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Zum Gedenken an Ulrich Beck (15. Mai 1944 - 1. Januar 2015)

Mit Ulrich Beck, der am 1. Januar 2015 völlig überraschend und viel zu früh im Alter von 70 Jahren in München verstorben ist, hat die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) eines ihrer profiliertesten Mitglieder verloren: Seit 1976 Mitglied der DGS, richtete er 1982 in Bamberg den viel beachteten Soziologiekongress zur ›Krise der Arbeitsgesellschaft‹ aus. Von 1989 bis 1992 war er Mitglied im Vorstand der DGS und in diesem Zeitraum auch Gründungsmitglied der DGS-Sektionen ›Soziale Ungleichheit und Sozialstrukturanalyse‹ und ›Umweltsoziologie‹ (1993). Im Jahre 2004 konnte er auf dem ebenfalls von ihm mitorga­ni­sierten DGS-Kongress in München den ›Preis für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie‹ entgegen nehmen, beim Jenaer Soziolo­gie­kongress 2008 sprach er zur Eröffnung, und noch auf dem DGS-Kon­gress im Oktober 2014 in Trier hielt er eine eindrucks­volle Laudatio auf Zygmunt Bauman.

Aber nicht nur die DGS hat ein engagiertes Mitglied, sondern auch die Soziologie in Deutschland und in der ganzen Welt hat mit Ulrich Beck einen außergewöhnlich produktiven und innovativen, öffentlich wirksamen und wirkmäch­tigen Soziologen verloren: Schon in seiner unveröffentlichten Habilitationsschrift aus dem Jahr 1978, die den Titel ›Soziale Wirklichkeit als Produkt gesell­schaft­licher Arbeit‹ trägt (und so etwas wie eine theoretische ›Summe‹ aus den im Rahmen des in München angesiedelten DFG-Sonderforschungsbereichs ›Theo­retische Grundlagen sozialwissenschaftlicher Berufs- und Arbeitskräfte­forschung‹ entstandenen, arbeits- und berufssoziologische Arbeiten war), aber beispielsweise auch in seiner Antrittsvorlesung an der Universität Bamberg wurde unmissverständlich klar: Die ›so­ziale Konstruktion der (gesellschaftlichen) Wirklichkeit‹ war für ihn mehr als eine erkenntnistheoreti­sche oder wissenssoziologische Prämisse, hinter der sich die Praxis der Soziologie mit ihren, wie er das später nennen würde, ›Begriffszombies‹ oftmals verschanzen konnte. Im­mer und vor­rangig ging es Ulrich Beck nämlich um Fragen einer (alltags-)praktischen Realitäts­kon­struktion – und damit zugleich um Möglichkeiten einer Um- und Neu-Gestaltung von In­sti­tutionen oder gar, auch wenn das vermessen klingen mag, Gesell­schaf­ten. ›Soziologie und Praxis‹ lautete denn folgerichtig der Titel des von ihm 1982 herausgege­be­nen, ersten Sonderbandes der Sozialen Welt, der Zeitschrift, deren (Mit-)Herausgeber (neben Heinz Hartmann) er 1980 wurde und bis zuletzt blieb.

Ulrich Beck wollte also nicht nur Gesellschaften soziologisch beschreiben und analysieren, sondern sie in ihren institutionellen Grundlagen zugleich (politisch) verän­dern. Wichtigste Mittel dafür waren ihm neben beratenden Tätigkeiten (so z.B. 1995-1997 als Mitglied der ›Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen‹ oder 2001 als Mitglied der Ethik-Kommission ›Sichere Energie­versorgung‹), unzähligen Vorträgen und Aufsätzen vor allem die mehr als 50 von ihm allein oder mit Ko-AutorenInnen verfassten oder herausgegebenen Bücher, von denen viele zu soziologischen Bestsellern und in viele Sprachen übersetzt wurden. An allererster Stelle ist hier natürlich seine noch vor Tschernobyl geschriebene, so riskante wie brillante und weitsichtige Gesellschaftsdiagnose ›Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne‹ aus dem Jahre 1986 zu nennen. Dieses Buch traf buchstäblich den ›Nerv‹ der Zeit, wurde bis heute immer wieder neu aufgelegt und kann mitt­lerweile mit Fug und Recht als soziologischer ›Klassiker‹ gelten, den jede Studentin und jeder Student der Soziologie zumindest einmal durchgeblättert, besser natürlich: intensiv gelesen, haben sollte.

