Meldungen des Vorstands

SOZIOLOGIE Jahrgang 50 - Heft 2 - 2021

Aus dem Inhalt

  • Georg Vobruba: Spannungsabbau
  • Matthias Leanza, Axel T. Paul: Kolonialismus und globale Moderne
  • Bernhard Schäfers: Soziologen-Tag in Leipzig 1991
  • Ergebnisse der Wahlen zu Vorsitz, Vorstand und Hälfte des Konzils der DGS
  • Daniel Drewski: National and regional symbolic boundaries among EU elites
  • Alexandra Schauer: Gesellschaftlicher Veränderungswille oder ohnmächtige Angst?

Identität und Interdisziplinarität

Georg Vobruba
Spannungsabbau

Ausgangspunkt sind zwei Gemeinsamkeiten von Kritischer Theorie und Soziologie der Kritik: Reflexivität und Immanenz. Allerdings hat dies nicht zu wechselseitigen Ver­knüpfungen, sondern zu Spannungen geführt. Die Frage ist: Warum eigentlich? Das Spannungsverhältnis wird aus der Konfrontation zwischen klassischer Wis­sens­so­ziologie und Kritischer Theorie rekonstruiert. Dann werden die Übergänge von der Kritischen Theorie über normative Kritik zur so genannten immanenten Kritik und schließlich zur Soziologie der Kritik skizziert. Das Ziel des Beitrags ist zu zeigen, dass sich erst auf dieser Grundlage kritische Ansprüche der Soziologie einlösen las­sen.

Starting point are two common features of critical theory and sociology of critique: reflexivity and immanence. However, this has not led to reciprocal links, but to ten­sions. The question is: why actually? The tension is reconstructed from the con­fron­ta­tion between classical sociology of knowledge and critical theory. Then the tran­si­tions from critical theory via normative critique to the so-called immanent critique and finally to the sociology of critique are outlined. The aim of the contribution is to show that only on this basis can critical claims of sociology be redeemed.

Matthias Leanza, Axel T. Paul
Kolonialismus und globale Moderne

Dieser Aufsatz diskutiert den Zusammenhang von Kolonialismus und globaler Mo­der­ne. In Reaktion auf die in dieser Zeitschrift geführte Debatte zum Thema kriti­sie­ren wir ein zu einfaches Verständnis beider Terme und ihres Wechsel­ver­hält­nis­ses. Gegen die bei Meinhof vertretene These vom ›genuin kolonialen Charakter der Moderne‹ erheben wir drei Einwände: (1) die Begriffe ›Moderne‹ und ›Kolonia­lis­mus‹ sind zu kompakt und polemisch, um sie ungebrochen, ohne die notwendigen Mo­difikationen in die soziologische Analyse zu übernehmen; (2) die Erzählung von der kolonialen Herkunft der Moderne ist historiographisch fragwürdig; (3) Meinhofs post­koloniale Kritik an den epistemischen Strukturen der Soziologie arbeitet in­so­fern mit un­zu­lässigen Essenzialisierungen, als sie die Sozial- und Sachdimension wis­sen­­schaft­licher Forschung kurzschließt. Im Ergebnis erkennen aber auch wir einen drin­genden Bedarf, das Verhältnis von kolonialer Herrschaft und globaler Moderne weitergehend soziologisch zu untersuchen. Dafür ist es notwendig, die unter­kom­plexe, wenn nicht schlicht falsche These von der ›kolonialen Fundierung der Mo­derne‹ zu überwinden.

