Die Membership Categorization Analysis (MCA) – im deutschsprachigen Raum auch als ethnomethodologische Kategorisierungsanalyse geführt – hat sich in den letzten Jahrzehnten als empirisches Forschungsprogramm etabliert. Sie geht zurück auf Harvey Sacks› Interesse an kategorialen Ordnungen. Widerhall haben Sacks‹ Pionierarbeiten in verschiedenen Disziplinen (Linguistik, Soziologie, diskursive Psychologie, Kommunikationswissenschaft) gefunden; heute versammeln sich unter dem Label eine Vielzahl von Einzelstudien und einige konzeptuelle Überlegungen und Weiterentwicklungen, mit denen die MCA in der Nähe zu oder als Teil von ethnomethodologischer und konversationsanalytischer Forschung positioniert wird. In den letzten Jahren erhält die MCA eine erhöhte Aufmerksamkeit. Das große Interesse an Kategorisierungen und deren Bedingungen, Formen und Wirkungen scheint in der MCA eine methodische Grundierung gefunden zu haben. In der praktischen Anwendung wie auch der methodologischen Reflexion aber sind zahlreiche Fragen offen. An diesem Punkt scheint uns eine soziologische Reflexion des Ansatzes gefragt. Die Tagung möchte daher einen Rahmen bieten, um vornehmlich soziologische Perspektiven auf die MCA zusammenzuführen und diese damit stärker als soziologischen Ansatz zu konturieren. Drei Schwerpunkte sollen im Rahmen der Veranstaltung gesetzt werden:
1. Die sozialtheoretischen Grundlagen der MCA
Die MCA versteht sich im Kern als ethnomethodologischer Ansatz. Sie verbindet ein Grundinteresse an situativer Kategorisierungspraxis mit der sozialphänomenologisch inspirierten Analyse von gesellschaftlichem Wissen. Analysen orientieren sich weniger an vorab festgelegten Konzepten, sondern an aus der Beschreibung gewonnenen heuristischen Begriffen (z.B. category bound activities, standardized relational pairs) und pendeln zwischen einer Ausrichtung auf die kulturellen Grundlagen kategorialer Ordnungen (culture-in-action) und ihrer sequentiellen Enialtung (sequential categorial flow). In einigen Arbeiten rücken davon ausgehend spezifische institutionelle und organisationale Settings, mediale Erscheinungsformen oder größere diskursive Zusammenhänge in den Blick. Bezogen auf die sozialtheoretischen Grundlagen der MCA sind einerseits Beiträge willkommen, die das Verhältnis der MCA zu verschiedenen Theorieangeboten diskutiert – etwa zur Ethnomethodologie, zur Praxistheorie, aber auch zur Phänomenologie oder Interaktionstheorie. Ebenso ist eine Erörterung des Verhältnisses von Kategorisierungs- und Sequenzanalyse von Interesse. Andererseits kann danach gefragt werden, welche Bezüge sich zu soziologischen Organisations-, Medien- und Diskurstheorien herstellen lassen. Wie verhält sich darüber hinaus die MCA zu verwandten Ansätzen, die auf Kategorien und Kategorisierungen fokussieren (Humandifferenzierungsforschung, Soziologie der Klassifikation und Bewertung) sowie allgemeinen soziologischen, aber anschlussfähigen Theorieangeboten (etwa Bourdieus Feldtheorie, Systemtheorie, ANT)?
2. MCA als qualitativ-empirischer Ansatz
Bei der MCA handelt es sich um einen empirischen Ansatz, welcher der Auseinandersetzung mit dem Material – zumeist in Form von Gesprächsdaten und Texten – oberste Priorität zukommen lässt. Dabei stellt die MCA keine fixierte Methodologie, keine Durchführungsregeln zur Verfügung, sondern fußt auf einer streng analytischen Orientierung – gesprochen wird häufig von einer besonderen ›analytischen Mentalität‹. Aufgrund der konstitutiven Offenheit des Forschungsprozesses, haben sich bisher verschiedene wiederkehrende Forschungsdesigns herausgebildet: Tiefenanalysen folgen der situativen Produktivität von Kategorien im charakteristischen Einzelfall, Prozessanalysen spüren Kategorien und ihren Transformationen entlang interaktionaler, transmedialer oder diskursiver Zusammenhänge nach und Strukturanalysen fragen nach den kategorialen Systematiken von Kategorienklassen (z.B. family, race und gender) oder innerhalb von bestimmten Settings. Willkommen sind Beiträge, die sich mit methodologischen und forschungspraktischen Aspekten der MCA beschäftigen und so Bezüge zur allgemeinen qualitativen Methodologie- und Methodendiskussion herstellen. Interessant sind zudem Reflexionen über Forschungsdesigns. Von Interesse sind darüber hinaus Erfahrungen mit diversen, nicht nur sprachlichen Datentypen sowie dem Umgang mit multimodalem Kategoriengebrauch. Denkbar sind auch Reflexionen über Möglichkeiten und Risiken der Verknüpfung mit quantitativen Analysen.
3. Analysegegenstände der MCA
Die MCA adressiert die soziologisch zentrale Frage nach sozialer Ordnung, indem sie kategoriale Ordnungsbildung (categorial ordering work) in den Blick nimmt. Dabei zeigt sich, dass der zugrundeliegende Ordnungsbegriff durchaus mehrdeutig ist – so werden in Studien mal sequentiell-interaktionale Ordnungen, kulturell-epistemische Ordnungen, Ordnungen von Praxisvollzügen sowie kategorial-moralische Ordnungen und bisweilen deren Zusammenspiel thematisiert. Im Zentrum stehen dabei zumeist soziale Mitgliedschaftskategorien, mit denen Menschen sich und andere einordnen. Darüber hinaus wird zunehmend auch die Kategorisierung von Kollektiven, Räumen, Orten, Zeiten, Objekten sowie von Handlungen beachtet. Mit Blick auf die MCA als Zugang zur Frage nach sozialer Ordnungsbildung sind Beiträge von Interesse, die sich mit spezifischen Ordnungsmomenten befassen oder das Zusammenspiel der genannten kategorialen Achsen adressieren. Von Interesse sind auch Analysen kategorialer Ordnungen an den Grenzen der Sozialwelt (Mensch-Tier, Mensch- Technik, Artefakte und Objekte).
Wir freuen uns über Einreichungen von Beitragsvorschlägen zu den genannten Schwerpunkten im Umfang von maximal einer Seite an dominik.gerst(at)uni-due.de und hannes.kraemer(at)uni-due.de. Die Deadline für Einreichungen ist der 20.10.23. Die Tagung wird am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) stattfinden. Ein Antrag auf Tagungsförderung wird gestellt. Ausgerichtet wird die Tagung vom Arbeitsbereich Kommunikation in Institutionen und Organisationen der Universität Duisburg-Essen mit Unterstützung des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI).