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Call for Papers: Soziologie digitaler Spiele (Gründungsworkshop)

Tagungszeitraum 01. & 02.12.2022

Spielen ist ubiquitärer Bestandteil der Kultur selbst sowie auch ihrer soziologischen Analyse, exemplarisch etwa bei George Herbert Meads Unterscheidung zwischen Game und Play, bei Alfred Schütz› reflexivem Durchspielen von Handlungsentwürfen oder bei Erving Goffmans situativem Rollenspiel. In den letzten Jahrzehnten tritt dabei mit dem ›digitalen Spiel‹ ein neues, eigenständiges mediales Artefakt auf, das mit einer ganzen Reihe kultureller Phänomene und sozialen Wandlungsprozesse einhergeht. Bestehende soziale Phänomene werden hierdurch einerseits sichtbar (gemacht), andererseits auch neue hervorgebracht.

Obwohl (digitales) Spielen sozial- und handlungstheoretisch für Soziolog:innen keine Unbekannte darstellt, fehlt bisher jedoch ein Forum für eine dezidiert soziologische Auseinandersetzung mit digitalen Spielen und ihren Kulturen. Im Rahmen eines geplanten Workshops sollen genuin soziologische Perspektiven auf (digitale) Spiele und die um sie herum entstehenden Kulturen versammelt, miteinander ins Gespräch gebracht werden um – drauf aufbauend – eine Arbeitsgemeinschaft ›Soziologie digitaler Spiele‹ im Rahmen der DGS-Sektion Medien- und Kommunikationssoziologie ins Leben zu rufen. Das Programm einer solchen Arbeitsgruppe besteht vor allem in der Bündelung verschiedener (medien-)soziologischer Forschungsperspektiven rund um digitale Spiele und ihre Kulturen, die Schaffung von Vernetzungs- und Kooperationsmöglichkeiten (gerade auch für Nachwuchswissenschaftler:innen) sowie eine Institutionalisierung der Game Studies im Rahmen der deutschsprachigen Soziologie.
Zu diesem Zweck sollen im Rahmen eines ersten Vernetzungstreffens neben inhaltlichen Perspektiven zugleich mögliche Themen, Formate und Organisationsformen der geplanten Arbeitsgruppe diskutiert werden, um einen regelmäßigen und langfristigen Austausch über digitale Spiele sowie die mit ihnen verschränkten Kulturen und Gemeinschaften zu ermöglichen (wobei auch entsprechende Forschungen zu analogen Spielen nicht ausgeschlossen sind).

Soziologische Phänomene, die sich der Vielfalt digitaler Spielkulturen annehmen, betrachten dabei unter anderem folgende Bereiche: 

  • Vergemeinschaftung und Subjektivierung

Spiele leisten einen maßgeblichen Beitrag zu sozialer Integration und Prozessen der Vergemeinschaftung. Fandoms, Communities und Netzwerke, die innerhalb von und im Umgang mit (digitalen) Spielen entstehen, bilden seit Jahrzehnten signifikante Bestandteile mediatisierter Lebenswelten. Innerhalb digitaler Spiele identifizieren sich Spieler:innen mit Protagonist:innen oder experimentieren mit Rollenentwürfen, etwa in Form von Avataren und Charakterkreationen. Insbesondere MMOs und Virtual Environments wie Second Life oder Social VR-Plattformen veranschaulichen die soziale Wirkmacht, die Entwürfe des Selbst in digitalen Spielwelten mit sich bringen. Das Spielen ist damit nicht bloß als temporäre Fiktion zu verstehen, sondern als integrativer Bestandteil von menschlicher Sozialität, von Subjektivierungs- und Vergemeinschaftungsprozessen. Zugleich entstehen neue Sozialfiguren sowohl im Umfeld digitaler Spiele (beispielsweise der Gamer, der Fanboy/das Fangirl oder der Noob) als auch innerhalb der Spiele selbst (bspw. der Camper). Die Kehrseite der Vergemeinschaftung findet sich in unterschiedlichen Formen von Exklusion, sei es in der Abwertung von Casual Gaming durch Core Gamer, im Fokus auf besonders schwer zu bestreitende, durch Schwierigkeitsgrad exkludierende Spiele (bspw. Souls-Likes) sowie in den sich in verschiedenen (Teil-)Öffentlichkeiten immer wieder artikulierenden Kulturkämpfen.

  • Technologien, Materialitäten und Praktiken des Spiels

Angefangen vom Würfeln, über den Gebrauch von Controllern, Tastaturen und Fitnessgadgets bis hin zu virtuellen Arrangements, in denen das komplette Wohnzimmer mittels VR-Equipment ausgestattet werden muss (und bis hin zu Spielen wie Pokémon Go, die die ›analoge‹ Welt zum Spielfeld machen): (Digitale) Dinge und ihre praktische Aneignung sind konstitutiver Bestandteil des Spielens. Hardware, Software, Interfaces sowie die durch sie erzeugten virtuell erfahrbaren Welten stellen materielle Voraussetzungen und Effekte des Spielens dar, machen einerseits Handlungsweisen und -strategien wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher, werden anderseits aber ebenso durch das Spielen geprägt. Deutlich wird dabei insbesondere das Wechselspiel zwischen Technologie und Körper, das in rationaler Wechselwirkung die Praxis des (digitalen) Spielens bedingt. Interaktivität als Voraussetzung digitaler Medieninhalte wird hier wie in kaum einem anderen Medium geradezu körperlich erfahrbar: Ohne ›Spielen‹ kein Spiel – aber in letzter Konsequenz auch kein Spieler:innensubjekt. Wie Materialität und Physis in digitalen Umgebungen zum Ausdruck kommen und sich beispielsweise in ›synthetischen Situationen‹ (Knorr Cetina) und immersiven Körperpraktiken erkennen lassen – beispielhaft sei hier Virtual Reality genannt –, sollte eine Soziologie der (digitalen) Spiele verfolgen. Eine soziologische Perspektive auf Techniken und Technologien kann sich darüber hinaus insbesondere mit der soziohistorischen Entwicklung der zugrundeliegenden Medientechnologien auseinandersetzen oder – da digitale Spiele wiederum nur digital hergestellt werden können – auch die Spieleentwicklung als praktische Auseinandersetzung mit Engines, Programmiersprachen, Middleware, ökonomischen Rahmenbedingungen etc. in den Blick nehmen.

