Aktuell

CfP: Transitionen aus biographietheoretischer Perspektive

Veranstaltung der Sektion ›Biographieforschung‹ auf dem 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ›Transitionen‹
vom 22.-26. September 2025 an der Universität Duisburg-Essen

Gesellschaftliche Transitionen sind eng mit der Veränderung von Prozessen, Praktiken und Formaten der (Auto-)Biographisierung verwoben. Zum einen geben Transitionen Anlass zu biographischen (Re-)Konstruktionsprozessen – langsam-schrittweise Veränderungen ebenso wie rapide Umbrüche. Zum anderen sind (auto-)biographisches Erinnern und Erzählen Mittel in gesellschaftlichen Aushandlungen, in denen um die (Be-)Deutung von vergangenen und gegenwärtigen Transitionen gerungen wird. Dies lässt sich im bundesrepublikanischen Kontext zum Beispiel an gegenwärtigen Diskursen um Kontinuitäten von Faschismus und Rassismus in Deutschland, die Pluralisierung der Perspektiven auf die Vereinigung der BRD und DDR sowie Konflikte um (post-)migrantische Wirklichkeiten in Deutschland beobachten. Auch finden sich zunehmend Publikationen von Sozialwissenschaftler:innen, die zur Deutung und Verdeutlichung von Ungleichheitsverhältnissen (insbesondere im Kontext von Klasse und sozialer Mobilität) auf autobiographische Formate setzen. In der Regel werden biographische Konstellationen, Passagen und Verläufe hierbei als Ausdruck individueller oder kollektiver Erfahrungen thematisiert, z.B. um die Wirkmächtigkeit von familialer oder regionaler Herkunft, von geschlechts- und klassenbezogenen Differenzierungs- und Diskriminierungsformen sowie genereller die Verbindung von Alltagswirklichkeiten, Habitus und Ungleichheitsverhältnissen aufzuzeigen. 

Eine Stärke soziologischer Biographieforschung liegt in Bezug auf die Untersuchung sogenannter großer gesellschaftlicher Umbrüche darin, Fragen nach Kontinuitäten und Brüchen, nach Geschwindigkeit und Qualitäten von Wandlungsprozessen für Individuen und Kollektive aus einer Prozessperspektive empirisch auszuloten. Vor allem waren und sind biographietheoretische Perspektiven in der Lage, gesellschaftliche (Makro-)Transitionen im Hinblick auf die Heterogenität der mit ihnen verbundenen Erfahrungen und die damit einhergehenden retrospektiven Deutungen auszuloten. Der Begriff Transitionen verweist allerdings nicht nur auf konkrete empirische Untersuchungsfelder, z.B. gesellschaftsgeschichtliche Phasen, sondern auf sozialtheoretisch-methodologische Grundmerkmale von biographietheoretischen Perspektiven auf gesellschaftliche Verhältnisse. Das Transitionen innewohnende ›Dazwischen‹ ist gewissermaßen ein Leitkonzept in der Biographieforschung, weil davon ausgegangen wird, dass Biographien stets ›im Werden‹ und damit im Wandel sind. Werden unter Transitionen Prozesse des Werdens, des Übergangs, der langsamen wie auch der rapiden Veränderung von Strukturen des Sozialen verstanden, sind Biographien als soziale Konstrukte von Transitionen erfasst und wirken gleichzeitig auf diese ein. Mit anderen Worten: Transformationen bringen biographische Konstruktionen und Strukturen hervor, werden aber auch in diesen und durch diese hervorgebracht und bearbeitet. Biographie(re-)konstruktion verweist auf prinzipiell brüchige und damit transitorische Prozesse, in denen Strukturbildung, -reproduktion und -veränderung aufeinander bezogen sind.

Über diese Grundannahmen hinaus gilt es in Bezug auf sich verändernde und heterogene empirische Wirklichkeiten stets auszuloten, wie sich das Verständnis von Biographie im sozialtheoretischen Sinne verändern muss, um gesellschaftlichen Veränderungen gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang haben sich seit der Institutionalisierung von Biographieforschung als sozialwissenschaftlichem Paradigma auch die methodischen Herangehensweisen erheblich verändert. In biographietheoretisch orientierten Forschungsdesigns wird häufig methodenplural geforscht (z.B. durch Einbezug von Social Media, Mapping-Techniken, Gruppendiskussionen oder auch teilnehmenden Beobachtungen). Inwiefern reagieren diese methodischen Veränderungen auf sich verändernde Wirklichkeiten, in denen Biographiekonstruktion eingebettet ist? Welche Perspektiven eröffnet dieses multimethodische Vorgehen?

In dieser Session laden wir Beiträge ein, die sich auf Basis empirischer Forschung mit einem oder mehreren der folgenden Themenkomplexe auseinandersetzen:

  • Biographisches Erleben von Transitionen: Wie werden Transitionsphasen biographisch erlebt und bearbeitet?
  • Transitionen von biographischen Formaten und (Auto-)Biographisierungsprozessen: Wie verändern sich Biographiekonstruktionen, etwa Dynamiken des Erzählens, Tradierens, Erinnerns, Tabuierens, Verschweigens innerhalb gesellschaftlicher Deutungskonflikte (um individuelle und kollektive Gedächtnisse) in verschiedenen geographischen Kontexten als auch in verschiedenen sozialen Einheiten (öffentliche Diskurse, Familien, etc.)?
  • Relationalität von Transition(en) und Biographie: In welchem Verhältnis stehen langsame und rapide Transformationsprozesse zu verschiedenen Biographiekonstruktionen und Biographisierungsprozessen? Inwiefern entstehen ›große‹ Umbrüche (z.B. Revolutionen) aus ›kleinen‹ Transformationen? Und umgekehrt: Inwiefern bewirken ›große‹ Umbrüche schrittweise Veränderungen?
  • Transitionen an der Schnittstelle von Biographieforschung und anderen sozialtheoretischen Traditionen: Welche sozialtheoretischen Traditionen bieten sich in Verbindung mit einer biographietheoretischen Verortung an, um Transitionen in den Blick zu nehmen? Welche Fragestellungen im Hinblick auf Transformationen sind ›drängend‹ und wie stellen sich diese aus einer biographietheoretischen Perspektive dar?Welche methodischen und theoretischen Verbindungen müssen gestärkt werden?

Wir bitten um die Einreichung von Abstracts (maximal eine Seite) bis zum 31.03.2025 an: siouti@soz.uni-frankfurt.de, anna.schnitzer@paedagogik.uni-halle.de und arne.worm@uni-goettingen.de

Organisation: Irini Siouti (Frankfurt University UAS), Anna Schnitzer (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) und Arne Worm (Georg-August-Universität Göttingen)