Schon länger wird der Erfolg, mit dem die Methoden der qualitativen Sozialforschung zunehmend an Anerkennung und Verbreitung gewonnen und in immer mehr Studiengängen und Lehrbüchern Platz gefunden haben, der Kehrseite ihrer Kanonisierung und Kodifizierung gegenübergestellt: Es drohe der Verlust lokaler Kunststuben und eine Angleichung an die Logiken quantitativer Forschung. Auf der anderen Seite zeigen sich spätestens seit dem 2018 in der Zeitschrift für Soziologie von (ehemaligen) Sektionsvorständen angestoßenen Unternehmen, sich selbst eigene Maßstäbe für "gute" qualitative Sozialforschung zu setzen, Ausschlussängste: Soll "qualitative Sozialforschung" jetzt ein geschützter Begriff und Abweichendes ausgegrenzt werden?
Diese Auseinandersetzungen können als typisch für das Bemühen um Professionalisierung verstanden werden, die zum Ziel hat, Gütekriterien auf der Basis kollegialer Selbstregulierung zu etablieren und das eigene Tätigkeitsfeld nach außen abzusichern. Prinzipiell setzen sich qualitative Sozialforscher:innen zwar schon sehr lange mit den Problemen der "Pseudo-Exploration" (Hopf) und oft laienhaften Verwendung von "qualitativen" Begriffen und Verfahren auseinander. Mit den in den 2010er Jahren erhöhten externen Ansprüchen an ihren spezifischen Umgang mit Daten(archiven), Theorien, Erkenntnisinteressen und Texten haben diese Debatten und somit möglicherweise auch die Professionalisierung qualitativer Methoden jedoch einen neuen Schub erfahren. Dem kommt hinzu, dass Fragen der Spezialisierung und der Herausbildung besonderer Problemlösungskompetenzen in den letzten Jahren insgesamt – also auch gesellschaftlich – verstärkt aufgeworfen worden sind. Die Frage, was sich eigentlich hinter dem Begriff der Professionalisierung verbirgt und welche Aufwertung, aber auch Zumutungen sich für Zugehörige einer Profession ergeben, ist aus professionssoziologischer Perspektive durchaus Veränderungen unterworfen. Damit bleibt "Professionalisierung" auch für qualitative Sozialforscher:innen vermutlich so glitzernd wie fordernd.
Wir wollen bei dieser Tagung nach den Grundlagen der Professionalisierung fragen sowie erörtern, was diese oder ihr Ausbleiben für die Methoden der qualitativen Sozialforschung bedeutet – im Allgemeinen und besonders in diesen aktuellen Zeiten vielfach diagnostizierter Krisen und Transitionen. Wir wünschen uns daher theoretische wie empirische Beiträge zu u. a. folgenden Fragen:
- Wie könnte eine Professionalisierung im Feld der qualitativen Methoden aussehen und welche Wirkungen hätte sie sowohl für die hiervon berührten wissenschaftlichen Disziplinen und ihre Fachgebiete als auch diejenigen die sich ihr gern zurechnen möchten? Welche Alternativen sind denkbar?
- Welchen Beitrag leistet die jüngere professionssoziologische Diskussion zum Verstehen der (welcher?) Auseinandersetzungen im Fachgebiet, dem Methodenbereich oder sogar insgesamt der Soziologie? Und umgekehrt: Inwiefern ist die beispielhafte Auseinandersetzung mit dem Feld der qualitativen Methoden fruchtbar, um das zeitgenössische Verständnis von Professionalisierungsprozessen zu schärfen?
- Was lässt sich zur Praxis der (oder einer fehlenden) Professionalisierung in den verschiedenen Methoden (Ethnografie, Interviews, Konversationsanalyse, Bildanalyse etc.), Forschungsfeldern oder Tätigkeitsbereichen (Lehre, Qualifikationsarbeiten, Publikationen, Drittmittelbeantragung) der qualitativen Sozialforschung zeigen? Woran lässt sie sich festmachen? Inwieweit hat sich dies verändert? Wie werden Programme und Güte qualitativer Methoden in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen markiert, gerechtfertigt oder beurteilt?
Wir sind darüber hinaus auch offen für solche Fragen zum skizzierten Thema, die wir hier nicht bedacht haben!
Eine hochwertige (begutachtete) Publikationsmöglichkeit von Beiträgen der Tagung wird vorbereitet. Schicken Sie Ihr maximal zweiseitiges Abstract – bitte mit Name(n) und E-Mail-Adresse(n) – bis zum 30. Dezember 2024 an daniela.schiek(at)uni-bielefeld.de und Ch.Schnell(at)em.uni-frankfurt.de.