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Bildung in der digitalen Gesellschaft erforschen: Theoretische, methodische und methodologische Perspektiven

Deadline: 12. Januar 2026

Digitalisierung zählt zu den zentralen gesellschaftlichen Transformationsprozessen der Gegenwart. Sie verändert nicht nur die Institutionen des Bildungssystems, sondern berührt grundlegende Formen des Wissens, des Lernens und des sozialen Zusammenlebens (Nassehi, 2019; Reckwitz, 2017). Damit verschieben sich die Bedingungen, unter denen Bildung als gesellschaftliches Phänomen zu begreifen ist.

Aus der soziologischen Perspektive wird Bildung nicht allein als individuelle Ressource verstanden, sondern als zentrales Medium sozialer Integration. Sie strukturiert Lebenschancen, beeinflusst soziale Mobilität und ist eng mit Fragen von Ungleichheit und Teilhabe an zentralen gesellschaftlichen Gütern verknüpft (Bourdieu, 1983; Graf & Möller, 2015; Mau, 2017). Digitalisierung verändert derzeit nicht nur die institutionellen und strukturellen Bildungsbedingungen, sondern wirft auch neue Fragen hinsichtlich ihrer integrativen Implikationen auf. Aus soziologischer Sicht sind dabei insbesondere zwei Dimensionen relevant: Erstens, wie verändert Digitalisierung Strukturen sozialer Ungleichheiten? Zweitens, wie transformiert Digitalisierung Institutionen und Organisationen des Bildungswesens?

Vor diesem Hintergrund stellt sich auf theoretisch-konzeptioneller Ebene einerseits die Frage, ob klassische Konzepte, wie Bildung, Wissen, Kompetenz und Sozialisation ausreichen oder ob und welche Weiterentwicklungen sich als erforderlich erweisen. Kritische Ansätze betonen darüber hinaus, dass Digitalisierung nicht neutral ist, sondern unmittelbar auf Macht- und Ungleichheitsverhältnisse wirkt (Benjamin, 2019; Noble, 2018). Diskurse um Data Colonialism (Couldry & Mejías, 2019) oder epistemische Freiheit (Ndlovu-Gatsheni, 2018) weisen darüber hinaus darauf hin, wie bedeutsam es für die soziologische Bildungsforschung in der digitalen Gesellschaft ist, z. B. globale, postkoloniale und feministische Dimensionen stärker als bisher zu berücksichtigen.

Andererseits erfordert die Erforschung von Bildung in digitalen Gesellschaften wiederum methodische Offenheit. Klassische Verfahren der Bildungsforschung, wie Interviews, Surveys und Ethnografien bleiben relevant, sind aber gleichzeitig kritisch auf ihre Grenzen in digitalen Kontexten zu reflektieren. Plattform- und Netnografien beispielsweise eröffnen neue Möglichkeiten, Lernpraktiken und Infrastrukturen zu untersuchen (Kozinets, 2015; Decuypere et al., 2021). Eine weitere Herausforderung besteht also darin, klassische und innovative Forschungsansätze zu verbinden, ohne deren epistemologische und ethische Implikationen auszublenden.

Im Mittelpunkt der Tagung stehen somit die theoretischen, methodischen und methodologischen Herausforderungen, die sich für die soziologische Bildungsforschung in digitalen Gesellschaften ergeben.

Themenfelder und mögliche Leitfragen

Wir freuen uns über empirische und theoretisch/konzeptionelle Beitragsvorschläge, die sich an einer oder mehreren der nachfolgenden Thematiken und Fragen orientieren können. Die folgenden Fragen sind als Anregung und nicht abschließend zu verstehen.

1. Bildungspraktiken und -kontexte

• Wie verändern digitale Medien und Plattformen schulische Lehr- und Lernarrangements?

• Welche Bedeutung haben digitale Kompetenzen und Digital Literacy für lebenslanges Lernen?

• Welche soziotechnischen Arrangements entstehen durch den Einsatz von KI in Bildungskontexten?

• Wie beeinflussen digitale Tools die Autonomie von Lehrenden?

2. Institutionen, Organisationen und Strukturen

• Wie verändern sich Bildungsorganisationen unter digitalen Bedingungen?

• Welche neuen Rollen, Praktiken und Organisationsformen entstehen?

• Wie verändert sich das Verhältnis von formaler, non-formaler und informeller Bildung?

• Welche Rolle spielen ökonomische und politische Interessen im EdTech-Feld?

3. Ungleichheit

• Welche neuen Ungleichheiten entstehen durch Digitalisierung, welche reproduzieren und verstärken sich oder schwächen sich ab?

• Wie verändert sich der Zusammenhang von Bildung und sozialer Mobilität?

• Welche sozioökonomischen und individuellen Merkmale prägen digitale Kompetenzen und Praktiken (z. B. Geschlecht, Klasse, Race, globaler Kontext)?

• Wie lässt sich Bildungsgerechtigkeit in einer digitalisierten Gesellschaft fassen?

4. Methodologische Perspektiven

• Welche erkenntnistheoretischen und forschungsethischen Fragen stellen sich in digitalen Bildungsforschungsprojekten?

• Wie können methodologische Reflexionen zur Qualität und Aussagekraft von Forschung beitragen?

• Wie verändert sich die soziologische Bildungsforschung durch KI und digitale Daten?

• Wie können Fragen nach Bias, Transparenz und Gerechtigkeit in digitalen Methoden wie Trace-Daten-Analysen oder KI-gestützte Auswertungen beantwortet werden?

Tagungsformat

Die Tagung richtet sich explizit an Wissenschaftler:innen in Qualifikationsphasen. Doktorand:innen und Postdocs haben die Möglichkeit, ihre Forschungsarbeit oder Auszüge daraus (gern auch im Stadium des Work in Progress) in einem 20-minütigen Vortrag vorzustellen. Dabei soll insbesondere entweder auf theoretische oder auf methodische Herausforderungen eingegangen werden. Die Vorträge werden von erfahrenen Wissenschaftler:innen kommentiert, die kurze Impulse geben und Anknüpfungspunkte für die gemeinsame Diskussion eröffnen. Darüber hinaus sind Keynotes sowie thematische Workshops, z. B. zu digitalen Forschungsmethoden, geplant. Ziel ist es, Raum für einen offenen Austausch zu schaffen, Herausforderungen gemeinsam zu reflektieren und Impulse für die Weiterentwicklung der eigenen Qualifikationsarbeit zu gewinnen.

Beitragsangebote

Bitte reichen Sie einen strukturierten Abstract (max. 6.000 Zeichen inkl. Leerzeichen, Literaturangaben mit eingerechnet) ein, der folgende Punkte umfasst:

  1. Forschungsfrage und Bezug zum Tagungsthema

  2. Theoretischer Rahmen

  3. Methodisches Vorgehen

  4. (Ggf.) erste empirische Befunde

  5. Reflexion theoretischer, methodischer oder methodologischer Herausforderungen

Einreichung: per Mail an das Organisationsteam

Einreichungsschluss: 12.01.2026

Rückmeldung zu den Beiträgen: März 2026

Tagung: 21.–22. Mai 2026, Hochschule München (Präsenz)

Teilnahmegebühr: entfällt

Organisationsteam

• Prof. Dr. Jana Heinz (Hochschule München) jana.heinz(at)hm.edu

• PD Dr. Angela Graf (Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation) Angela.Graf(at)bidt.digital