This paper discusses how colonialism and global modernity are connected. In re­spon­se to the debate on the topic in this journal, we criticize the simplistic un­der­stan­ding of both terms and their interrelation and raise three objections to the ›ge­nui­nely colonial character of modernity‹-claim made by Meinhof: (1) the terms ›mo­der­nity‹ and ›colonialism‹ are too compact and polemical to be adopted unaltered, without necessary adjustments, into the sociological analysis; (2) the narrative of the co­lo­nial origins of modernity is, in a historiographical regard, questionable; and (3) Mein­hof’s postcolonial critique of the epistemic structures of sociology operates with essentializing notions, insofar as it short-circuits the social aspects of science with its con­tents. In the final analysis, however, we do recognize the urgent need for further sociological investigation of the interconnection between colonial rule and glo­bal mo­der­nity. For this to be successful, it will be necessary to over­come the too simple, if not plainly false, claim of the ›colonial foundation of moder­ni­ty‹.

Hier der Volltext zum Download.
 

Bernhard Schäfers
Soziologen-Tag in Leipzig 1991

Nach langen und schwierigen Vorbereitungen konnte im Februar 1990, also zu einem Zeitpunkt als nach dem Berliner Mauerfall am 9. November 1989 der Prozess der Wiedervereinigung Fahrt aufgenommen hatte, die Gesellschaft für Soziologie (GfS) gegründet werden. Die Dynamik der späten Gründung führte sieben Monate nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Mai 1991 noch zu einem Soziologen-Tag in Leipzig. Hansgünter Meyer hatte ihn als Vorsitzender der GfS organisiert. Er konnte rund 700 Teilnehmer begrüßen, die von denen ungefähr je die Hälfte aus den alten und neuen Bundesländern gekommen war.

After long and difficult preparations, the Gesellschaft für Soziologie (GfS) could be founded in February 1990, i.e. at a point in time when the process of reunification had gained momentum after the fall of the Berlin Wall on November 9, 1989. The dynamics of the late foundation led, seven months after the reunification of the two Ger­man states, to a Soziologen-Tag in Leipzig in May 1991, organized by the chairman of the GfS Hansgünter Meyer. He could welcome about 700 participants. About half of them came from the old and the new federal states, respectively.
 

