Meldungen des Vorstands

SOZIOLOGIE Jahrgang 52 - Heft 2 - 2023

Soziologie in der Öffentlichkeit

Oliver Römer
›Wir Verfassungsfeinde‹  

Am 28. Januar 1972 traten die ›Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst‹ in Kraft. Das Anliegen dieses Beitrags ist es, eine zumindest vorläufige historisch-soziologische Standortbestimmung der westdeutschen Soziologie im Spiegel dieses ›Radikalenerlasses‹ zu geben. Um zu verstehen, wie sich der Erlass auf das Feld der Sozialwissenschaften in der Bundesrepublik ausgewirkt hat, gehe ich zunächst kurz auf die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen dieser Zeit ein und beleuchte anschließend die Situation der westdeutschen Soziologie sowie die Rolle der DGS etwas näher. Abschließend werden die Berufsverbotspraxis und ihre Folgen für das sozialwissenschaftliche Feld in der Bundesrepublik anhand von einigen exemplarischen Fällen konkretisiert.

On 28 January 1972, the ›Principles on the Question of anti-constitutional forces in the public service‹ came into force. The aim of this article is to provide at least a preliminary historical-sociological assessment of West German sociology in the light of this also so-called ›Radikalenerlass‹. In order to understand how the decree affected the field of social sciences in the Federal Republic, I will first briefly discuss the social conflicts of the time and then take a closer look at the situation of West German sociology and the role of the DGS. Finally, the practice of prohibiting professions and its consequences for the social science field in the Federal Republic of Germany will be illustrated by means of a few exemplary cases.

Heinz Bude
Was ist soziologischer Sachverstand und wie sollte eine Soziologin ihn einsetzen?

Eine Replik auf den Beitrag von Klaus Kraemer in Heft 1-2023.
A reply to Klaus Kraemer›s contribution in no. 1-2023.
Hier der Text zum Download.

Identität und Interdisziplinarität

Katharina Hoppe
Öffentliche, parteiliche, positionierte Soziologie         

Der Beitrag nimmt die jüngere Konjunktur der Diskussionen um eine Politisierung von Wissenschaft und Soziologie angesichts der Diagnosen eines ›postfaktischen Zeitalters‹ zum Ausgangspunkt, um über soziologische Antworten auf die (wissenschafts-)politische Gemengelage nachzudenken und zum neu einsetzenden Selbstverständigungsprozess innerhalb der Disziplin beizutragen. Ziel ist die Profilierung eines Verständnisses positionierter Soziologie, das aus einer kritischen Diskussion der Angebote öffentlicher und parteilicher Soziologie gewonnen wird. Positionierte Soziologie nimmt poststrukturalistische, identitätskritische Impulse auf, um ein Wissenschaftsverständnis zu stärken, das seinen Ausgangspunkt in Verortungsleistungen nimmt. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Verkürzung des Motivs der Positionierung auf identitäre Marker erkennender Subjekte und damit einhergehende Verunglimpfungen von Forschung als ›Identitätspolitik‹ von besonderer Bedeutung.

This article takes the recent flourishing of discussions about a politicization of science and sociology in view of the diagnoses of a ›post-truth age‹ as a starting point to reflect on sociological responses to the (scientific-)political constellation and to contribute to the newly emerging process of deliberating the self-conception of the discipline. The aim is to profile an understanding of positioned sociology that is derived from a critical discussion of the offerings of public and party sociology. Positioned sociology takes up poststructuralist, identity-critical motives in order to strengthen an understanding of science that takes its starting point in situatedness. This is particularly important in light of the reduction of the concept and practice of positioning to identitarian markers of knowing subjects and concomitant denigrations of research as mere ›identity politics‹.

Forschen, Lehren, Lernen

Gerhard Schulze
Learning by Doing im Beruf           

Soziologie als Wissenschaft steht einer stark gewachsenen Nachfrage gegenüber, der die Ausbildung an den Universitäten nicht gerecht wird. Woran es mangelt, ist die Vorbereitung auf die Kommunikation in Kontexten jenseits der soziologischen Fachöffentlichkeit, beispielsweise in Talkrunden, Beratung, Marktforschung, öffentliche Diskussionen, Erwachsenenbildung oder Vorstandssitzungen. Im Vordergrund steht dabei der Bedarf an aktueller Beschreibung: ›Was tun wir eigentlich gerade?‹ Seitens der so gefragten Soziologinnen und Soziologen kommt es dabei auf spontane Artikulationsfähigkeit an, auf Dialektik im Hier und Jetzt, auf öffentliches Reden ohne schriftliche Vorbereitung und auf alltagstaugliche Verständlichkeit. Als dafür geeignete Form rhetorischer Schulung eignen sich ›Debattierseminare‹ zu aktuellen Themen

Sociology as a science must face an increased demand for which study on universities doesn‹t come up. This gap in sociological education concerns the preparation for communication in contexts beyond the academic sphere, for instance roundtables, consultation, market research, public discussions, adult education, or board meetings. On such occasions the central interest is focused on actual description: ›What are we really doing?‹ Confronted with questions of this type, sociologists must be able to answer spontaneously, to come up with dialectical argumentation, to talk in public without being prepared, and to speak understandably. An adequate form of rhetoric training for such situations are seminaries in which actual themes of public discourse are debated.

