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Die Zukunftsfähigkeit der Grundsicherung im deutschen Sozialstaat – Alte Probleme, neue Herausforderungen

Deadline: 05. Dezember 2025

Seit ihrer Einführung im Jahr 2005 unterliegt die rechtliche Gestalt der Grundsicherung für Arbeitsuchende einem kontinuierlichen Wandel. Spätestens mit den multiplen Krisen ab dem Jahr 2020 – Covid-19-Pandemie, Ukraine-Krieg und Inflation – ist die Grundsicherung unter erheblichen Anpassungsdruck geraten. Zusätzlich hat die Bürgergeld-Reform eine heftige Kontroverse ausgelöst und darüber die Debatte um die Legitimität, Zielsetzung und Wirkungslogik der Grundsicherung neu entfacht.

Die anhaltende Kritik am Bürgergeld hat nun zu einer neuerlichen Reform der Grundsicherung geführt. Die aktuelle Bundesregierung plant nicht nur zentrale Elemente des Bürgergelds zurückzunehmen, sondern stellt das System der Grundsicherung insgesamt auf den Prüfstand. Ziel ist eine umfassende Neustrukturierung sozialstaatlicher Leistungen, mit dem Anspruch, institutionelle Fragmentierungen zu überwinden, die Governance des Sicherungssystems neu zu ordnen und Erwerbsanreize zu verbessern. Hierfür wurde – ähnlich wie im Vorfeld der›Hartz-Gesetze‹– eine Kommission eingesetzt, die Optionen auch für eine Reorganisation der Grundsicherungssysteme des deutschen Sozialstaats erarbeiten soll.

Diese Entwicklungen werfen grundlegende Fragen auf: Welche strukturellen Probleme bestehen trotz zwei Jahrzehnten intensiver Reformen des SGB II fort? Inwiefern haben sich durch jüngere Entwicklungen – etwa durch Veränderungen in der Zusammensetzung der Leistungsberechtigten, im Verhältnis von›Fördern und Fordern‹oder durch Verschiebungen im arbeitsmarktlichen und gesellschaftlichen Umfeld – zusätzliche Herausforderungen ergeben? Oder anders formuliert: Ist das SGB II an die Grenze seiner inkrementellen Reformfähigkeit gelangt, so dass nur mehr eine radikale Umgestaltung tragfähige Antworten auf die sozialen Herausforderungen der Gegenwart verspricht?

Das geplante Schwerpunktheft lädt dazu ein, die Entwicklung der Grundsicherung zu analysieren und deren Zustand und Zukunftsfähigkeit kritisch zu reflektieren. Dabei sind sowohl konzeptionelle Beiträge zur institutionellen Entwicklung und politischen Dynamik als auch empirische Untersuchungen zu spezifischen Problemfeldern und Umsetzungspraktiken willkommen.

Erwünscht sind wissenschaftliche Beiträge, die sich mit einem oder mehreren der folgenden Themenfelder befassen:

1. Institutionentheoretische Perspektiven: Wandel, Persistenz und Legitimität

  • Institutionelle Reformfähigkeit vs. Reformblockaden

  • Akzeptanz-, Vertrauens- und Legitimitätsprobleme der Grundsicherung

  • Governance-Strukturen und institutioneller Wandel der Trägerschaft

2. Systemlogiken und Schnittstellen in der sozialen Sicherung

  • Schnittstellenprobleme und institutionelle Fragmentierung sozialer Sicherung

  • Faktische Erwerbsminderung und institutionelle Zuständigkeit

  • Nicht-Inanspruchnahme und verdeckte Armut

3. Zieldimensionen, Steuerung und Instrumenteneinsatz

  • Zielkonflikte der Grundsicherung im Spannungsfeld von Arbeitsmarktintegration, Beschäftigungsfähigkeit und sozialer Teilhabe

  • Erwerbsanreize, Transferentzerrung und Einkommenssicherung

  • Passgenauigkeit und Wirkung arbeitsmarktpolitischer Instrumente

4. Arbeitsmarktliche und demographische Kontextbedingungen

  • Soziodemographische Verschiebungen, insbesondere durch Flucht und Migration

  • Arbeitsnachfrage, Lohnpolitik und Qualifikationsanforderungen

Wir freuen uns über Beitragsangebote bis zum 05. Dezember 2025 an Themenheft-SoFo(at)iab.de. Bitte schicken Sie hierzu ein Abstract (max. 400 Wörter), in dem Sie die inhaltliche Ausrichtung und ggf. die empirische Grundlage des geplanten Artikels skizzieren. Auf dieser Basis entscheiden wir bis 17. Dezember 2025 über die Auswahl der Beiträge.

Die Einreichungsfrist für die Beiträge ist der 30. Juni 2026. Anschließend werden alle Aufsätze doppelt blind begutachtet. Das Themenheft soll Mitte 2027 erscheinen.