DGS-Nachrichten

  • Protokoll der Auszählung der Wahlen zu Vorsitz, Vorstand und Hälfte des Konzils 2021 der Deutschen Gesellschaft für Soziologie e.V. (DGS)            
  • Jan Dirk Hoffmann, Birgit Blättel-Mink, Hubert Knoblauch und Sonja Schnitzler: Digitaler DGS-Kongress 2020            
  • Preise der DGS für herausragende Abschlussarbeiten
    • Daniel Drewski: National and regional symbolic boundaries among EU elites
      Der europäische Integrationsprozess führt zur Entstehung einer Vielzahl an Feldern und Organisationen jenseits des Nationalstaats, wie beispielsweise die europäischen Institutionen in Brüssel, in denen Akteure aus den unterschiedlichen Mitglieds­staa­ten der EU zusammenarbeiten und dabei möglicherweise Erfahrungen und Ein­stel­lun­gen mitbringen, die durch ihre jeweiligen Herkunftsländer und Regionen in der EU geprägt sind. Die Dissertation fragt danach, in­wiefern diese im Arbeitsalltag der ›europäischsten‹ Organisation der EU – der Euro­päischen Kommission – eine Rolle spielen und zur Wahrnehmung ›sym­bo­li­scher Grenzen‹ zwischen den Beamt*innen führen. Auf der Grundlage von qua­li­ta­ti­ven Interviews mit Kommissions­beamt*in­nen kann gezeigt werden, dass diese einer­seits gemeinsame Orientierungsmuster her­ausgebildet haben. Nationale und re­gionale Grenzziehungen bleiben aber weiter­hin relevant, wenn es um die Aus­ge­stal­tung der Organisationskultur und die Wahl der Arbeitssprache, das Berufsethos der Beamt*innen und deren Status und Einfluss in­nerhalb der Kommission geht. Diese Arbeit leistet damit einen Beitrag zur so­zio­lo­gischen Analyse des europäischen Inte­gra­tionsprozesses aus der Perspektive der maß­geblich daran beteiligten Akteure.
      The process of European integration leads to the emergence of a multitude of fields and organizations beyond the nation state, such as the European institutions in Brus­sels, in which actors from the different member states of the EU work together. The­se may carry with them experiences and attitudes that are shaped by their re­spec­tive countries and regions of origin in the EU. The dissertation asks to what extent these play a role in the daily work of the most ›Euro­pean‹ organization of the EU – the European Commission – and whether they lead to the perception of ›symbolic boundaries‹ between Commission officials. On the ba­sis of qualitative interviews with Commission officials, it can be shown that on the one hand they have de­ve­lo­ped common orientations. However, national and re­gional boundaries remain re­le­vant when it comes to the organizational culture and the choice of a working lan­guage, the professional ethos and the officials‹ status and in­fluence within the Commission. Overall, this study makes a contribution to the so­ciological analysis of the European integration process from the perspective of the key actors involved.
    • Alexandra Schauer: Gesellschaftlicher Veränderungswille oder ohnmächtige Angst?
      In der soziologischen Zeitdiagnostik hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Frage an Bedeutung gewonnen: Wie lassen sich die tiefgreifenden Wandlungsprozesse, die bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts zurückreichen und an der Wurzel gegen­wärtiger Spannungen liegen, angemessen verstehen? Der Beitrag widmet sich dieser Frage, indem er den Übergang in die Spätmoderne anhand dreier Kreisbewegungen untersucht: Am Wandel der Zeitverhältnisse, der Öffentlichkeit und des städtischen Zu­sammenlebens wird gezeigt, dass dieser Übergang mit einer radikalen Trans­for­ma­tion menschlicher Weltbezüge einhergeht. Die Welt – so das zentrale Argument – wird immer weniger als ein Ort erlebt, der sich durch gemeinsames Handeln po­li­tisch gestalten lässt. Angesichts einer Zukunft, die zunehmend unkalkulierbar er­scheint, ist an die Stelle eines gesellschaftlichen Veränderungswillens das Gefühl ohn­mächtiger Angst getreten. Der Artikel deutet den gesellschaftlichen Umgang mit der Corona-Pandemie als Ausdruck dieser Entwicklung.
      In recent decades, social theory has become preoccupied with the urgent question for the roots of contemporary social tensions: How can we adequately understand the profound processes of change that originated in the last third of the 20th cen­tury? My article attempts to answer this question by tracing the transition to late mo­dernity in three circular movements. It analyzes the transformation of our notion of time, of the public sphere, and of urban life in order to demonstrate a radical trans­for­ma­tion of our relations to the world. In late modernity, so I argue, the world is no lon­ger experienced as a space shaped by collective political action. As the future in­creasingly appears to be incalculable, a sense of impotence and fear displace social agency. The article interprets the handling of the Corona pandemic as expressing this social transformation.
       
  • Veränderungen in der Mitgliedschaft             

Berichte aus den Sektionen und Arbeitsgruppen

  • Sektion Soziologie des Körpers und des Sports
  • Sektion Wissenschafts- und Technikforschung
  • Arbeitsgruppe Soziologische (digitale) Lehre

Nachrichten aus der Soziologie

  • Andrea Maurer: Hans Albert zum 100. Geburtstag    
  • Ein kurzes Gespräch mit Steffen Mau, Gottfried Wilhelm Leibniz-Preisträger 2021            
  • Schader-Preis 2021 für Armin Nassehi            
  • Dissertationspreis der Sektion Stadt- und Regionalsoziologie
  • Francis Le Maitre, Kim Meyer, Veronika Zink / Jeffrey Alexander: In memoriam Bernhard Giesen
                    
  • Call for Papers      
    • Scheitern in den Wissenschaften 
    • Stadtsoziologische Forschung heute  
    • Organisation und Bewertung von Nachhaltigkeit
    • 1st International and Interdisciplinary Conference on Spatial Methods
  • Tagungen         
    • Komplexe Methodendesigns in der multi-, inter- und transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung  
    • Qualität im Hochschulsystem