Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) beobachtet mit Sorge die prekären Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen an den deutschen Hochschulen. Die jüngste Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hat an den strukturellen Problematiken wenig geändert. Zu diesen gehören die massive Unterfinanzierung der Hochschulen, das hohe Ausmaß befristeter Verträge und fehlende Karriereperspektiven für den akademischen Mittelbau. In einer Stellungnahme (www.soziologie.de/stellungnahmen) fordert die Fachgesellschaft deswegen einen intensiven Verständigungsprozess über diese Problematiken und das aktive Engagement für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft.
Eine fachinterne Auseinandersetzung mit den Beschäftigungsverhältnissen in der Wissenschaft hat die DGS nun mit der Veranstaltung ›Soziologie als Beruf. Wissenschaftliche Praxis in der soziologischen Reflexion‹ am 25. und 26. Februar 2016 im Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) angestoßen.
Unter der Fragestellung ›Wissenschaft als prekärer Beruf?‹ diskutierten am Donnerstag, den 25.02.2016, Vertreter/innen der Fachgesellschaft zusammen mit Politiker/innen, Gewerkschaften und Medien die aktuelle Hochschulpolitik. Andreas Keller, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, und Peter Ullrich, Vertreter der Initiative ›Für Gute Arbeit in der Wissenschaft‹, kritisierten, dass die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler/innen nur noch Kurzzeitverträge bekäme und die Qualität der Forschung darunter leide Die BMBF-Vertreterin Dorothee Buchhaas-Birkholz sprach sich gegen den verbreiteten Irrglauben aus, ›hire and fire‹ trage zu einer effizienten Praxis in der Wissenschaft bei. Die Bildungsredakteurin der taz, Anna Lehmann, forderte die soziologische Fachgesellschaft dazu auf, sich, wie schon beim Ausstieg aus dem CHE-Hochschulranking, als Pionierin zu zeigen und einen Wandel des bisherigen Systems schlechter Arbeitsbedingungen zu initiieren.
Am Freitag, den 26.02., widmeten sich Soziologinnen und Soziologen aus Deutschland und der Schweiz der fachlichen Auseinandersetzung mit Prekarität in der Soziologie. Der Wissenschaftsforscher Richard Münch analysierte, wie sich der ›akademische Kapitalismus‹ nur noch an äußerlichen Erfolgskennziffern orientiert – die ›Herrschaft der Zahlen‹ verdränge die genuin wissenschaftliche Qualitätskontrolle der Kritik. Silke van Dyk und Tilmann Reitz argumentierten, dass die Effizienz und der Erfolg des deutschen Wissenschaftssystems auf einer im internationalen Vergleich deutlich stärkeren Ausbeutung der ›prekär-mobil‹ Beschäftigten basiere.
Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Stephan Lessenich, erklärte dazu: ›Eine wissenschaftliche Fachgesellschaft hat nur begrenzte Wirkungsmöglichkeiten. Sie kann aber als Multiplikatorin fungieren, Debatten anstoßen und innerhalb ihrer Strukturen auf die prekäre Situation des Mittelbaus an den Hochschulen aufmerksam machen. Vor allem kann sie mit ihrer Expertise deutlich machen, wie die aktuellen Entwicklungen im Wissenschaftssystem die Substanz des wissenschaftlichen Wissens zu untergraben drohen. Ohne gute Arbeitsbedingungen gibt es keine gute wissenschaftliche Arbeit.‹
Für Rückfragen stehen zur Verfügung:
Prof. Dr. Stephan Lessenich, Deutsche Gesellschaft für Soziologie (Vorsitzender)
stephan.lessenich(at)kwi-nrw.de, +49 (0) 201 7204 208
Jan-Christoph Rogge, WZB Berlin (Mitglied der Initiative ›Für Gute Arbeit in der Wissenschaft‹ und im DGS-Ausschuss ›Mittelbau/Beschäftigungsbedingungen‹)
christoph.rogge(at)wzb.eu, +49 (0) 30 25491 357