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Neue Normalität?! Moderne Gesellschaften in der Zeitenwende

Deadline: 31. März 2023

Dass wir in krisenhaften und kritischen Zeiten leben, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Staatsschulden- und Eurokrise, die so genannte Flüchtlingskrise, die durch den Aufstieg des Rechtspopulismus und Autoritarismus gekennzeichnete Krise der liberalen Demokratie, die Klimakrise, die Corona-Krise und schließlich seit einem guten Jahr die Rückkehr des Krieges nach Europa, in dessen Folge sich zudem rasant steigende Inflationsraten und eine veritable Energie(preis)krise einstellten: Moderne Gesellschaften scheinen mit vermehrten und sich beschleunigenden Krisen konfrontiert zu sein. Krisen, die nicht fein säuberlich voneinander getrennt sich ablösen, sondern sich überlagern und verstärken. Während Adam Tooze dafür den Begriff›Polykrise‹geprägt hat, spricht eine Mehrheit von zeitgenössischen Beobachter:innen, Politiker:innen, Journalist:innen und Wissenschaftler:innen lieber von der›neuen Normalität‹und der›Zeitenwende‹ um die von einer Krisenkaskade geschüttelte Gegenwart zu charakterisieren.

Der Begriff›neue Normalität‹wurde bereits 2018 vom österreichischen Philosophen Paul Sailer-Wlasits verwendet, um die mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten einhergehenden Veränderungen der politischen Kultur und Sprache sowie das Erstarken des (Rechts-)Populismus zu charakterisieren. Popularisiert wurde der Ausdruck jedoch, als er kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie von Politikern wie Sebastian Kurz und Olaf Scholz, der auch den Begriff der›Zeitenwende‹prägte, aufgegriffen wurde und Einzug in den politischen und öffentlichen Sprachgebrauch erhielt.

Doch was genau bedeutet›neue Normalität‹eigentlich? Wodurch unterscheidet sich die neue Normalität von der alten Normalität? Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn der Ausnahmezustand tatsächlich der Normalfall und die Krise wirklich der Dauerzustand geworden sein soll? Und was heißt das für die Soziologie als Wissenschaft von der Gesellschaft und als kritische Krisenwissenschaft? Ist›neue Normalität‹am Ende nicht bloß Ausdruck einer um sich greifenden Hilflosigkeit in den Sozialwissenschaften, die kumulativen Effekte aktueller Krisen theoretisch und analytisch adäquat zu erfassen, weil der Begriff die Rückkehr in eine andere Form der Ordnung suggeriert, obwohl Unordnung, Ungewissheit, Unsicherheit, Umwälzung die prägenden Kennzeichen der sozio-ökonomischen Entwicklung sind? Ist der Begriff›neue Normalität‹gar besonders geeignet, kritische und krisenhafte Entwicklungen zu camouflieren und zu bagatellisieren?

Die Rede von der›neuen Normalität‹berührt darüber hinaus ganz allgemeine und grundlegende Fragen: Was ist überhaupt das Normale? Wer definiert, was normal ist, und wodurch grenzt sich Normalität vom Ausnahmezustand ab? Warum gibt es überhaupt ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Normalität? Wir laden herzlich dazu ein, Abstracts für Vorträge einzureichen, die Fragen wie diesen nachgehen.

Bitte senden Sie Ihr Abstract (max. 2.400 Zeichen inkl. Leerzeichen) bis spätestens 31.03.2023 an die Organisator:innen der Ad-hoc-Gruppe:

Dr. Joris Steg: steg(at)uni-wuppertal.de

Tjorven Harmsen: tjorven.harmsen(at)css.uni-freiburg.de