›Digitalisierung‹ ist in aller Munde, sie ist Bestandteil unseres alltäglichen Lebens. Die Digitalisierung schreitet auf der gesamten Welt voran, auch im Globalen Süden. Als sich das Internet in den 1990er Jahren durchsetzte, verhieß es eine egalitäre, partizipative, produktive und moderne Zukunft. Der Zugang zum Internet wurde als Menschenrecht verstanden. Zudem erhoffte man sich durch den Einsatz digitaler Techniken Erleichterungen im Bereich des Umweltschutzes. Die Peripherien würden besser an die Globalisierung angebunden; damit erhielten der Globale Süden oder ländliche Regionen bessere Chancen auf wirtschaftliches Wachstum und Reduktion von Armut. Mobilität würde intelligenter gestaltet werden können. Soziale Medien und Netzwerke verhießen einen freien Informationsaustausch und sogar neue Möglichkeiten zur (transnationalen) Mobilisierung sozialer Bewegungen.
Recht rasch zeigten sich aber auch Ambivalenzen: Entstehen durch Digitalisierungsprozesse nicht neue Ungleichheits- und Spaltungseffekte? Eine Debatte drehte und dreht sich daher um den sogenannten ›digital divide‹ – den unterschiedlichen Zugang zu Internet und digitalen Technologien zwischen Ländern und innerhalb Ländern. Wie beeinflusst Digitalisierung das gesellschaftliche Zusammenleben, wenn ein Teil der Bevölkerung über ein Smartphone verfügt und zumindest damit zeitweise Zugang zum Internet erlangt? Kritisch gesehen werden die Anwendung Künstlicher Intelligenzen, z.B. für predictive policing (Kontrolle, die das Verhalten von Menschen vorhersagbar macht), Gesundheitschecks, Messung der Produktivität und Auslese der Besten zur stärkeren Ausbeutung von Arbeitskräften, das Outsourcing und der Plattform- Kapitalismus, mit denen sich die Arbeitsbeziehungen verändern. Ein globaler digitaler Kapitalismus hat sich herausgebildet, insbesondere der finanzmarktgetriebene Kapitalismus – Stichwort ›dotcom-Blase‹. Abzuwehren gilt es daher die Überwachung und Beeinflussung von Kauf- und Wahlverhalten und die Steigerung der Macht von Konzernen durch das Sammeln von Daten. Neu herausgefordert wird damit der Datenschutz. Zugleich lässt die fortschreitende Digitalisierung mit negativen Effekten für Umwelt- und Klimaschutz – zumeist im Globalen Süden – den Ressourcenverbrauch steigen.
Digitalisierung ist Gegenstand gesellschaftlicher, politischer und akademischer Reflexionen. Oft erfolgen diese jedoch aus der Perspektive der technologisch hochentwickelten Zentren. Wir wollen die globalen Entwicklungen der Digitalisierung aus der Perspektive des Globalen Südens in den Blick nehmen. Insgesamt stellt sich eine Vielzahl von Fragen, die zu Beiträgen einladen:
- Wie verändert die Digitalisierung das Leben der Menschen?
- Welche Bereiche erfasst sie in den jeweiligen Regionen und Ländern wirklich? Durchdringt sie das Leben der Menschen überall gleich?
- Wie stark ändert sich der gesellschaftliche Austausch durch privatisierte oder teils selbstor- ganisierte Soziale Netzwerke oder neue, über das Internet vermittelte Handelsbeziehungen?
- Inwiefern verändert sich die Industrie durch die Digitalisierung? Was bedeutet dies für die Konzepte nachholender Industrialisierung?
- Welche Veränderungen bringt die Digitalisierung für die politische Ökonomie?
- Welche Auswirkungen hat das auf die internationalen Machtverhältnisse? Mit digitalen
- Technologien lassen sich auf neue Art und Weise politische Interessen im In- und Ausland verfolgen. Wie stark wird das schon genutzt, z.B. um missliebige oder konkurrierende Grup- pen zu behindern oder eigene legitime bzw. illegitime Ziele besser durchzusetzen?
- Künstliche Intelligenz ist mit ChatBots und Assistenzsystemen längst im Massenmarkt ange- kommen. Die dahinterliegenden Berechnungen erscheinen auch den Programmierenden oft als black boxes. Welche Sorgen um den Kontrollverlust über eigenes Verhalten entstehen daraus? Wieviel Realität steckt in den sich darum rankenden Mythen und Dystopien?
- Wie verlaufen die Prozesse, die im Globalen Norden geschehen, im Globalen Süden? Wie agieren Unternehmen im Globalen Süden?
- Welche postkolonialen Effekte zeigen sich in Digitalisierungsprozessen?
- Erleben wir die Reproduktion des bekannten imperialen Systems oder die Herausbildung einer neuen Ordnung, z.B. eines Kapitalismus 4.0 oder afrotopischer Ökonomien, die nicht mit den gängigen Kategorien gedacht werden können?
Themenfelder können sein:
Digitalisierung und Gesellschaft
- Digitalisierungsprozesse im Globalen Süden: Einsatz, Aufkommen in Alltag und Arbeitswelt;
- Durch Digitalisierung hervorgerufener gesellschaftlicher Wandel;
- Digitalisierung und Gender.
- Digitalisierung und politische Ökonomie (materielle Dimension)
- Digitalisierung und Arbeit, internationale Arbeitsteilung;
- Reproduktion postkolonialer Klassenverhältnisse, Neokolonialismus, Imperialismus;
- Herausbildung von Neuem.
Redaktionsschluss für Artikel ist der 2. Januar 2025.
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