Gemeinsame Sektionsveranstaltung der Sektionen ›Soziologie der Kindheit‹ und ›Soziologie der Bildung und Erziehung‹ auf dem DGS-Kongress in Berlin (14. bis. 18.09.2020)
Organisation: Lars Alberth (Lüneburg) & Alexandra König (Duisburg-Essen)
Fragen nach den Bedingungen und Elementen sozialer Ordnung gehören seit ihren Anfängen zu den Grundfragen der Soziologie. Auf der Suche nach Antworten haben sich bereits die Klassiker den Themen Kindheit und Sozialisation zugewandt – erinnert sei an Durkheim (1903/ 1984). Wie Sozialisation und Bildung institutionalisiert sind, und wie damit Kindheit definiert und organisiert wird, sind Grundelemente sozialer Ordnung (Bühler-Niederberger 2019). Die gemeinsame Veranstaltung der Sektionen ›Soziologie der Kindheit‹ und ›Soziologie der Bildung und Erziehung‹ fokussiert Bildungs-/Sozialisationsprozesse im Vorschulalter mit Blick darauf, welche Kindheit und damit welche Gesellschaft (im Zuge einer ›methodischen Sozialisierung‹: Durkheim 1903/1984) anvisiert werden, welche Spannungen dabei auftreten oder erwartet werden und welche Spannungen zwischen den Aspirationen von Kindern und Eltern und dem gesellschaftlich Möglichen sichtbar werden. Obschon von der Soziologie wenig beachtet, wird die Vorschulkindheit zunehmend von ExpertInnen belagert, von der Politik gesteuert und von Eltern – mit Blick auf die erfolgreiche Zukunft ihrer Kinder – bearbeitet. Gerade hier, so die Annahme, wird das gesellschaftliche Ordnungsbemühen und damit eine ›Gesellschaft unter Spannung‹ erforschbar. Dabei können solche Bemühungen um Kindheit durchaus unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen Rechnung tragen: als Sozialinvestition, als Kontrolle und Prävention abweichender Karrieren, als Reaktionen auf Diversität oder als Umsetzung rechtlicher Vorgaben und Ansprüche. Die Veranstaltung lädt zur Gesellschaftsanalyse am Gegenstand der Kindheit ein. Willkommen sind Beiträge, die sich mit der Frage auseinandersetzen, wie die frühe Kindheit in Bildungsinstitutionen bearbeitet wird und welche Spannungsfelder dabei definiert, verschärft aber auch entschärft werden – auf der Mikroebene des Alltagshandelns und auf der Makroebene gesellschaftlicher Steuerungsbemühungen:
• Bildungspolitische Entscheidungen privilegieren bestimmte Kindheiten und schaffen die Voraussetzung für die Erzeugung legitimen Kultur- und Humankapitals, für die Institutionalisierung von Rechtsansprüchen und für Möglichkeiten von Teilhabe und Integration. Inwieweit Ordnungsleistungen rund um Kindheit dabei eng verwoben sind mit Vorstellungen zukünftiger (erwünschter wie unerwünschter) gesellschaftlicher Zustände, ist eine Frage, die in der Veranstaltung erörtert werden kann.
• Vorschulische Bildungs-/Betreuungsinstitutionen mögen in ihrer Praxis Spannungen verschärfen, insofern sie elterliche Investitionen in die Zukunft ihrer Kinder einfordern, ein bestimmtes ›normatives Muster guter Elternschaft‹ propagieren. Zu fragen ist, inwieweit hier humandifferenzierende ›Abweichungen‹ (etwa: Hirschauer 2014) hergestellt werden. Gegenstand der Diskussion können auch die Entwicklungen neuer Expertengruppen (die z.B. bereits pränatal ›gute Mutterschaft‹ entwerfen) wie auch institutioneller Zuständigkeiten (z.B. von Familienzentren oder Familienbildungsstätten) sein.
• Bildungs- und Statusbemühungen von Eltern in Bezug auf ihre Kinder sind lange vor Eintritt in die Schule erkennbar (etwa: Breidenstein et al. 2014). Im Rahmen der Veranstaltung kann beispielsweise diskutiert werden, inwieweit sich entsprechende Distinktionsbemühungen der Mittelschicht für ihre Kinder als Ausdruck von Anspannung, im Sinne von Abstiegssorgen bzw. Unsicherheiten, oder auch als Darstellung guter Elternschaft deuten lassen.
• Aspirationen und Strategien von Kindern sind gebunden an ihre soziale Position, werden aber auch in Auseinandersetzung mit Peers, Eltern und Professionellen in Bildungs-/Betreuungsinstitutionen (etwa: Betz/de Moll 2019) bearbeitet. Interessant sind in diesem Zusammenhang Prozesse der Anpassung von individuellen Aspirationen an gesellschaftliche Erwartungen, die mit einer Reduktion von Spannungen und einer Festschreibung von Ungleichheiten und Separation einhergehen können.
Einreichungsvorschläge zu unserer Veranstaltung von max. 300 Wörtern erbitten wir bis zum 31.03.2020 per E-Mail an Lars Alberth (alberth@leuphana.de) und Alexandra König (alexandra.koenig@uni-due.de).
Literatur:
Betz, Tanja/De Moll, Frederick (2019): Ungleichheitsbezogene Bildungsforschung – Kinder als Reproduzenten von Bildungsgleichheit. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, Heft 3, S. 225–228.
Breidenstein, Georg/Krüger, Jens Oliver/Roch, Anna: ›Aber Elite würde ich’s vielleicht nicht nennen.‹ Zur Thema-tisierung von sozialer Segregation im elterlichen Diskurs zur Grundschulwahl. In: Krüger, H.-H./Helsper, W. (Hg.): Elite und Exzellenz im Bildungssystem. Nationale und internationale Perspektiven. Zeitschrift für Erziehungswis-senschaft 2014, Sonderheft 19, Wiesbaden: Springer VS: 165–180.
Bühler-Niederberger, Doris (2019): Lebensphase Kindheit. Theoretische Ansätze, Akteure und Handlungsräume (2. Aufl.). Basel und Weinheim: Beltz Juventa.
Durkheim, Émile (1903/1984): Antrittsvorlesung. In: ders.: Erziehung, Moral und Gesellschaft. Vorlesung an der Sorbonne 1902/1903. Frankfurt am Main: Suhrkamp: 37–56.
Hirschauer, Stefan (2014): Un/doing Differences. Die Kontingenz sozialer Zugehörigkeiten. In: Zeitschrift für Soziologie. Jg. 43, Heft 3, S. 170–191.