In einem aktuellen Statement der Ministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek ist zu lesen: "Es ist eines meiner wichtigsten politischen Ziele, den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu intensivieren. Wissenschaftskommunikation wird daher künftig einen weitaus größeren Platz in der Förderpolitik meines Hauses bekommen. Wissenschaftskommunikation muss ein selbstverständlicher Teil wissenschaftlichen Arbeitens werden. Wir unterstützen den bereits begonnenen Kulturwandel hin zu einer kommunizierenden Wissenschaft."
(www.bmbf.de/de/karliczek-austausch-zwischen-wissenschaft-und-gesellschaft-intensivieren-10173.html)
Dazu wurde ein Grundsatzpapier des Ministeriums veröffentlicht, in dem es unter anderem heißt: ›Das BMBF möchte Forschende dazu befähigen und ermutigen, ihre Erkenntnisse der allgemeinen Öffentlichkeit zu vermitteln und sich in öffentliche Debatten auch zu kontroversen gesellschaftlichen Fragestellungen einzubringen. Hierfür müssen im Rahmen der wissenschaftlichen Selbstverwaltung bestehende Reputationslogiken unter Wahrung der wissenschaftlichen Exzellenz überdacht und Möglichkeiten zur Entwicklung von Kompetenzen in der Wissenschaftskommunikation geschaffen werden.‹
(www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Grundsatzpapier_zur__Wissenschaftskommunikation.pdf)
Es wird im selben Papier angekündigt, wie dies konkret geschehen soll: ›Das BMBF möchte gemeinsam mit den Wissenschaftsorganisationen die Rahmenbedingungen für Wissenschaftskommunikation im Forschungsalltag verbessern. Es setzt sich mit einer Reihe von Maßnahmen … dafür ein, dass Wissenschaftskommunikation grundständig im Wissenschaftssystem verankert wird. Gleichzeitig ist es dem BMBF wichtig, die Wissenschaftskommunikation durch einen besseren Transfer von Wissenschaftskommunikationsforschung und -praxis methodisch zu stärken.‹
(www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Grundsatzpapier_zur__Wissenschaftskommunikation.pdf)
Bemerkenswert ist, dass das Ministerium die Wissenschaftskommunikation als ein Kriterium in sein Förderprogramm aufnehmen, Qualitätskriterien für Wissenschaftskommunikation entwickeln und die Wirkung der Wissenschaftskommunikation messen will. Eine weitere Strategie in diesem Zusammenhang ist die Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements im Rahmen von ›Citizen Science‹.
Die unterzeichnenden Fachgesellschaften (siehe unten) begrüßen die explizite Anerkennung von Wissenschaftskommunikation als ein Element akademischer Forschung und Lehre. Auch stimmen sie mit der Ministerin darin überein, dass Wissenschaft eine zentrale Rolle bei der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen spielt, seien sie wirtschaftlicher, sozialer oder ökologischer Natur. Zugleich muss deutlich sein, dass Wissenschaft selbst Teil der Gesellschaft ist, die sie beobachtet und erklärt – wenngleich sozialer Alltag und Forschung jeweils eigenen Logiken folgen, die es unbedingt zu erhalten gilt.
Die unterzeichnenden Fachgesellschaften sehen in dem von Ministerin Karliczek initiierten Prozess Chancen und Risiken, die im Folgenden thesenhaft benannt werden.
- Eine integrative Strategie der Förderung der Wissenschaftskommunikation darf unter keinen Umständen die verfassungsgemäße Freiheit der Wissenschaft gefährden. Wissenschaftskommunikation darf nicht zur Diskriminierung wissenschaftlicher Themen führen, die gerade nicht, oder nur in geringem Maße, auf öffentliches Interesse stoßen.
- Dies gilt auch, und gerade, für kritische Positionen, die auf Verzerrungen, Schwierigkeiten und andere Probleme hinweisen, die mit Wissenschaftskommunikation einhergehen. So ist z.B. die Kopplung von ›Reputation‹ in der Wissenschaft mit Reichweite oder Impact außerhalb der Wissenschaft hoch problematisch.
- Wissenschaft produziert evidenzbasierte Erkenntnisse, sie produziert jedoch auch – methodologisch kontrolliert – Komplexität, Zweifel, Vorläufigkeit und neue Fragen. Beide Ausrichtungen sind in den Prozess der Wissenschaftskommunikation einzuspeisen. Es wäre fatal, Wissenschaft auf nützliche Faktenproduktion zu reduzieren. Es wäre auch fatal, der Öffentlichkeit in dieser Hinsicht falsche Versprechungen zu machen. Wer Wissenschaftskommunikation will, muss mit der Produktion und Relevanz von Unsicherheit, Kritik, Komplexität und Nuancierung rechnen. Die unterzeichnenden Fachgesellschaften sind überzeugt, dass dies als gesellschaftliche Aufklärung wiederum sinnvoll und konstruktiv ist.