  • Gamification und (Be-)Wertung

Spielmechanische Elemente finden sich in zahlreichen anderen Bereichen wieder, was seit einiger Zeit unter dem Schlagwort der ›Gamification‹ diskutiert wird: Mittels des Erwerbs von Badges, durch Wettkampflogik, Ranglisten, Punktesysteme u.ä. soll so die Motivation von Akteur:innen etwa beim Erlernen neuer Sprachen, am Arbeitsplatz oder – im Falle bspw. der digitalen Selbstvermessung – im Bereich der körperlichen Fitness gesteigert werden. Praktiken der Gamification gehen damit nicht nur mit Quantifizierung oder Kategorisierung einher, sondern ebenso mit Disziplinierung, Normalisierung sowie Logiken des Vergleichs, womit sie zugleich Wertungen und Bewertungen von sozialen Handlungen und Situationen beinhalten. Praktiken des (Be-)Wertens finden sich darüber auch im Rahmen von Spielhandlungen – etwa bei der Suche nach geeigneten Problemlösestrategien, wenn das ›Rezeptwissen‹ (Schütz) nicht mehr greift. Gleichzeitig stehen Spiele als Produkt jedoch stets auch unter Beurteilung von Spieler:innen und Spielejournalist:innen. Öffentliche Debatten rund um Videospiele – so zeigen es die öffentlichen Reaktionen auf die Veröffentlichungen vermeintlich mangelhafter Spiele wie ›No Man‹s Sky‹ oder ›Cyberpunk 2077‹ – führen zu Transformationen einzelner Spiele wie auch einzelner Logiken innerhalb der sozialen Welt des (digitalen) Spiels. 

  • Politik und Repräsentation

In den Fokus der genannten öffentlichen Debatten rücken dabei immer stärker auch arbeitspolitische Kämpfe innerhalb der Spielebranche selbst. Neben Arbeitsbedingungen, die sich insbesondere vor Release eines Produkts durch die sogenannte ›Crunch-Time‹ auszeichnet, in der (Selbst-)Ausbeutung und Überlastung an der Tagesordnung sind, wird die Branche vermehrt auch durch die Offenlegung sexistischer und rassistischer Strukturen in den Produktionsfirmen selbst erschüttert. Eine weitere Ebene betrifft hier die Politik der Repräsentation und damit möglicherweise die Reproduktion von Ungleichheit auf der inhaltlichen Ebene – wie Filme oder Literatur sind digitale Spiele als Dokumente derjenigen Kulturen zu verstehen, aus denen sie jeweils hervorgegangen sind, was sowohl mit großen Summen budgetierte und hoch arbeitsteilig entstandene AAA-Produktionen wie auch von Einzelpersonen oder kleinen Teams entwickelte Indie-Spiele betrifft.

  • Methodische Herausforderungen

Zu guter Letzt stellen digitale Spiele die Soziologie auch hinsichtlich geeigneter Methoden zu ihrer Erforschung vor neue Herausforderungen. Hier gilt es, sowohl etablierte qualitative und quantitative Instrumente wie Umfragen, teilnehmende Beobachtungen, Logfile-Analysen, Krisenexperimente, Interviews, ethnografische Zugänge, Inhalts- und Artefaktanalysen, Screenshots, Videomitschnitte etc. auf digitale Spiele zu übertragen als auch eigene, genuin auf das Medium bezogene Formen zu entwickeln. Hierbei stellen verschiedene Spielegenres, Plattformen, Engines und Online-Netzwerke jeweils eigene Problemstellungen dar, die im Rahmen des Workshops diskutiert werden können. 

Diesen und anderen Problemstellungen möchten wir uns im Rahmen des Workshops auf theoretischer wie empirischer Ebene nähern, wobei vor allem auch die Vielfalt soziologischer Beschäftigung mit (digitalen) Spielen und ihren Kulturen abgebildet werden soll. Neben einer Projektvorstellung im Rahmen maximal 15-minütiger Impulsvorträge wird die Forschungswerkstatt einen Raum für intensiven Austausch und der Weiterentwicklung eigener Forschungsansätze bieten. Abstracts (max. 500 Wörter) sind bis zum 31.08.2022 per Mail an die Organisatoren einzureichen. Eine Rückmeldung über die Annahme wird zeitnah erfolgen. Bei positiver Rückmeldung werden die Beteiligten – je nach Anzahl der erwarteten Teilnehmer:innen – gebeten, bis zum 15.11.2022 eine kurze Ausarbeitung des Abstracts einzureichen, welches die eigene Forschung konkretisiert und der weiteren Diskussion dient.

Einreichung bis zum 31.08.2022 an:

Gerrit Fröhlich (Universität Trier): gerrit.froehlich(at)uni-trier.de

Felix Krell (ZU Friedrichshafen): felix.krell(at)zu.de

Nico Wettmann (Justus-Liebig-Universität Gießen): nico.wettmann(at)sowi.uni-giessen.de