1923 gab es ein Hyperinflation, die deutsche Wirtschaft lag am Boden, Depression breitete sich aus, man musste ohne Internet sein Leben bewältigen – und doch hielt dieses Jahr auch ein freudiges und allseits bereicherndes Ereignis für die Nachwelt bereit: Am 12. November 1923 erblickte ein gewisser Bernhard-Victor Christoph-Carl von Bülow in Brandenburg an der Havel das Licht der Welt. Einer Welt, die ihn später als ›Loriot‹ so richtig kennenlernen sollte. Mit seinem immer verbindlichen, nie verletzenden und doch scharfzüngigen Oeuvre aus Fernseh-Sketchen, Karikaturen, Büchern und Filmen sezierte er analytisch klarsichtig die soziale Welt des deutschen (Klein)Bürgertums der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Einem Mikrosoziologen sehr ähnlich, studierte er die Empirie sozialer Interaktion in Familien, Ämtern, Öffentlichkeiten – und Badewannen. Anders aber als manch soziologisches Elaborat seiner Zeit gelang es ihm, seine ›Forschungsergebnisse‹ der Öffentlichkeit in einer genießbaren, ja, sogar höchst amüsanten Form zu präsentieren.
Der Deutschen Gesellschaft für Soziologie wurde anlässlich ihres Jubiläumskongresses zum 100. Jahrestag die Ehre zuteil, Vicco von Bülow alias Loriot als Ehrenmitglied in ihre Reihen aufnehmen zu dürfen, wesentlich ein Verdienst des damaligen DGS-Vorsitzenden Hans-Georg Soeffner. Und nun wäre er selbst 100 Jahre alt geworden, also Loriot, nicht Soeffner! Auch wenn es ihm nicht mehr vergönnt war, diesen Geburtstag selbst zu begehen, wird er doch sicher auf einer bequemen grün gepolsterten Wolke sitzend, mit einem Anzug in frischem Steingrau bekleidet amüsiert auf die Welt herabblicken und sich seinen Teil denken. Wir hingegen vermissen unser Ehrenmitglied, gedenken seiner in Dankbarkeit, gratulieren von Herzen und hoffen auf bald wieder bessere Zeiten.
Essen, 12.11.2023