- Zu guter Wissenschaftskommunikation gehört die Reflexion darüber, welche Öffentlichkeit, welche Publika, welche Kontexte, wer also was genau verstehen soll? Wer soll erreicht werden? Wozu? Diese Fragen sind Teil von Wissenschaftskommunikation und sie werden bereits intensiv beforscht. Auch dies muss systematisch bei der Generierung und Implementierung von Kriterien berücksichtigt werden.
- Wissenstransfer ist neben Lehre und Forschung schon jetzt an vielen Hochschulen integrativer Teil des Leitbildes. Die hier stattfindenden konzeptionellen und kommunikativen Bemühungen sollten in die politischen Bemühungen um eine Förderung der Wissenschaftskommunikation systematisch einbezogen werden.
- Wissenschaftskommunikation wird schon jetzt vielfach angestrebt und auch umgesetzt, doch die Ergebnisse verpuffen oft. Effektive, das heißt umsetzungsnahe und nachhaltige, Wissenschaftskommunikation benötigt Raum, Zeit und Ressourcen.
- Förderprogramme des BMBF, wie auch der EU, setzen häufig auf die Kooperation mit der außerwissenschaftlichen Praxis. In solchen Prozessen treffen nicht nur unterschiedliche Funktionsprinzipien aufeinander, sondern auch unterschiedliche Interessen. Der Wissenschaftskommunikation kommt hier nicht nur die Aufgabe zu, solche Spannungen und Konflikte produktiv aufzulösen – sondern auch, diese Spannungen sichtbar und verständlich zu machen.
- Wissenschaftskommunikation braucht disziplinen- und themen- sowie publikaspezifische Qualitätskriterien. Die unterzeichnenden Fachgesellschaften möchten sich mit ihrer breiten Fachexpertise und Erfahrung in diesen Prozess einbringen und erwarten, dass möglichst viele wissenschaftliche Fachgesellschaften eingebunden werden. Die Generierung von Standards der Forschungsförderung darf nicht an der scientific community vorbei geschehen.
- Die unterzeichnenden Fachgesellschaften fordern ein transparentes Verfahren der einzurichtenden Denkwerkstatt #FactoryWisskomm und sehen dafür die kollaborative Beteiligung Vieler als Bedingung.
- Es ist (aus der Forschung!) bekannt, dass die Bürgerwissenschaft, bzw. Citizen Science, in den gut situierten Milieus (Bildung, Einkommen, Lebensstil) auf deutlich mehr Interesse stößt, als in den weniger gut ausgestatten Milieus. Eine umfassende Strategie der Wissenschaftskommunikation hat dies zu berücksichtigen und darauf hinzuarbeiten, dass alle sozialen Gruppen in den Genuss der Beteiligungsformen kommen und dass auch die Interessen der Unterprivilegierten einbezogen werden. Darüber hinaus kann die Kooperation mit der Bürgergesellschaft nur gelingen, wenn wissenschaftliche Qualitätskriterien beachtet werden und wenn die Bürgerinnen und Bürger in enger Kooperation mit der Wissenschaft stehen.
Wir formulieren diese Punkte im Sinne einer produktiven Debatte, und eines konstruktiven Engagements. Die unterzeichnenden Fachgesellschaften möchten in die Beratungen und Konkretisierungen von Wissenschaftskommunikation als Element der Forschungsförderung einbezogen werden.
06. Dezember 2019, gez.
Deutsche Gesellschaft für Philosophie (DGPhil)
Deutsche Gesellschaft für Politikwissenschaft (DGfP)
Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs)
Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK)
Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA)
Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA)
Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Deutsche Gesellschaft für Volkskunde (dgv)
Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW)
Deutsche Vereinigung für Politische Bildung (DVPB)
Gesellschaft für Anthropologie (GfA)
Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft (GSÖBW)
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD)
Folgende Fachgesellschaften unterzeichnen die Stellungnahme im Anschluss an ihre Veröffentlichung:
Gesellschaft für Hochschulgermanistik (GfH) im Deutschen Germanistenverband (DGV)
Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM)
Gesellschaft für Popularmusikforschung (GfPM)
Verband Deutscher Kunsthistoriker
Kontakt über:
Dr. Sonja Schnitzler
Leitung
Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI)
Goethestraße 31
45128 Essen
Fon +49 (0) 201-18-38 138
Fax +49 (0) 201-18-38 232
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