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Medienproduktion und Kreativbranche zwischen Nische und Mainstream: Ökonomische und soziologische Zugänge

Deadline: 31. Mai 2026

Es liegt nahe, den beiden kommunikationswissenschaftlichen Disziplinen Medienökonomie und Mediensoziologie zwei unterschiedliche Gegenstandsbereiche zuzuordnen. Dieser Annahme zufolge würde die Medienökonomie Wertschöpfung, Märkte und Strukturen der Medienproduktion und der Kreativbranche untersuchen, während die Mediensoziologie Mediennutzung, ihre soziale Verankerung und den Einfluss der Mediensozialisation auf das Alltagsleben in den Blick nähme. Doch diese Dichotomie zwischen Märkten und Strukturen einerseits und Praktiken und Bedeutungen in der Mediennutzung andererseits wird der Vielfalt von Überschneidungen und Austauschbeziehungen der beiden Disziplinen nicht gerecht. Zum einen beschäftigen sich Medienökonom:innen auch mit den Präferenzen und dem Verhalten von Mediennutzer:innen, zum anderen waren und sind soziale Prozesse in Medienunternehmen auch Gegenstand soziologischer Untersuchungen. Man denke etwa an die Ethnographien von Zeitungs- und Fernsehredaktionen (Tuchman 1980; Gitlin 2005; Born 2004), an die Analyse von Produktionskulturen (du Gay 1997; Negus 1999; Lantzsch, Altmeppen, und Will 2010), an Untersuchungen zum Wandel der Arbeit in der Medien- und Kreativwirtschaft (Hesmondhalgh und Baker 2011; McRobbie 2015; Wimmer und Hartmann 2016) und an das, was im deutschsprachigen Raum als Kommunikator:innenforschung bezeichnet wird. Darüber hinaus wurde im Zeitalter von Sozialen Medien und User Generated Content die Unterscheidung von Produktion und Rezeption selbst brüchig. Schon in den 2000er-Jahren wurde mit Begriffen wie Produsage oder Prosumption versucht, dem Umstand gerecht zu werden, dass der Wechsel von der einen Seite zur anderen immer leichter erfolgen kann und neben der traditionellen Medienindustrie eine Vielfalt an Nischen mehr oder weniger professioneller Medienproduktion entstanden ist (Zerdick u. a. 2004; Jenkins 2008; Bruns 2008). Die Akteure in diesen Nischen mögen andere Motive haben als die traditionellen Anbieter in der Medienwirtschaft, um Medienproduktion handelt es sich aber allemal (Siegert 2020).

Der sehr kursorische und lückenhafte Überblick über soziologische Forschung zur Medienproduktion und Kreativbranche soll deutlich machen, dass Medienökonomie und Mediensoziologie nicht notwendigerweise unterschiedliche Gegenstandsbereiche behandeln, sondern das Gleiche aus unterschiedlicher Perspektive betrachten können. Diese Öffnung der Medien- und Kulturproduktionsforschung für unterschiedliche Disziplinen und Betrachtungsweisen steht im Zentrum der gemeinsamen Tagung der Fachgruppen Soziologie der Medienkommunikation und Medienökonomie. Dabei geht es nicht um die Aufhebung der Unterschiede im Sinne einer neu zu bestimmenden Inter- oder Transdisziplin, sondern um die Sichtbarmachung der disziplinären Besonderheiten und um das Voneinander-Lernen. Nur eine multiperspektivische Betrachtung wird dem Gegenstand gerecht. Diese trägt nicht nur Fragen der optimalen Allokation knapper Mittel und produktiver Effizienz entlang der Wertschöpfungskette Rechnung (Pellegrini und Krone 2023), sondern auch Machtverhältnissen, gesellschaftlichen Funktionen und Identitäten.

So vielfältig wie die Perspektiven ist aber auch der Gegenstand selbst. Medien- und Kulturproduktion geschieht nicht nur in großen Verlagen und Medienkonzernen, sondern auch in kleinen, nicht- profitorientierten Initiativen (vom Kulturverein bis zur Klima-NGO), in den Marketingabteilungen von Parteien, Unternehmen oder staatlichen Einrichtungen und nicht zuletzt dort, wo Nutzer:innen sozialer Medien mit ihren Beiträgen und Kommentaren eine mehr oder weniger diffuse Öffentlichkeit adressieren. Dazu zählen auch explizit alternative und kapitalismuskritische Produktionsformen, etwa Serverkollektive oder föderierte Plattformen wie Mastodon, die sich bewusst von etablierten Marktlogiken abgrenzen. Wir laden Wissenschaftler:innen, Praktiker:innen und Student:innen aller Disziplinen ein, theoretische Überlegungen und empirische Forschungsergebnisse zur Medienproduktion aus ihrer je eigenen disziplinären Perspektive vorzustellen. Die Präsentationen können auf den Untersuchungsgegenstand fokussieren, aber auch die theoretischen und methodologischen Unterschiede zwischen den Perspektiven selbst thematisieren. In jedem Fall geht es darum, einen Dialog über disziplinäre Grenzen hinweg in Gang zu setzen. Wir wollen uns wieder die Tatsache ins Bewusstsein rufen, dass Multiperspektivität in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft von Beginn an ein zentrales Element war und geradezu konstitutiv für sie ist.

Die folgende Themenliste dient lediglich als erste Anregung und kann beliebig erweitert werden.

