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Stellungnahme der DGS zur Gründung einer ›Akademie für Soziologie‹

Essen, den 26.04.2018

Die Gründung der ›Akademie für Soziologie‹ im Juli 2017 hat für viele Mitglieder der DGS fachliche und professionspolitische Fragen aufgeworfen, u.a. nach dem Verhältnis zwischen DGS und ›Akademie‹. Nach zahlreichen informellen Gesprächen und einer vom Vorstand der DGS initiierten online-Diskussion fand im März 2018, im Auftrag des Konzils, ein Gespräch des DGS-Vorstands mit Vertreter/innen des Vorstands dieser ›Akademie‹ statt. Auf dieser Grundlage sowie im Lichte der schriftlichen Verlautbarungen der Neugründung stellt der Vorstand der DGS fest:

Die DGS will mit der neuen Einrichtung, analog zum Umgang mit vielen anderen Vereinigungen, das konstruktive Gespräch suchen und pflegen. Kontroversen gehören dazu. Zugleich weist die DGS den allgemeinen Vertretungsanspruch für die Disziplin, den die ›Akademie‹ durch die – falsche – Verallgemeinerung eines letztlich spezifischen epistemologischen und methodologischen Programms formuliert, zurück. Allein die DGS ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft für die Soziologie in ihrer gesamten Pluralität und Breite. Innerhalb der DGS sind alle wissenschaftlichen Paradigmen und methodologische Perspektiven des Faches vertreten; einschließlich derjenigen Positionen, die die ›Akademie‹ für sich reklamiert. Die jeweilige Sichtbarkeit und Wirkmächtigkeit von Positionen hängt von innerverbandlichen Dynamiken ab. Der Vorstand der DGS befürwortet ausdrücklich die breite und plurale Diskussion und den Austausch zwischen unterschiedlichen Positionen in ihren Gremien und Sektionen. 

Ein zentrales Motiv für die Gründung der ›Akademie‹ besteht laut Selbstauskunft darin, eine spezielle – bislang angeblich in der DGS nicht hinreichend wirksame oder sichtbare – Ausrichtung der Soziologie (eine ›empirisch-analytische‹ Soziologie mit einem spezifischen epistemologischen Grundverständnis) zu repräsentieren und zu stärken. Der Name ›Akademie für Soziologie‹ sowie die bisherigen Stellungnahmen legen im Gegensatz dazu einen allumfassenden Vertretungsanspruch für das Fach nahe. Damit nimmt die ›Akademie für Soziologie‹ ein Spannungsverhältnis zur DGS in Kauf. Der DGS-Vorstand sieht in der Gleichzeitigkeit von allgemeinem Anspruch und spezifischem Programm einen eklatanten Widerspruch. Mit ihrem epistemologischen Bekenntnis zu einem spezifischen Verständnis der empirisch-analytischen Soziologie geht seitens der ›Akademie‹ eine Engführung des Faches und der Sozialwissenschaften einher, die dem pluralen wissenschaftlichen Verständnis der DGS nicht entspricht. Zugleich wird die Wissenschaftlichkeit und Professionalität anderer soziologischer Richtungen in Frage gestellt.

Die Protagonist/innen der ›Akademie‹ beklagen die vorgeblich mangelnde Repräsentanz der Vertreter/innen einer empirisch-analytischen Soziologie innerhalb der DGS (z.B. bei Gremienwahlen oder Veranstaltungen auf Soziologie-Kongressen). Belege dafür fehlen jedoch, allenfalls sind sie punktuell oder anekdotisch. Auch im direkten Gespräch konnte nicht geklärt werden, wer genau unterrepräsentiert sei, wem gegenüber man unterrepräsentiert sei, und an welchen Indikatoren die Unterrepräsentanz erkennbar wäre [1].  Kurzum: auf konkrete und evidenzbasierte Nachfrage blieben die Hinweise vage. Entscheidend scheint vielmehr eine subjektiv wahrgenommene Benachteiligung. Nun sind Repräsentanzfragen in pluralistisch verfassten Vereinigungen ein andauernder Gegenstand interner Auseinandersetzungen. Das ist begrüßenswert, spricht es doch für das Interesse der Mitglieder an ihrer Vereinigung. Basierend auf einem längeren und breiten Diskussionsprozess reformiert die DGS daher derzeit ihr Wahlprozedere, um mehr Transparenz und mehr Mitgestaltung (u.a. der Sektionen) zu erwirken.

Sowohl die Bezeichnung als auch der Vertretungsanspruch der ›Akademie‹ lässt für ihre Koexistenz mit der DGS Konfliktpotentiale erwarten. Deutlich wird dies u.a. an der Absicht der ›Akademie‹, bei der DFG-Fachkollegienwahl in Konkurrenz zur DGS zu treten. Dieses Vorhaben ist fachlich nicht zu rechtfertigen. Es ist die DGS, die die multiparadigmatische Ausrichtung des Faches programmatisch beherbergt, bislang auch einschließlich der Ansätze einer empirisch-analytischen Soziologie. Die DGS gibt weder in ihren Statuten noch durch den Vorstand vor, was die eigentliche Soziologie sei und wer sie wie verkörpere. Vielmehr vertritt die DGS diejenigen, die forschend, lehrend und studierend Soziologie betreiben. Dabei verlässt sich die DGS auf die institutionalisierten Standards wissenschaftlichen Arbeitens, zugleich regt sie zur fachlichen Debatte dieser Standards an und ermöglicht dies, etwa auf Tagungen oder durch ihre Mitwirkung in forschungspolitischen Gremien. Aus der Sicht der DGS geht es nicht darum, über die Angemessenheit bestimmter soziologischer Richtungen zu entscheiden, sondern vielmehr darum, auf der Basis einer Toleranz gegenüber der Vielstimmigkeit des Faches den wechselseitig kritischen Disput zwischen verschiedenen Richtungen zu fördern – nicht zuletzt, weil die Fähigkeit zur fachlichen Kontroverse eines von mehreren Qualitätskriterien der Wissenschaft ist.

[1] Nur als Schlaglicht: Von der Liste der Unterstützer/innen zum Gründungsaufruf der ›Akademie‹ vom Sommer 2017 sind vertreten: 1 Person im DGS-Vorstand, 4 Personen im DGS-Konzil, 8 Personen in 6 DGS-Sektionsvorständen, 3 Personen im Beirat der DGS zum Fachinformationsdienst Soziologie, 1 Person im RatSWD auf Vorschlag der DGS (Stand April 2018).