Aktuell

Management komplexer Systeme

Frühjahrstagung der Sektion "Wissenschafts- und Technikforschung" und der Arbeitsgruppe "Organisationssoziologie" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 15./16. Juni 2007 in Dortmund

Die Wahrnehmung ist weit verbreitet, dass die moderne Gesellschaft immer komplexer und undurchschaubarer wird und die in ihr ablaufenden Prozesse immer schwer zu kontrollieren sind. Dies gilt beispielsweise für sozio-technische Systeme des Straßenverkehrs, der Luftfahrt oder der Logistik, für Innovationsprozesse in Unternehmensnetzwerken, aber auch für globale Finanzmärkte, das Gesundheitswesen, die Hochschulpolitik u.v.a.m. Die Vermutung, dass einige dieser Systeme zu nicht mehr beherrschbaren Hochrisikosystemen werden könnten, hat allerdings niemand so dezidiert auf den Punkt gebracht wie Charles Perrow, dessen "Normale Katastrophen" genau vor 20 Jahren in deutscher Sprache erschienen sind.

Dennoch bleibt die Frage nach einem adäquaten Management komplexer Systeme aktuell, das möglichst auf einem fundierten theoretischen Verständnis komplexer Systeme basieren sollte.

Obwohl der Komplexitätsbegriff in etlichen soziologischen Publikationen verwendet wird (wenngleich oft eher metaphorisch), gibt es nur wenige Versuche, das Thema analytisch zu durchdringen, wie es beispielsweise Uwe Schimank in seiner "Entscheidungsgesellschaft" getan hat - allerdings unter Verzicht auf den Anspruch, in Situationen hoher Komplexität intervenieren bzw. steuern zu können.

Auch in Sachen Komplexitätsmanagement gibt es Defizite zu konstatieren, denn die "High-Reliability-Theory" (u.a. Weick, LaPorte, Rochlin), die behauptet, dass ein bestimmter Typus von Organisationen in der Lage ist, auch in komplexen Systemen ein hohes Maß an Zuverlässigkeit zu gewährleisten, ist bislang nur wenig rezipiert worden. (Immerhin ist dies ein Ansatz, der sich nicht mit einem Verzicht auf Intervention zufrieden gibt und nicht ausschließlich auf die Kräfte der Selbstorganisation setzt, wie das etwa in der Managementlehre oftmals der Fall ist.)

Ziel der Tagung ist es, WissenschaftlerInnen zusammen zu bringen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Komplexitätsthematik befassen. Erwartet werden theorieorientierte Beiträge und Fallstudien zu folgenden Themengebieten:

Komplexitätstheorien

  • Welche Theorieangebote zum Thema "Komplexität" gibt es in den Natur- und Sozialwissenschaften? Was leisten sie, und wo sind die Schnittmengen?
  • Worin besteht das genuine Profil einer sozialwissenschaftlichen Theorie der Komplexität?
  • Ist Komplexität eine objektive, systemimmanente Tatsache oder eher ein Problem der subjektiven Wahrnehmung von Wirklichkeit?
  • Lässt sich daher die Fähigkeit zum Komplexitätsmanagement systematisch trainieren und verbessern ? sowohl individuell als auch auf Organisationsebene?

Komplexitätsmanagement

  • Welche Rolle spielt die moderne Technik für die Steigerung von Komplexität einerseits, für deren Bewältigung andererseits?
  • Bietet die High-Reliability-Theory ein plausibles Konzept für das Management von Hochrisikosystemen? Welche Weiterentwicklungen bzw. Adaptionen des Modells gibt es?
  • Gibt es Grenzen der Kontrollierbarkeit komplexer Systeme? Und was folgt daraus für die Praxis?
  • Welche Governance-Modi eignen sich für das Management komplexer Systeme? Ist der Verweis auf Selbstorganisationsprozesse ein zu einfacher Weg, wenn es beispielsweise um die Gewährleistung von Sicherheit in Verkehrssystemen geht?

​​​​​​​Fallstudien und Simulationen

  • Wie sieht das Komplexitätsmanagement in der Praxis aus? Welche Lehren können aus den Fallstudien gezogen werden?
  • Wie lassen sich komplexe Systeme modellieren und simulieren? Zu welchen Erkenntnissen führen derartige Methoden?

Es ist geplant, einige prominente FachvertreterInnen für Vorträge zu gewinnen. Weitere Vorschläge für Referate sind in Form eines Abstracts von max. zwei Seiten Länge bis zum 31. März 2007 einzureichen bei:

Johannes Weyer, Univ. Dortmund, Mail: johannes.weyer(at)uni-dortmund.de 

Veronika Tacke, Univ. Bielefeld, Mail: veronika.tacke(at)uni-bielefeld.de 


Programm

Eröffnung und Einführung

10:30 Uhr
Begrüßung
Veronika Tacke (Bielefeld)/
Johannes Weyer (Dortmund)

10:45 Uhr
Einführung
Johannes Weyer (Dortmund)

Themenblock 1: Komplexitätstheorien

11:15 Uhr
Governance-Theorie und die Analyse komplexer Systeme
Volker Schneider (Konstanz)/Johannes Bauer (Michigan)

12:00 Uhr    
Evolutionäre Organisationstheorie im Lichte der Komplexitätstheorie
Peter Kappelhoff (Wuppertal)

12:45 Uhr
Mittagessen (Mensa Süd)

Themenblock 2: Komplexitätsmanagement

14:00 Uhr
Die Grenzen der Kontrollierbarkeit komplexer Systeme
Gudela Grote (Zürich)

Accident research between Scylla and Charibdis: the NAT and HRO debate revisited (ENTFÄLLT)
Jos Rijpma (Leeuwarden)

14:45 Uhr
Komplexität und Risikogenerierung in Netzwerken
Gerhard Fuchs (Stuttgart)

15:30 Uhr
Kaffeepause
    
16:00 Uhr
Komplexitätssteigerung durch Steuerung ? eine Fallanalyse
Markus Gottwald & Co. (Erlangen)

16:40 Uhr
Komplexitätsmanagement: Autopoietische Organisationssysteme als Teil von Governance-Prozessen der Innovationspolitik
Eva Buchinger (Wien)

17:30 Uhr
Mitgliederversammlung der Sektion (inkl. Vorstandswahlen)
    
19:00 Uhr
Abendessen (Rest. Hövels, Dortmund-Innenstadt)
    
Samstag, 16. Juni 2007

Themenblock 3: Fallstudien/Simulation

9:00 Uhr
Komplexität und Formalisierung. Das Beispiel des Portfoliomanagements auf den Finanzmärkten
Ekaterina Svetlova (Friedrichshafen)

9:40 Uhr
Von loser zu enger Kopplung. Die Risiken der Hochschulentwicklung
Michael Huber (Bielefeld)

10:20 Uhr
Kaffeepause
    
11:00 Uhr
Komplexität in Logistiknetzwerken. Ein Beitrag zur Erklärung
Iwo Riha/Jan Willumeit (Dortmund)

11:40 Uhr
Pfadkonstitution und komplexe Technologieentwicklung. Managing Momentum am Beispiel der Halbleiterindustrie
Cornelius Schubert/Arnold Windeler (Berlin)

12:30 Uhr
Komplexität als Problem politischer Gestaltung - Thesen zur Governance im Bereich Innovationspolitik
Manfred Mai (Essen)