Medienproduktion und Kreativbranche aus soziologischer und ökonomischer Perspektive:

• Zum Selbstverständnis von Journalist:innen, Kreativen und Manager:innen

• Ökologische und ethische Herausforderungen der Medienproduktion – Ressourcenverbrauch, Nachhaltigkeit und Verantwortung in Produktionsketten

• Creator, Blogger, Influencer – Medienproduktion im Social-Media-Zeitalter

• Medienarbeit zwischen Professionalisierung und Prekarisierung

• Me-too: Ausbeutung und Diskriminierung, Sexismus und Rassismus in Medien

• Lokale, regionale und globale Netzwerke in der Medienproduktion und Kreativbranche

• Das Management von Kreativität und Innovation – ein Widerspruch in sich?

• Ist nicht jedes Unternehmen ein Medienunternehmen? Content-Marketing als Medienproduktion

• Alternativen zu marktorientierten Medienstrukturen – Gemeinwohlorientierte, kollektiv organisierte und nicht-kommerzielle Medienprojekte

• Von der Medienindustrie zu digitalen Plattformen und zurück: Crossmediale Strategien

• Wertschöpfung im Journalismus, in der Unterhaltungsproduktionen und auf Plattformen

• Wenn Maschinen übernehmen: Künstliche Intelligenz in der Medienproduktion

• Und viele weitere Themen …

Divergenz und Konvergenz der Disziplinen:

• Lost im Paradigmendschungel: von der Kritischen Theorie über die neo-klassische Ökonomie und Systemtheorie zu den Studies (Cultural, Queer, Postcolonial, Science & Technology etc.)

• Multi-, Inter- oder Transdisziplinarität in der Kommunikationswissenschaft

• Ockhams Rasiermesser oder dichte Beschreibung? Wissenschaftstheoretische Überlegungen

• Medienökonomie=quantitativ vs. Mediensoziologie=qualitativ? Wider den Methodenzwang!

• Brauchen neue Phänomene, neue kreative Forschungsansätze und was leisten die alten?

• Epistemische Kulturen und Machtverhältnisse – Ungleichheiten und Hierarchien in der Wissensproduktion und Disziplinentwicklung

• Und viele weitere Themen …

Daneben werden offene Panels angeboten, in denen aktuelle Beiträge ohne direkten Bezug zum Tagungsthema vorgestellt werden können.

Einreichung

Tagungsformate und Fachrichtungen: Wir möchten diverse Formate ermöglichen und Einreichungen aus Fachrichtungen auch außerhalb der Kommunikations- und Medienwissenschaften sind willkommen. Es sind deshalb neben klassischen Vorträgen und Panels auch Vorschläge für andere Formate, wie z.B. Workshops, erwünscht. Wenn Sie ein besonderes Format umsetzen möchten, geben Sie dies bitte bei Ihrer Einreichung an oder mailen Sie uns schon vorab an. Formalitäten der Einreichung: Beiträge für die Fachgruppentagung sind in Form von anonymisierten Extended Abstracts im Umfang von maximal 800 Wörtern (exkl. Literaturverzeichnis, Darstellungen u. ä.) oder als Bewerbungen anderen Formats (s. o.) ab Jänner 2026 bis zum 31. Mai 2026 auf der Tagungswebsite einzureichen.

Die Beiträge werden in einem doppelt blinden Peer Review-Verfahren durch beide Fachgruppen begutachtet. Wir bitten Sie daher, die Abstracts nicht mit Hinweisen auf die Autorenschaft zu versehen. Die Ergebnisse des Review-Verfahren werden im Juli 2026 vorliegen. Die Einreichungen werden nach fünf Kriterien beurteilt: Relevanz für das Tagungsthema, theoretischen Fundierung, Angemessenheit der Methode/Vorgehensweise, Klarheit und Prägnanz der Darstellung sowie Originalität. Beiträge für das offene Panel durchlaufen das gleiche Prozedere, das Kriterium›Relevanz für das Tagesthema‹fließt aber nicht in die Wertung ein. Beiträge dürfen zum Zeitpunkt der Einreichung noch nicht publiziert oder auf anderen Tagungen vorgestellt worden sein.

Pro Beitrag stehen bei der Tagung maximal 30 Minuten zur Verfügung, wobei der Vortrag nicht länger als 15 Minuten dauern soll, sodass ausreichend Zeit für Diskussionen bleibt. Die Tagungsleitung behält sich vor, die Gesamtkonzeption der Tagung bei der Auswahl der Beiträge zu berücksichtigen und zusätzlich Kolleg:innen für Beiträge anzufragen (z. B. Korreferate, Impulsreferate, Denkanstöße).

Die bei der Tagung präsentierenden Teilnehmer:innen sind dazu eingeladen, ihren Beitrag zur Publikation in den Proceedings der DGPuK einzureichen.

Mittelbauförderung: Doktorand:innen können unabhängig vom Tagungsthema ihr Dissertationskonzept (max. 3.000 Wörter ohne Literaturverzeichnis) einreichen und im Rahmen eines Doktorand:innenkolloquiums (am 23. September 2026) vorstellen. Hier erhalten Sie von anderen Wissenschaftler:innen Feedback zu ihrem Konzept. Wenn die Teilnahme am Kolloquium gewünscht ist, machen Sie bitte einen Vermerk bei Ihrer Einreichung. Sie können Ihr Dissertationsvorhaben auch zusätzlich als Konferenzbeitrag einreichen.

Im Rahmen der Tagung werden der Nachwuchspreis der Fachgruppe Medienökonomie verliehen, wie auch der Dissertationspreis der Fachgruppe Soziologie der Medienkommunikation. Hierzu gibt es separate Ausschreibung.