Eine Beschlagnahme von Forschungsdaten stellt für die empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung eine nicht hinnehmbare Bedrohung der grundgesetzlich garantierten Freiheit der Forschung dar und steht im Widerspruch zu zentralen forschungsethischen Grundsätzen. Der RatSWD fordert daher die Etablierung rechtlicher Grundlagen zur Sicherung der Vertraulichkeit von Forschungsdaten. Aktueller Anlass ist die Beschlagnahmung von Forschungsdaten eines Rechtspsychologen durch die Bayerischen Ermittlungsbehörden im Jahr 2020.
In seiner aktuellen Stellungnahme fordert der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) die Gesetzgeber des Bundes und der Länder auf, rechtliche Maßnahmen zur Sicherung der Vertraulichkeit der Forschungssituation und des Schutzes der dabei generierten Forschungsdaten zu ergreifen. Die Gewinnung qualitativ hochwertiger Forschungsdaten setzt (nicht nur, aber insbesondere) im Fall von qualitativen Interviewstudien und ethnographischer Feldforschung ein erhebliches Maß von persönlich verbürgtem Vertrauen voraus. Wenn staatliche oder andere forschungsfremde Instanzen sich der so entstandenen Forschungsdaten bemächtigen und diese anderen Zwecken zuführen, wird das Vertrauen zwischen Forschenden und Teilnehmenden unterminiert – mit der Folge, dass derartige Forschung gerade in vulnerablen Milieus signifikant eingeschränkt oder verunmöglicht wird. Gerade in solch politisch sensiblen Bereichen ist Forschung aber wichtig, damit die politische und juristische Praxis auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen kann.
Der RatSWD schlägt daher vor, eine Zweckbindungsklausel für Forschungsdaten in das Bundesdatenschutzgesetz und die entsprechenden Regelungen in den Landesdatenschutzgesetzen aufzunehmen. Er wirbt außerdem dafür, weitere gesetzgeberische Ansatzpunkte zu prüfen, um die vertrauliche Behandlung von Forschungsdaten zu gewährleisten, bspw. durch eine Änderung des Straf- und Strafprozessrechts.
Aktueller Anlass der Stellungnahme des RatSWD ist eine Durchsuchung des Büros eines Erlanger Rechtspsychologen durch die Bayerischen Ermittlungsbehörden im Januar 2020. Die Kopie eines Interviewmitschnitts mit einem Gefängnisinsassen sowie eine Liste von weiteren Teilnehmenden an einer Interviewstudie zu den Ursachen von Radikalisierungsprozessen wurden beschlagnahmt. Eine Verfassungsbeschwerde des Hochschullehrers gegen dieses Vorgehen ist aktuell beim Bundesverfassungsgericht anhängig.