Selbständige Arbeit, sei es hochqualifizierte Beratungstätigkeit, traditionelles Handwerk, Plattform- und Clickarbeit oder Kulturarbeit, birgt das Versprechen höherer Flexibilität und ist zugleich eine sozial und ökonomisch riskante Erwerbsarbeit. Zuletzt hat insbesondere die Corona-Pandemie deutlich gemacht, dass Selbständige eine vulnerable, soziale Gruppe sein können, die mit spezifischen Risiken und Herausforderungen konfrontiert ist. Selbständige Arbeit ist zwar keine Ausnahme mehr im deutschen Erwerbs- und Sozialsystem – aber nach wie vor ist sie nicht existenziell gegen allgemeine soziale Risiken abgesichert und gilt im Verhältnis zur abhängigen Normalarbeit immer noch als sozialpolitischer Sonderfall.
Zwar wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder darüber debattiert, inwiefern Selbständige in die Renten-, Kranken- und Pflegesysteme integriert werden sollten. Vor diesem Hintergrund wurde im April 2007 auch eine allgemeine Versicherungspflicht zur Absicherung des Krankheits- und damit auch des Pflegebedürftigkeitsrisikos eingeführt. Andere sozialen Risiken wie etwa Erwerbsminderung oder Elternschaft sind im Zusammenhang mit selbständiger oder hybrider Erwerbstätigkeit bisher nicht in vergleichbarem Maße problematisiert worden. Ebenso zeigte sich vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie eine Notwendigkeit der Absicherung von Auftragslosigkeit gerade für Soloselbständige.
Die Frage der Absicherung sozialer Risiken scheint sich im Zuge zunehmender Digitalisierung, Tertiarisierung und Flexibilisierung von Erwerbsarbeit und einer ›Entrepreneurial Society‹ weiter zuzuspitzen. Dabei versteht man unter sozialen Risiken gesellschaftlich als wichtig problematisierte Tatbestände, die für die Lebenslagen von Individuen und privaten Haushalten von Bedeutung sind und zu politischen Maßnahmen Anlass geben. Dabei handelt es sich um Krankheit, Elternschaft, Pflegebedürftigkeit, Invalidität (Erwerbsunfähigkeit), Verwitwung / Verwaisung (Hinterbliebenenabsicherung) oder Langlebigkeit (Altersvorsorge).
Es fragt sich, ob sich die historisch gewachsene, soziale Architektur der sozialpolitischen Sicherungssysteme an die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts anpassen lässt, sodass sie künftig auch für Selbständige und hybrid Arbeitende eine zugängliche und auskömmliche Absicherung ermöglicht – oder ob es einer sozialpolitischen Neuausrichtung von sozialer Absicherung bedarf, die soziale Risken gleichermaßen für abhängige, hybride als auch selbständige Formen von Erwerbsarbeit absichert, und die dabei auch den unterschiedlichen Bedarfen von Soloselbständigen und kleinen Betrieben gerecht wird.
Ausgehend von dieser grundlegenden Fragestellung, wollen wir auf der geplanten Tagung die Absicherung sozialer Risiken in selbständiger und ybrider Arbeit beleuchten. Dafür laden derArbeitskreis ›Die Arbeit der Selbstständigen‹ der Sektion Arbeits- und Industriesoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, das Institut für Gerontologie der Universität echta sowie das Forschungsnetzwerk Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung Bund ein zu einer Standortbestimmung der aktuellen Absicherung von sozialen Risiken bei selbständiger und hybrider Erwerbsarbeit und wollen unter anderem folgende, nicht abschließend gemeinte Fragen diskutieren:
- Welche Tatbestände gelten als Risiken und sind derzeit in welcher Form abgesichert?
- Welche Erwartungen haben Selbständige und hybrid Arbeitende an soziale Sicherung?
- Welche Initiativen der Interessensvertretung zur Absicherung sozialer Risiken finden sich unter Selbständigen oder hybrid Arbeitenden?
- Wie muss Erwerbsarbeit konzipiert sein, um sowohl abhängige als auch selbständige Arbeit sozialpolitisch abzusichern?
- Welche Formen eignen sich grundsätzlich zur Absicherung eines der aufgeführten sozialen Risiken (Altersvorsorge, Erwerbsunfähigkeit, Mutterschaft, etc.) und wie kann eine Absicherung organisiert werden - staatlich, privatwirtschaftlich oder als Mischmodell?
- Wie kann eine adäquate Erfassung der hybrid Erwerbstätigen und eine Vorsorgepflicht umgesetzt werden – welche Problemlagen treten auf? Welche Probleme ergeben sich aus dem Nebeneinander von Versicherungen bei parallel ausgeübten Tätigkeiten?
- Welche strukturellen Unterschiede, immanente soziale Ungleichheiten sowie geschlechtsbezogene Differenzierungen der Absicherung sozialer Risiken bestehen bei hybrid-selbständig Erwerbstätigen?
- Welche angebots- und nachfrageseitigen Arbeitsmarkteffekte sowie sozialen Folgen sind bei einer Einführung einer Pflicht zur Versicherung zu erwarten?
Wir freuen uns über theoretisch-konzeptionelle wie auch empirische, grundlagen- und anwendungsorientierte Beiträge. Wir erhoffen uns einen Austausch von Analysen und Konzepten in einer multi- und interdisziplinären Perspektive. Es sollen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zusammengeführt und weitergehende Forschungs- und Gestaltungsperspektiven diskutiert werden.
Bitte reichen Sie bis zum 01. November 2022 eine Zusammenfassung Ihres Vortrages (ca. 300 Wörter) als pdf-Dokument bei ist(at)mpifg.de ein