In ihm waren mit den selbstproduzierten, ökologi­schen Risiken von Gegenwartsgesellschaften, mit Individualisierung und mit reflexiver Modernisierung auch (fast) alle Themen angelegt, die Ulrich Beck in den folgenden Jahrzehnten zu­sammen mit seiner Frau Elisabeth Beck-Gerns­heim und vielen weiteren nam­haften Soziologinnen und Soziologen aus aller Welt weiter entfalten sollte. Dies nicht nur an den Universitäten Bamberg und Mün­chen (dort u.a. im DFG-Sonderforschungsbereich ›Reflexive Moderni­sierung‹, 1999-2009), sondern auch als Professor an der London School of Economics and Po­litical Science (seit 1997) und am Fondation Maison des Sciences de l‘Homme, Paris (seit 2011). Ausgewählte Buchtitel wie ›Das ganz normale Chaos der Liebe‹ (1990 mit Elisabeth Beck-Gernsheim), ›Reflexive Modernisierung‹ (1996 mit Anthony Giddens und Scott Lash), ›Was ist Globalisierung?‹ (1997),  ›Die Mo­dernisierung der Moderne‹ (2001 mit Wolfgang Bonß), ›Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter‹ (2002), ›Der kosmopo­litische Blick‹ (2004), ›Das kosmo­politische Europa‹ ( 2004 mit Edgar Grande), ›Entgrenzung und Entscheidung‹ (2004 mit Christoph Lau), ›Weltrisikoge­sell­schaft‹ (2007), ›Große Armut, großer Reichtum. Zur Transnationalisierung sozialer Ungleichheit‹ (2010 mit Angelika Poferl), ›Fernliebe. Lebensformen im globalen Zeitalter‹ (2010 mit Elisabeth Beck-Gernsheim) und ›Das deutsche Europa. Neue Machtlandschaften im Zeichen der Krise‹ (2012) belegen dabei nicht nur die ungeheure Produktivität von Ulrich Beck. Sie zeigen auch die immer dezidiertere Hinwendung zu (sub-)politischen Fragen und Problemen, die ihm im Zeitalter von Globalisierung und Trans­nationa­­lisierung nur noch durch eine entschiedene Wendung und Weitung des soziologischen Blicks zu einem ›Methodologischen Kosmopolitismus‹ analysierbar und auch gestaltbar erschienen – eine Perspektive, die er auch nach seiner Emeritierung und bis zuletzt u.a. im Rahmen eines vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit bis zu 2,5 Millionen Euro dotierten Projekt zum  ›Methodological Cosmopolitanism – In the Laboratory of Climate Change‹ mit der ihm eigenen Intensität weiterverfolgte.

Seinen in Heft 3/2014 der ›Soziologie‹ erschienenen Text ›Ulrich Beck zum 70. Geburtstag‹ konnte Wolfgang Bonß noch mit den Worten beenden: ›Es bleibt zu hoffen, dass sein Forscherdrang und sein kritischer Blick der Soziologie noch lange erhalten bleiben.‹ Diese Hoffnung wird sich nun leider – und entgegen dem großen Optimismus, der für sein Arbeiten und Leben so kennzeichnend war – nicht mehr erfüllen können. Was bleibt, ist das trauernde Gedenken an einen großen Soziologen, der den  Gegenwartsgesellschaften nicht nur in seltener Klarheit und politischer Entschiedenheit ihre Probleme und Grenzen vorbuchstabiert hat, sondern ihnen auch Denkmöglichkeiten eröffnet und Perspektiven aufgezeigt hat. Damit hat Ulrich Beck Gesellschaften, Institutionen und Akteure auch verändert – zumindest in ihrem Selbstverständnis. Und das ist eine soziologische Lebensleistung, die weit über das übliche Maß hinausreicht.

Für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Peter A. Berger