Aktuell

SOZIOLOGIE Jahrgang 54 - Heft 3 - 2025

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Soziologie in der Öffentlichkeit

Annette Treibel
Migrationsforschung und Öffentlichkeit

Die Autorin nimmt die andauernde gesellschaftspolitische Debatte über Migration zum Anlass, um nach der Sichtbarkeit beziehungsweise Unsichtbarkeit der Migra­tions­forschung in der Öffentlichkeit zu fragen. Sie skizziert die Phasen, die die For­schung (insbesondere in der Soziologie) seit den 1970er Jahren durchlaufen hat und kon­statiert einen beträchtlichen Professionalisierungs- und Ausdifferen­zie­rungs­pro­zess. Die vielfachen Wissensbestände der Migrationsforschung spielen in der Öf­fent­lichkeit kaum eine Rolle. Die Autorin untersucht mögliche strukturelle Ursachen hier­für auf Seiten von Medien und Wissenschaft. Aus ihrer Sicht spricht einiges für eine stärkere Aktivität von Migrationsforscher*innen in der Öffentlichkeit – einer­seits in unterschiedlichen Gruppierungen, andererseits als Individuen mit einer be­son­deren wissenschaftlichen und persönlichen Perspektive.

The author uses the ongoing sociopolitical debate on migration as a starting point to examine the visibility or invisibility of migration research in the public sphere. She outlines the phases that migration research, particularly within sociology, has under­gone since the 1970s and identifies a significant process of professionalization and dif­ferentiation. Despite this, the large body of knowledge produced by migration re­search plays only a minor role in public discourse. The author explores potential struc­tural reasons for this marginalization on the part of both the media and aca­demia. In her view, there are compelling arguments for a more active engagement of migration scholars in the public sphere – both collectively, in various groups, and in­­dividually, as researchers who represent distinct academic and personal per­spec­tives.

Identität und Interdisziplinarität

Peter Ullrich, Christoph Gollasch, Jens Kastner
Symposion: Antisemitismus und / in der Soziologie, Teil 2

Der zweite Teil des Symposions thematisiert kritisch den Umgang der deutschen Soziologie mit Antisemitismus. Im Fokus steht die zunehmende Exter­na­li­sie­rung des Antisemitismus auf ›die anderen‹, etwa Muslim:innen oder postmigrantische Gruppen, während rechte Täter:innenschaft oft marginalisiert wird. Die Forschung läuft Gefahr, selbst autoritären Mustern zu verfallen, wenn sie Antisemitismus vor allem als israelbezogene Kritik erfasst und zu einem identitätsstiftenden nationalen Symbol stilisiert. Soziologie wird aufgerufen, sich auf ihre aufklärerische Funktion zu besinnen und differenzierte, kontextbezogene Analysen zu leisten. (Teil 1 des Symposions wurde in Heft 2/2025 publiziert.)

The second part of the symposium takes a critical look at how German sociology deals with anti-Semitism. The focus is on the increasing externalization of anti-Semitism to the others, such as Muslims or post-migrant groups, while right-wing perpetrators are often marginalized. Research runs the risk of falling prey to authoritarian patterns itself if it primarily understands anti-Semitism as Israel-related criticism and stylizes it as an identity-forming national symbol. Sociology is called upon to reflect on its enlightening function and to provide differentiated, context-related analyses. (Part 1 of the symposium was published in issue 2/2025).


Tilman Allert
Heinrich Popitz und die Vermessung des Sozialen 

Der Text würdigt Heinrich Popitz als einen herausragenden Soziologen, der durch seine stille Autorität, intellektuelle Tiefe und anthropologisch fundierte Theorie das Fach nachhaltig geprägt hat. Popitz, geprägt von familiären und historischen Brü­chen, verstand Soziologie als präzise Vermessung des Sozialen – jenseits aka­de­mischer Moden. Sein Konzept von Macht, Norm, Rolle und Autorität spiegelt so­wohl biografische Erfahrungen als auch methodologische Konsequenz. Allert be­tont den pädagogischen Zauber von Popitz, seine leise charismatische Präsenz und sei­nen Beitrag zu einer skeptischen, aber Menschen zugewandten Soziologie.

The text pays tribute to Heinrich Popitz as an outstanding sociologist whose quiet autho­rity, intellectual depth and anthropologically grounded theory had a lasting im­pact on the discipline. Popitz, shaped by family and historical ruptures, under­stood so­ciology as a precise measurement of the social - beyond academic fashions. His con­­cept of power, norm, role and authority reflects both biographical experience and methodological consistency. Allert emphasizes Popitz’s pedagogical magic, his quiet­ly charismatic presence and his contribution to a sceptical but people oriented sociology.
Hier der Text zum Download.