DGS-Nachrichten

  • Protokoll der Auszählung der Wahlen zu Vorsitz, Vorstand und Hälfte des Konzils 2023 der Deutschen Gesellschaft für Soziologie e.V. (DGS)
  • Rebekka Marie Bürkert
    Evaluation des DGS-Kongresses 2022
  • Aus dem DGS-Vorstand
  • Preise der DGS für herausragende Abschlussarbeiten
    Hannah Pool
    Grenzen, Gefahr und Geld
    Flucht ist teuer: Zwischen 4.000 und 20.000 Euro kann es kosten, von Afghanistan nach Deutschland zu fliehen. Auf der Flucht ist Geld ein Mittel zur Bezahlung und Bestechung, aber es definiert auch Beziehungen als Schuldenverhältnis, Geschenk oder Spende. Um die wirtschaftlichen Interaktionen und sozialen Beziehungen zu untersuchen, die es Menschen ermöglichen, Geld für ihre Flucht zu verdienen, zu verleihen, zu tauschen und auszugeben, habe ich Menschen auf ihrer Fluchtroute von Afghanistan nach Deutschland im Iran, in der Türkei, in Griechenland und entlang der Balkanroute ethnografisch begleitet. Die Beziehungen zwischen Flüchtenden und ihren Familien, Freund:innen, Schleusern, aber auch Grenzbeamt:innen und humanitären Akteur:innen stehen im Vordergrund dieser Untersuchung. Die Moralökonomie bildet den theoretischen Rahmen für die Analyse.
    Fleeing is expensive: It can cost between 4,000 and 20,000 Euros to flee from Afghanistan to Germany. On these undocumented migration trajectories, money is a means of payment and bribery, but also debt relationship, gift or donation. To investigate the economic interactions and social relations that enable people to acquire, borrow, exchange, and spend money, I accompanied people on their undocumented migration trajectories from Afghanistan to Germany in Iran, Turkey, Greece, and along the Balkan route. The relationships between refugees and their families, friends, smugglers, but also border officials and humanitarian actors are in the foreground of the investigation. Theoretically, the concept of the moral economy provides the framework for this analysis.

    Julia Böcker
    Soziologie des Schwangerschaftsverlusts
    Die Studie geht der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen es gesellschaftlich als legitim gilt, Schwangerschaftsverluste als Tod und Verlust eines Kindes zu deuten und zu behandeln. Im Ergebnis der qualitativen Untersuchung steht ein stufenförmiges Modell der Verlustkonstitution, das drei Dimensionen integriert: Körperliche Materialität, (Nicht-)Leben und Personalität. Intersubjektiv anerkannt ist die Deutung vom Verlust eines Kindes im Rahmen von Schwangerschaft und Geburt nur, wenn dieser in jeder Dimension plausibel gemacht werden kann. Der Beitrag entwirft eine soziologische Perspektive auf Schwangerschaftsverluste und zeigt empirische Erträge sowie theoretische Anschlussmöglichkeiten.
    The study investigates under which conditions it is socially considered legitimate to interpret pregnancy losses as the death and loss of a child. The qualitative analysis results in a model showing how baby loss is constituted along three dimensions: organic materiality, (non-)life and personhood. Pregnancy loss is socially acknowledged as a baby loss only when it is made accountable in all dimensions. The article develops a sociological perspective on pregnancy loss and provides empirical and theoretical insights for further research.
  • Veränderungen in der Mitgliedschaft

Berichte aus den Sektionen

  • Sektion Soziologiegeschichte

Nachrichten aus der Soziologie

  • Ein kurzes Gespräch mit Martin Kohli, Gründer der Kohli Stiftung für Soziologie
  • Schader-Preis 2023 für Steffen Mau
  • In memoriam Volkmar Sigusch
    Ilka Quindeau
  • In memoriam Jost Halfmann
    Stephan Hein, Andreas Höntsch
  • Habilitationen      
  • Trilaterale Forschungskonferenzen ›Villa Vigoni‹ 2024–2026
  • Dissertationspreis der Sektion Stadt- und Regionalsoziologie
  • Hartmut-Häußermann-Preis ›Soziale Stadt‹ 2023
  • Peter A. Berger Sektionspreis für herausragende Dissertationen
  • Call for Papers
    • Diversifizierung – Dezentrierung – Dekolonisierung
    • Bilanz und Perspektiven kultur- und sozialwissenschaftlicher Gedächtnisforschung
    • Globalisierte Kunstmärkte  
    • Summer School ›Topoi und Netzwerke der religiösen Rechten‹
  • Tagungen
    • ÖGS-Kongress: Kritische Zeiten