, stellen wichtige Bestandteile einer Förderung der Demokratiebildung an Schulen dar. Diese Förderung muss jedoch notwendigerweise um eine institutionelle Förderung auf allen Ebenen und für alle Schulformen sowie eine Etablierung von mindestens zwei Stunden politischer Bildung pro Woche ab der ersten Klasse im regulären Stundenplan ergänzt werden. Hier können erfolgreiche Initiativen der Bundesländer, Fächern der Demokratiebildung in unterschiedlichen Schulformen mehr Raum zuzuweisen und durch gezielte bildungspolitische Förderung die Stärkung der Demokratiebildung voranzutreiben – die in der SWK-Stellungnahme nicht beachtet werden –, als Modelle herangezogen werden. In diesem Zusammenhang gilt es, zu einer stärkeren Vernetzung und Unterstützung bestehender Ansätze und Akteure im Bereich der Demokratiebildung beizutragen, um langfristig wirksame Strukturen zu etablieren. Die inhaltliche, methodische und bildungspolitische Engführung der SWK unterstützt diesen Prozess in ihrer aktuellen Form nicht.

Die einschlägigen Fachverbände fordern daher eine Überarbeitung der Stellungnahme.

Prof. Dr. Alexander Wohnig
Bundesvorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB)

Prof. Dr. Marc Partetzke
Sprecher der Gesellschaft für Politikdidaktik u. politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE)

Prof. Dr. Markus Gloe
Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe)

J.Prof. Dr. Anja Bonfig
Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft (GSÖBW)

Prof. Dr. Jörg Strübing
Ausschuss Soziologie in Schule und Lehre der Deutschen Gesellschaft für Soziologie