Lara Pellner, Alexander Wierzock
Lars Clausen und Sambia 

Der Text beleuchtet die frühen soziologischen Arbeiten Lars Clausens, insbesondere seine empirischen Studien in Sambia während der 1960er Jahre. Clausen erforschte industrielle Strukturen im Copperbelt und analysierte die sozialen Auswirkungen der In­dustrialisierung in einem postkolonialen Afrika. Seine Forschung war eine Re­aktion auf eurozentrische Perspektiven und verstand sich als Beitrag zur Ent­wick­lung einer globalen Soziologie. Trotz kritischer Stimmen wurde Clausens Studie weit­hin rezipiert und prägte die deutsche Entwicklungssoziologie. Als Lehrender und Forscher förderte er aktiv die Beschäftigung mit afrikanischen Gesellschaften in der Bundesrepublik.

The text sheds light on Lars Clausen’s early sociological work, in particular his em­pi­rical studies in Zambia during the 1960s. Clausen researched industrial structures in the Copperbelt and analysed the social effects of industrialization in a post-co­lo­nial Africa. His research was a reaction to Eurocentric perspectives and saw itself as a contribution to the development of a global sociology. Despite critical voices, Clau­sen’s study was widely received and shaped German development so­cio­logy. As a teacher and researcher, he actively promoted the study of African so­cieties in Germany.

Forschen, Lehren, Lernen

Christian Schneickert, Christopher Wimmer
Das soziologische Feld und seine Professor:innen

Der Beitrag fasst Ergebnisse unserer Studie zum soziologischen Feld in Deutschland im Jahr 2015 zusammen, mit einem besonderen Fokus auf den ›Eliten‹ des Feldes: So­ziologie-Professor:innen. Basierend auf einer feldtheoretischen Perspektive nach Bourdieu untersuchen wir die Struktur und Dynamik der deutschen Soziologie an­hand von Daten von 370 Professor:innen sowie anhand von neun qualitativen Leit­fadeninterviews mit besonders kapitalstarken Akteuren aus dieser Population. Zen­tra­le Befunde waren die hohe Heterogenität des Fachs, die multiparadigmatische Struk­­tur sowie die zunehmende Spezialisierung, die von den Akteuren selbst als la­tent konflikthaft wahrgenommen wurde – ohne dass diese Konflikte zur Zeit der Un­­tersuchung manifest wurden. Der Beitrag diskutiert die weitere Entwicklung seit 2015 und mögliche Konsequenzen dieser strukturellen Bedingungen für die Kar­riere­planung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Soziologie.

The article summarizes the results of our study on the sociological field in Germany in 2015, with a special focus on the ›elites‹ of the field: professors of sociology. Based on Bourdieu’s field-theoretical perspective we examine the structure and dynamics of German sociology using data from 370 professors as well as nine qualitative guided interviews with high capital actors from this population. The key findings were the high degree of heterogeneity in the field, the multiparadigmatic structure, and the in­crea­sing specialization, which was perceived by the actors as a latent conflict – without these conflicts becoming manifest at the time. The article discusses further de­ve­lop­ments since 2015 and possible consequences of these structural con­di­tions for the ca­reer planning of young academics in sociology.


DGS-Nachrichten

  • Paula-Irene Villa Braslavsky, Monika Wohlrab-Sahr
    Wechsel des DGS-Vorsitzes: Briefe zum Abschied und zur Begrüßung 
  • Vorstand der DGS 2025 bis 2027 
  • Aus der Vorstandsarbeit
  • Statement on Solidarity with Serbian Students & Professors 
  • Veränderungen in der Mitgliedschaft 

Berichte aus den Sektionen

  • Sektion Alter(n) und Gesellschaft 
  • Sektion Familiensoziologie 
  • Sektion Land-, Agrar- und Ernährungssoziologie 
  • Arbeitskreis Soziales Gedächtnis, Erinnern und Vergessen 

Nachrichten aus der Soziologie

  • Karl Ulrich Mayer
    In memoriam Artur Meier
  • Stefan Immerfall, Barbara Wasner
    In memoriam Johann Albrecht (Alf) Mintzel 
  • Calls 
    • Economic Democracy and Beyond
    • Vernetzungstreffen für Promovierende
  • Tagungen 
    • Wissenssoziologie der Menschenrechte
    • Rechtskatho­li­zis­mus – Zum Verhältnis von Katholizismus und Rechts­po­pulismus