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Anfechtbare Erzählungen über die DDR. Zum zeithistorischen Stellenwert von Biographieforschung und Oral History

Deadline: 15. Januar 2024

Seit dem Mauerfall und der Deutschen Einheit wird zu Jubiläen, in Museen und Ausstellungen, Essays, Romanen, historischen Abhandlungen, Zeitdiagnosen, in sozialen Medien und (Dokumentar-) Filmen, in öffentlichen Diskussionen wie auch im Privaten an die DDR erinnert. Auch dreieinhalb Jahrzehnte nach dem Mauerfall und der darauf folgenden Deutschen Einheit brechen die gesellschaftlichen Diskussionen um die Geschichte der DDR und die daran anschließenden Transformationsprozesse nicht ab. Noch immer befinden wir uns in einem ›kollektiven Aushandlungsprozess‹ über die Geschichte der DDR, bei dem verschiedene Akteur:innen wie Zeitzeug:innen, aber auch Personen aus den Wissenschaften, den Medien, der Politik, aus Museen und Gedenkstätten mit ganz unterschiedlichen Interessen über die DDR sprechen und in ihrem Sprechen um ›Anerkennung ihrer Version von DDR-Geschichte […] kämpfen‹ (Handro/Schaarschmidt 2011, S. 8). Bis heute ist umstritten, wie die DDR ins kollektive Gedächtnis gerufen werden kann und thematisiert werden soll. Im Sprechen und Schreiben über die DDR werden immer neue Deutungen angeboten, aber auch alte Polarisierungen kehren zurück.

Der öffentliche Diskurs über die DDR oszilliert dabei wellenförmig: von einer scharfen Kritik der SED- Herrschaft, wie sie noch in den 1990er Jahren artikuliert wurde, hin zu einer milderen, von Verlustgefühlen durchsetzten Beurteilung in den 2000ern (vgl. Jarausch 2002) und einem Wiederaufflammen stärker polarisierter Beiträge in den 2020er Jahren. Einer repräsentativen Befragung des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig zufolge teilen aktuell zwei Drittel der Wohnbevölkerung in den ostdeutschen Bundesländern eine Sehnsucht nach der DDR (vgl. Siemer 2023). Gleichzeitig wird die DDR-Sozialisation in Hinblick auf (problematische) politische Transformationsprozesse regelmäßig als Begründungslinie herangezogen (bspw. Rippl 2024).

Gefragt werden kann, welchen Stellenwert Erzählungen von Zeitzeug:innen im wissenschaftlichen Diskurs über die DDR als nicht mehr existierenden Staat einnehmen. Welchen Beitrag können Biographieforschung und Oral History auf der Grundlage von narrativen Interviews und verwandten Quellen zum zeithistorischen Verständnis und zur Einordnung der DDR-Geschichte leisten? Wie wird in ihnen das Leben in der DDR überliefert und interpretiert? In welchem Spannungsfeld zwischenindividuellem Erinnern, kollektiver Geschichtsschreibung und politischer Auseinandersetzung der Vergangenheit stehen die Erzählungen? Welche Bezüge zur Gegenwart finden sich? Inwieweit wird in ihnen der öffentliche Diskurs angefochten oder auch verteidigt? Inwieweit sind historische Ereignisse Inhalt der Erinnerungen? Inwieweit geht es um Rechtfertigungsgeschichten, Mythisierungen, Betroffenheiten, Erfahrungen, die einer anderen, eigenartigeren Logik gehorchen? Und wie reagieren Zeitzeug:innen auf polarisierende Diskurse? Wie positionieren sie sich in dem aufgeheizten Debattenraum in Hinblick auf die Normalität der eigenen Biografie?

Die Herausgeber:innen freuen sich auf Beiträge, die sich mit narrativem Datenmaterial auf die Geschichte der DDR beziehen und dabei eine der folgenden Perspektiven einnehmen und/oder Problemstellungen adressieren:

  1. Empirische Untersuchungen im Rahmen der erziehungs- und/oder sozialwissenschaftlichen Biographieforschung oder der Oral History zu Erfahrungen in der DDR-Gesellschaft;
  2. methodologisch ausgerichtete Beiträge zum Potenzial und/oder zu den Erträgen der Erzählforschung über die DDR; zu Herausforderungen, Chancen und Risiken des Materials subjektiver Erzählungen in Form von Autobiographien oder Berichten von Zeitzeug:innen; zu den Möglichkeiten der Weiterentwicklung von narrativen Methoden anhand von Datenmaterial, das sich auf die DDR bezieht.
  3. Abhandlungen, die sich mit der Frage nach den Basiserzählungen (Herz 1996), den Master Narratives oder Gegenerzählungen (Bamberg 2022) in den gesellschaftlichen und politischen Diskursen der DDR widmen; oder
  4. zur Bedeutung von literarischen oder politisch motivierten Erzählungen für die Thematisierung der DDR-Geschichte und den mit ihr verbundenen Erfahrungen.

Erwünscht sind Beiträge aus den unterschiedlichen Disziplinen der Erziehungswissenschaft, Soziologie, Psychologie, den Kulturwissenschaften und der Geschichtswissenschaft.

Reichen Sie dazu ein Abstract (ca. 1 Seite, 2.500 Zeichen inkl. Leerzeichen) bis zum 15.01.2025 ein.

Wir freuen uns auf Beitragsvorschläge an: erzaehlungen(at)uni-hildesheim.de