Aktuell

Mindeststandards für die soziologische Bildung

An die Mitglieder der Kultusministerkonferenz sowie die Ministerinnen und Minister der Landesministerien für Schule und Bildung

Tübingen/Essen, den 23. September 2022

Soziologie in der Schule

Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn die Corona Krise eines hat offenbar werden lassen, dann wie wichtig ein vertieftes Verständnis sozialer, politischer und wirtschaftlicher Prozesse für die kompetente Teilhabe am politischen Gemein­wesen ist. Primäre Instanz für diese Bildungsprozesse ist die Schule. Vor diesem Hintergrund stellen wir mit Besorgnis fest, dass in den meisten Bundesländern die Bildungspläne für die verschiedenen Schulformen zwar – und mit gutem Grund – wirtschaftliche und politische Kompetenzen vorsehen und durch die entsprechende Ausgestaltung der gemeinschaftswissenschaftlichen Fächer fördern.

Besorgniserregend ist diese Feststellung, weil Kompetenzen zum Interpretieren und Verstehen des Funk­ti­o­nierens sozialer Prozesse und Institutionen den Schülerinnen und Schülern in weiten Teilen der bun­des­republikanischen Bildungslandschaft weitestgehend vorenthalten werden, weil soziologisches Fach­wis­sen weder in der Ausbildung der Lehrerkräfte vermittelt wird noch Eingang in die Bildungspläne ge­funden hat. Es ist aber das Wissen darum, wie Gesellschaft in ihrer Vielfalt und Differenziertheit fort­wäh­rend im so­zialen Handeln hervorgebracht, stabilisiert und weiterentwickelt wird, das Schülerinnen und Schülern die Mittel an die Hand gibt, sich in diese Gesellschaft reflektiert und kompetent ein­zubringen. Erst damit auch gewinnen sie die erforderliche Krisen-Resilienz, die sie davor bewahrt, sich von wech­selnden medi­alen Zuspitzungen oder von Verschwörungsmythen in das eine oder das andere Lager treiben oder an der Kom­plexität der gegenwärtigen Weltverhältnisse verzweifeln zu lassen.

Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, den bil­dungs­poli­ti­schen Entscheidungsträgern Mindeststandards eines zeitgemäßen Soziologieunterrichts in den ver­schie­denen Schulstufen an die Hand zu geben. Das vorliegende Papier basiert auf wissenschaftlichen Ergeb­nissen aus Fachdidaktik, Soziologie und Bildungsforschung. Es soll die politische Ent­schei­dungsebene und entsprechende ministeriale Fachreferate dabei unterstützen, einschlägige Bil­dungs­pläne zu überarbeiten und die Ausbildung der Lehrkräfte an die veränderten Erfordernisse anzupassen wo dies erforderlich ist. Wir würden uns freuen, mit Ihnen darüber in einen fruchtbaren Dialog zu treten.

Mit freundlichen Grüßen,
Jörg Strübing