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Hilmar Schäfer verstorben

Nachruf der Sektion Kultursoziologie

Die Sektion Kultursoziologie in der DGS trauert um Hilmar Schäfer. Nach langer, schwerer Krankheit ist Hilmar Schäfer am Mittwoch, dem 10. Mai 2023, verstorben – viel zu früh.

Hilmar war der Sektion Kultursoziologie seit langem verbunden, seit 2021 als ihr Sprecher, davor als langjähriges und engagiertes Vorstandsmitglied.

Sein wissenschaftlicher Werdegang führte ihn nach dem Magisterstudium in Lüneburg an unterschiedliche Universitäten, wo er (insbesondere als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Andreas Reckwitz) zu zahlreichen kultursoziologischen Themen lehrte und forschte: zunächst an der Universität Konstanz; dann an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Seit 2020 war er Gastprofessor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Als Soziologe steht Hilmar in der deutschsprachigen Soziologie für die Etablierung praxistheoretischer Zugänge. In Die Instabilität der Praxis bei Velbrück Wissenschaft (2013) und in Praxistheorie. Ein soziologisches Forschungsprogramm (als Herausgeber, bei transcript 2016) hat Hilmar an verschiedene Theorieperspektiven angeknüpft, um das Konzept der komplexen, in sich instabilen ›Wiederholung‹ als Zentrum einer jeden Praxis zu erschließen und empirisch fruchtbar zu machen. In den von ihm als ›instabil‹ verstandenen Praktiken geht es zum einen zwar um Routinen – zum anderen aber laufen diese nie mechanisch ab. In ihnen herrscht immer eine Differenz (wie es bei Gilles Deleuze heißt: ›Differenz und Wiederholung‹). In seiner Dissertationsschrift Die Instabilität der Praxis geht es Hilmar darum, diesen Begriff der in sich differenten, nie identischen Wiederholung zu systematisieren und ihn in die Theorie des Sozialen einzuführen. Eine solche Konzeption berührt zentrale Problemstellungen und Forschungsfragen soziologischer Theorie. Programmatisch hält Hilmar dazu fest: ›Die Praxistheorie richtet ihren Blick […] sowohl auf die lange Dauer als auch die augenblickliche Veränderung, sowohl auf die Reproduktion als auch die Transformation des Sozialen, sowohl auf die Stabilität als auch die Instabilität der Praxis‹ (ebd., Schlusssatz).

Zu den konzeptionellen Beiträgen für die Kultursoziologie sind zweitens Texte zu erwähnen, in denen es Hilmar um eine neue kultursoziologische Aufmerksamkeit für das Ästhetische geht, wie vor allem in dem Band Ästhetik und Gesellschaft. Grundlagentexte aus Soziologie und Kulturwissenschaften (mit Andreas Reckwitz und Sophia Prinz, Suhrkamp 2016) sichtbar wird.

Und schließlich, drittens, gehört Hilmar zu den Begründern einer Soziologie der Bewertung in der deutschsprachigen Soziologie (siehe u.a. als Herausgeber, zusammen mit Oliver Berli und Stefan Nicolae: Bewertungskulturen, Wiesbaden 2021). Hier erforscht er in Fallstudien etwa zu Liverpool und in Teilnahme an Sitzungen der UNESCO die Bewertungsprozesse, die zur Ernennung von Architekturen oder Stadtlandschaften zum ›kulturellen Erbe‹ oder gar zum ›Weltkulturerbe‹ führten.

Über diese Arbeitsschwerpunkte hinaus hat Hilmar zahlreiche Initiativen in der Sektion mit angestoßen und vorangetrieben sowie viele Tagungen mitgestaltet und organisiert. Wir vermissen ihn als einen unheimlich anregenden, interessierten und konstruktiven Kollegen, verlieren in ihm aber vor allem einen unfassbar liebenswürdigen, hilfsbereiten und zugewandten Menschen. Er war ein großartiger Freund, Kollege und Wissenschaftler. Hilmar wird uns fehlen – er fehlt schon jetzt.

Oliver Berli, Heike Delitz, Lars Gertenbach, Uta Karstein, Andreas Ziemann sowie Dominik Schrage.

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