Das Internationale Militärtribunal (IMT) in Nürnberg stellt ein ergiebiges, indes unter diversen Aspekten noch überraschend unkartiertes Forschungsfeld dar. Das Verfahren bildet den Auftakt für die Bemühungen um Aufklärung und Ahndung der nationalsozialistischen Verbrechen, die bis heute andauern und nach wie vor gesellschaftlichem und politischem Wandel unterliegen. Auch für die internationale Strafjustiz gilt das IMT als wegweisend.
Die Wendung von den Nürnberger Prozessen als›das größte Geschichtsseminar, das je in der Menschheitsgeschichte gehalten worden ist", mag beinahe als geflügeltes Wort gelten. Dem amerikanischen Anklagevertreter – mit deutschem Hintergrund – Robert M. W. Kempner zugeschrieben, bezeichnet es die Absicht der Alliierten, in Nürnberg nicht allein die präzedenzlosen Massenverbrechen des nationalsozialistischen Regimes zu ahnden, sondern zugleich den Grundstein für die historische Einordnung des „Dritten Reiches‹zu legen. Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess beschreibt überdies einen Wendepunkt in der Genese des Völkerstrafrechts, da zum ersten Mal die höchsten Staatsmänner, die politischen Führer und die militärische Elite wegen ihrer im Amt begangenen Taten wie›gewöhnliche‹Verbrecher vor einer Richterbank zur Rechenschaft gezogen und verurteilt wurden.
Das IMT fand zwischen dem 20. November 1945 und dem 01. Oktober 1946 statt. Anlässlich des 80. Jahrestags des Verhandlungsbeginns veranstaltet das International Research and Documentation Centre for War Crimes Trials (ICWC) ein zweitägiges wissenschaftliches Symposium, das sich der juristischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen widmet. Die Tagung gliedert sich thematisch in zwei Schwerpunkte: Der erste Tag fokussiert die Verbrechen des Nationalsozialismus, während der zweite Tag deren juristische Aufarbeitung sowie neue Herausforderungen wie die Auswirkungen populistischer, antiliberaler und geschichtsrevisionistischer Tendenzen in den Mittelpunkt stellt. Das Symposium fördert den Dialog zwischen Geschichts-, Rechts- und Sozialwissenschaften, indem es den Raum für interdisziplinären Austausch schafft.
Dafür werden fundierte wissenschaftliche Vorträge mit offenen Diskussionen und interaktiven Elementen kombiniert. Die thematische Fokussierung und die bewusste Verbindung historischer, rechtlicher und sozialwissenschaftlicher Perspektiven machen die Tagung zu einem relevanten Forum für die internationale NS-Forschung. Ziel der Tagung ist es, die deutsche Forschungsperspektive zu erweitern, indem Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Staaten einbezogen werden. Während die deutsche Forschung häufig die Perspektiven der Täter:innen fokussiert, stehen international Erfahrungen von Besatzung, Kollaboration und Opfersein im Zentrum der Auseinandersetzung. Die Veranstaltung soll eine Plattform für diesen internationalen Austausch schaffen und einen Beitrag zur Debatte über die Langzeitwirkungen der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen auf gegenwärtige Diskurse zu Gerechtigkeit und Erinnerungskultur leisten.
Mögliche Themenbereiche für Beiträge umfassen, sind aber nicht beschränkt auf:
- Das IMT im Kontext der Entwicklung des Völkerstrafrechts
- Nationale und internationale Perspektiven auf die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen
- Wechselwirkungen zwischen Recht, Geschichte und Gesellschaft in der Aufarbeitung der Vergangenheit
- Der Einfluss des IMT auf die historische Gerechtigkeit und Transitional Justice
- Völkerstrafrecht unter Druck: Populismus, Antiliberalismus, Geschichtsrevisionismus
Besonders freuen wir uns über Vorschläge zur Ausgestaltung eines World Cafés, das die Interaktion aller Teilnehmenden fördern und neben dem fachlichen Austausch ein erfolgreiches Networking unterstützen soll.
Wir möchten insbesondere Wissenschaftler:innen in ihren frühen Karrierephasen ermutigen, ihre Arbeiten vorzustellen und sich aktiv in die wissenschaftliche Diskussion einzubringen. Zugleich dient das Symposium dem Informationsaustausch, der intergenerationellen Vernetzung sowie der methodischen, konzeptuellen und theoretischen Auseinandersetzung.
Bitte richten Sie Ihre Vorschläge für einen Beitrag (max. 500 Wörter) sowie einen CV bis zum 15.08.2025 an Dr. Henning de Vries (henning.devries(at)jura.uni-marburg.de). Die Veranstaltung wird in englischer Sprache gehalten und findet in Präsenz statt.