Aktuell

›Auf in die Provinz!‹

Deadline: 15. Februar 2022

Artikelaufruf für einen Themenschwerpunkt in Berliner Debatte Initial

Die Provinz ist das Gegenteil der Metropole. Die Metropole lebt wiederum mit ihrem herausgestellten Status von dem Gegensatz, den sie zur Provinz herstellt. Allerdings wird diese hege­moniale Hal­tung auch infrage gestellt durch die Überlegung, dass in der historisch gewachsenen dezentralen Organisa­tion der Bun­desrepublik eine relative Stärke der Provinz begründet liegt. Hans Ulrich Gum­brecht (›Pro­vinz‹, 2021) beispiels­weise erklärt die Provinz zum wesentlichen Bestandteil wissenschaft­lichen und kulturellen Lebens in Deutschlands. Dennoch lässt sich nicht übersehen, dass der Provinz, aus der Per­spektive der Haupt­stadt zumal, ein gewisser negati­ver Ruf anhaf­tet. Das wiederum führt als Gegenhal­tung zu positiven Aneignun­gen wie etwa bei Gumbrecht. Es han­delt sich bei Pro­vinz mit­hin um ein schillerndes Wort, mehr Motiv als trenn­scharfer Begriff.

Das Bedeutungsspektrum von Provinz erschöpft sich jedoch nicht im geographischen Gehalt. Es gibt auch wissenschaft­liche Provinzen, mentale, kulturelle usw. Doch auch hier ist die Assoziation von Pro­vinzialität nicht weit. Dem Provinz-Begriff ist ein eigentümliches Changieren zwischen der Fassung in geographischen und men­tal-geistigen Ter­mini zu ei­gen.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Lebensrealitäten zwischen Provinz und Metropole stark unterschei­den. Aus diesen Unterschieden ergeben sich verschiedene geistes- und sozialwissen­schaftliche Fragestel­lungen – und auch unterschiedliche Forschungsperspektiven. Ein großer Teil der wissenschaftlichen Forschung findet in großen Städ­ten oder in unmittelbarer Nähe zu ihnen statt. Führt diese urbane Lebensweise auch zu einer spezifisch urbanen For­schungsperspektive – die Spezifi­ka der Provinz tendenziell ausblendet? Oder lassen sich ›geistige Provinzen‹, Ni­schen und Randständi­ges, gerade in einem urbanen Kontext finden? Wie wirkt sich in diesem Kontext der zunehmen­de Wett­bewerb um Forschungsgelder aus? Führt er zu einer zunehmenden inhaltli­chen Stromlinienför­migkeit oder zu einer lo­kalen Konzentration in wenigen wachsenden Zentren?

Ist nicht andererseits durch Vernetzung und Digitalisierung im Gegenteil ein gegenläufiger Trend zu beobachten, da durch die Entwicklung des ›globalen Dorfs‹ die Pflege wissenschaftlicher Provinzen nicht mehr so sehr an materielle Ortswechsel gebunden ist? Ist die Provinz daher vielleicht gar im Kommen? Zumal die zunehmend als problematisch wahrgenommenen Zustände in den Großstädten einen gegenläufigen Trend begründen, eine Stadt­flucht, die durch die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation erleichtert wird. Dieser kann auf das Erbe der Lebensreformbewe­gung zu­rückgreifen, die wichtige Motive des positiven Provinz-Bezugs vorgeprägt hat.

Seit dem spatial turn der späten 1980er Jahre rückt der (geographische) Raum in den Sozial- und Geis­teswissenschaften stärker in den Blick. Ließe sich mit dem Instrumentarium einer raumkritischen For­schung genauer be­stimmen, was Provinz ist und was ihr Verhältnis zur Metropole ausmacht – geogra­phisch, gesellschaftlich, wis­senschaftlich?

Was kann heutzutage, wo alle mit allen vernetzt zu sein scheinen, Provinz sein, was sind die Perspekti­ven, aus denen der Begriff erfasst und gedeutet werden kann? Welche Rolle spielen Provinzen und Provinzialität in den Geistes- und Sozial­wissenschaften? Ist es möglich, die Potenziale des Provinziellen herauszuarbeiten ohne in eine Eigentlichkeits­rhetorik zu verfallen?

Welche Rolle spielt darüber hinaus der Begriff in den Einzelwissenschaften? – Also: ›Provinz‹ als histo­risches Kon­zept, aus globaler Perspektive, oder auch: ›Provinz‹ als Herausforderung für soziologische und politologi­sche For­schung, für Kultur- und Erziehungswissenschaften. Lässt sich Provinz anders denken als in ihrer Dicho­tomie zur Me­tropole?

Berliner Debatte Initial lädt ein, diese und andere Fragen zum Themenkomplex ›Provinz‹ zu betrach­ten. Es sind Bei­träge aus einem breiten Spektrum an Wissenschaften erwünscht.

Die Formate der Texte können variieren zwischen theorieorientiertem Aufsatz, empirischer Studie und Essay. Alle Tex­te haben jedoch wissenschaftlichen Anforderungen zu entsprechen und sollten 40.-50.000 Zeichen um­fassen (ein­schließlich Leerzeichen und Literaturverzeichnis). Es gelten die Hinweise für Autorinnen und Auto­ren und die Regeln der Zeitschrift für Einreichung, Begutachtung und Veröf­fentlichung von Manuskripten (siehe https://www.berlinerdebatte.de/initial).

Interessierte Autor*innen werden gebeten, einen Themenvorschlag mit Arbeitstitel und Exposé (auf Deutsch, max. 3.000 Zeichen) bis 15.02.2022 einzureichen. Senden Sie diesen bitte per E-Mail an: redaktion(at)berlinerdebatte.de

Die Redaktion entscheidet dann bis 01.03.2022 über die Annahme der Vorschläge. Der Termin für die Abgabe der Manu­skripte ist der 30.06.2022.

Das Heft mit dem Themenschwerpunkt ›Auf in die Provinz!‹ soll im Herbst 2022 erscheinen.

Bei Interesse und Fragen wenden Sie sich bitte an: redaktion(at)berlinerdebatte.de 

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