Übergänge sind allgegenwärtig: Eine zunehmende Anzahl an Entwicklungs- und Veränderungsprozessen im Lebensverlauf wird gegenwärtig als Übergänge thematisiert und institutionalisiert. Der Wandel von Institutionen, Bildungsdiskurse und solche des lebenslangen Lernens sowie die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes vervielfältigen Übergänge und verlagern sie in andere Lebensphasen – von der frühen Kindheit bis ins späte Erwachsenenalter. Außerdem problematisiert ein weites Feld an Ratgebern und formellen wie informellen, staatlichen wie privaten Unterstützungs- und Begleitangeboten – die von einer gelungenen Schwangerschaft und dem Eltern-werden oder (un-)gewollter Kinderlosigkeit hin zum erfolgreichen Altern und guten Sterben alle Lebensphasen abdecken – Veränderungsprozesse und machen sie gleichzeitig bearbeitbar respektive fordern dazu auf, sie zu bearbeiten. Zugleich vervielfältigen und transformieren sich Ein- und Austritte in Institutionen des Erziehens, (Aus-)Bildens, Arbeitens, Heilens, Bewahrens und Vergehens, werden aufgewertet, gar zelebriert, oder umgekehrt invisibilisiert. Dabei lassen sich durch dieses Mehr an Übergangsoptionen gleichermaßen Prozesse der Entstandardisierung von Lebensläufen und solche der Re- und auch Neu-Standardisierung beobachten.
Übergänge im Lebenslauf werden sozial- und kulturwissenschaftlich derweil schon seit Langem zum Forschungsgegenstand gemacht, etwa in der Analyse von Übergangsritualen oder institutionell gerahmten Übergängen z.B. in Bildung, Beschäftigung oder Ruhestand. Sie sind unter anderem deshalb für die Soziologie von Relevanz, weil sie einerseits auf Unsicherheit, Ambivalenz und Kontingenz verweisen und zugleich Elemente gesellschaftlicher Reproduktion und sozialen Ordnens darstellen (und als solche etwa soziale Ungleichheiten stützen können); und andererseits, weil sich in ihnen gesellschaftliche Imperative und soziokulturelle Veränderungsprozesse mit subjektiven Bewältigungsweisen verbinden. So trägt die sektionsübergreifende Veranstaltung dem Umstand Rechnung, dass sich Lebensläufe zum einen maßgeblich durch Übergänge auszeichnen – vom bloßen Geboren-werden und den zahlreichen Übergängen in pädagogische und ausbildende Institutionen, vom Einstieg in die Berufswelt bis hin zum Übergang in die Nacherwerbsphase und schließlich den Sterbeprozess –, diese zum anderen in generationale, soziokulturelle und sozialstrukturelle Ordnungen eingebunden sind und sich insofern die ausgemachte Zunahme an Übergangsoptionen, -erwartungen, -anforderungen und -zwängen gesellschaftlich ungleich verteilt, etwa entlang der Differenzkategorien Klasse, Ethnie, Geschlecht und Generation. Die kooperative Sektionsveranstaltung verfolgt dabei das Ziel, Übergänge im Lebenslauf möglichst umfassend und in ihren Zusammenhängen wie Wechselwirkungen analytisch in den Blick zu nehmen und überdies aus der kritischen Reflexion von Übergängen dessen gesellschaftsdiagnosti-sches Potenzial auszuloten.
Dazu laden wir entsprechend Beiträge ein, die sich mit folgenden oder weitergehenden Fragestellungen beschäftigen:
▪ Wie werden Übergänge in Kindheit, Jugend, dem mittleren und höheren Erwachsenenalter individuell erlebt und bearbeitet und wie kollektiv prozessiert (z.B. als Statuspassage)? Wie institutionell gerahmt und geregelt (z.B. Lebenslaufpolitik)?
▪ Wie werden Übergänge verschiedener Lebensphasen diskursiv erzeugt, rhetorisch (de-)thematisiert und politisch verhandelt? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich ausmachen, insgesamt und bezüglich einzelner Phasen zueinander?
▪ Welche Felder und Institutionen strukturieren und prozessieren Übergänge zumeist in der Moderne? Wie haben sich Übergänge historisch entwickelt? Lassen sich gegebenenfalls Veränderungen, Verschiebungen und/oder Verschränkungen in respektive zwischen den Feldern/Institutionen, wie z.B. Bildung und Arbeitsmarkt ausmachen? Finden sich in der Spätmoderne oder der jüngsten Vergan-genheit gegebenenfalls auch neue Übergänge im Lebenslauf?
▪ Wie entstehen Übergänge überhaupt? Wie werden Phänomene, Ereignisse und Veränderungen als Übergänge gerahmt, institutionalisiert, ritualisiert und normalisiert? (z.B. Einschulungs- und Hochschulreife-Zeremonien, Gender-Reveal-Partys, Kita-Eingewöhnung, ›runde‹ Geburtstage, Schei-dungsrituale)
▪ Linked transitions: Wie hängen Übergänge über den Lebenslauf hinweg zusammen? Wie strukturieren Übergänge im Kindes- und Jugendalter und Bildungsverläufe andere Übergänge, die darauf folgen?
▪ Multiple Übergänge und linked lives: Wo und wie verschränken sich verschiedene Übergänge im Lebenslauf über individuelle Lebensläufe hinweg, z.B. Übergänge in die Elternschaft sind mit Übergängen in die Großelternschaft verbunden, Scheidung der Eltern mit Wohn- und ggf. Schulwechsel der Kinder, in die Ehe und damit in eine andere soziale Klasse, etc.?
▪ Wie werden Übergänge durch einen Wandel von Alterskonstruktionen und generationalen Ordnungen hervorgebracht und wie bringen diese Veränderungen wieder (neue) Übergänge hervor?
▪ Wie, von wem und durch welche Instanzen und Institutionen werden ›Erfolg‹ und ›Scheitern‹ an und von Übergängen im Lebenslauf definiert? Und wie, mit welchen Folgen, exekutiert?
▪ Welche neuen theoretischen Perspektiven und methodologischen Innovationen finden sich in der soziologischen Übergangsforschung?
Erwünscht sind Beitragsvorschläge, die Übergängen im Lebenslauf hinsichtlich einer der skizzierten Dimensi-onen, deren Kombination oder auch darüber hinaus nachgehen.
Wir bitten um die Einreichung von Abstracts (ein- bis zweiseitig inkl. kurzer biographischer Notiz)
bis zum 31.03.2025 an:
Anna Wanka (wanka@em.uni-frankfurt.de), Maria Keil (maria.keil@uni-tuebingen.de), Paul Eisewicht (paul.eisewicht@uni-muenster.de) und Christoph T. Burmeister (christoph.T.Burmeister@uibk.ac.at)
Organisation: Anna Wanka (Goethe-Universität Frankfurt am Main) für die Sektion Alter(n) und Gesellschaft, Maria Keil (Eberhard Karls Universität Tübingen) für die Sektion Bildung und Erziehung, Paul Eisewicht (Universität Münster) für die Sektion Jugendsoziologie und Christoph T. Burmeister (Leopold-Franzens-Universität Innsbruck) für die Sektion Soziologie der Kindheit